Titel
Freedom for the Thought That We Hate. A Biography of the First Amendment


Autor(en)
Lewis, Anthony
Erschienen
New York 2008: Basic Books
Anzahl Seiten
xv, 221 S.
Preis
$ 25.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Lenz, Historisches Seminar, Universität Heidelberg

Anthony Lewis hat mit Freedom for the Thought that we Hate ein sehr nützliches kleines Buch geschrieben, das er im Untertitel sehr treffend als A Biography of the First Amendment beschreibt. Die Charakterisierung als Biografie macht dabei deutlich, dass der Gegenstand des Buches etwas Lebendiges und Wandelbares ist, dessen Lebenszeit und „Lebenswerk“ Lewis beschreiben möchte. Es geht ihm nicht so sehr um eine von einer Fragestellung geleitete Untersuchung, sondern eher um die Darstellung der Entwicklung des ersten Zusatzartikels zur amerikanischen Verfassung, in dem die Rechte auf Religions-, Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie das Petitionsrecht geschützt und garantiert werden. Dabei besteht Lewis’ Verdienst nicht so sehr darin, dass er unserer Kenntnis über das erste Amendment viel Neues hinzufügt, sondern vielmehr darin, dass ihm mit knapp 190 Seiten eine überaus lesbare und handliche Einführung in ein Thema gelungen ist, zu dem die Literatur insgesamt kaum mehr überschaubar ist.

In seiner Einleitung reißt Lewis zunächst die grundlegenden Fragestellungen an, welche die Debatte um den ersten Verfassungszusatz geprägt haben und zeigt, wie sie dazu beigetragen haben, Amerika zur „most outspoken society on earth“ (S. ix) zu machen. Zwar seien auch dort immer wieder Angriffe auf die Freiheit der Rede und der Presse zu verbuchen; grundsätzlich, so Lewis, sei aber kein ernsthafter Schaden mehr zu befürchten: „[T]he fundamental American commitment to free speech, disturbing speech, is no longer in doubt“ (S. xv).

Der Band folgt einer thematischen Ordnung, auch wenn Lewis zunächst chronologisch vorgeht. In seinem ersten Kapitel zeigt er, wie der Streit um Redefreiheit im Kontext der Alien and Sedition Acts von 1798 erstmals zu einem Streitthema auf Bundesebene wurde, wie der Bund versuchte, freie Rede zu beschränken und die (oppositionelle) Presse an die Leine zu nehmen.

Im heißen innenpolitischen Klima der späten 1790er-Jahre – das heißt unter dem Eindruck eines Beinahe-Krieges mit Frankreich – beschloss der Kongress den Sedition Act, der Kritik an Präsident und Kongress unter Strafe stellte. Straffrei sollten nur solche Äußerungen bleiben, deren Wahrheit bewiesen werden konnte. Gegenüber der Common Law-Logik von ‚aufrührerischer Verleumdung‘ (Seditious Libel), die lange Zeit zur Unterdrückung von kritischer Rede und Presse benutzt worden war, war dies ein Fortschritt: Das Common Law schützte die Autorität von Personen und Regierungsinstitutionen davor, in Misskredit gebracht zu werden; weil aber der wahre Bericht, zum Beispiel über eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, deren Ruf besonders schädigen konnte, hatte Wahrheit nicht als Rechtfertigung gegolten. Weiterhin hatte als Pressefreiheit zuvor die Freiheit von Vorzensur („prior restraints“) gegolten und auch der Sedition Act errichtete keine Vorzensur. Das erste Amendment erwies sich an dieser Stelle also als stumpfes Schwert, denn die Gerichte erkannten weder „prior restraints“ noch ließen sie viel Raum für das Wahrheitsargument – wobei Wahrheit bei Meinungsäußerungen ohnehin schwer zu beweisen ist. Gesellschaftlich aber hatte das erste Amendment bereits eine weit größere Statur erreicht; die Verletzung seiner Garantien im Sedition Act war einer der Gründe für die Wahlniederlage der Federalists im Jahr 1800. Und der Sedition Act, so schreibt Lewis, „inadvertently made a significant contribution to American freedom. It made numbers of Americans appreciate the importance of free speech and freedom of the press in a republic“ (S. 21). Denn nur mit freier Rede und freier Presse konnte die Kontrolle der gewählten Volksvertreter gewährleistet werden.

Bis in den Ersten Weltkrieg hinein unternahm die Bundesregierung keinerlei Versuche, die Rede- und Pressefreiheit einzuschränken und der Zusatzartikel galt als nicht auf die Staaten anwendbar, weshalb bis dahin auch keine juristische Auseinandersetzung um die festgeschriebenen Garantien mehr stattfand. Beides änderte sich in der Folge des Ersten Weltkrieges, als der Kongress im Espionage Act kritische Rede unter Strafe stellte und das Oberste Gericht sich in mehreren Fällen mit dem Thema beschäftigen musste. Dabei blieb zunächst, wie Lewis in seinem zweiten Kapitel deutlich macht, ein weitreichender Schutz freier Rede eine Minderheitenposition, die vor allem durch die Richter Holmes und Brandeis getragen wurde. In Schenck v. U.S. hatte Holmes selbst zwar noch argumentiert, dass freie Rede im Falle von „clear and present danger“ durchaus eingeschränkt werden könne; in den folgenden Jahren legte er diese Regel in seinen Sondervoten (zum Beispiel in Abrams, Whitney und Schwimmer) allerdings immer enger aus. Ebenfalls in der Minderheit blieben Holmes und Brandeis mit ihrer breiteren Auffassung von Redefreiheit im Fall Gitlow v. New York: Benjamin Gitlows Verurteilung hielt das Gericht für rechtens, akzeptierte aber erstmals eine Regelung der Bill of Rights als Argument gegen eine Maßnahme eines Einzelstaates und verschaffte damit dem ersten Amendment eine weit größere Reichweite, als es sie sonst hätte entfalten können. Denn nach Gitlow wurden Streitfälle um das Recht auf freie Rede vor allem mit den Staaten ausgefochten (S. 35).

Das vierte Kapitel zeigt, dass erst nach 1931 und der Gerichtsentscheidung Stromberg v. California Redefreiheit regelmäßig durch Bundesgerichte geschützt und als „basic American value“ angesehen wurde, „[whose] repression was not to be tolerated to prevent some dim and distant bad tendency“ (S. 39). In der Folge wurden das Recht auf freie Rede immer weiter gefasst und entsprechend die Eingriffsmöglichkeiten des Staates immer weiter zurückgedrängt. Schlussendlich kassierte 1964 das Oberste Gericht in New York Times v. Sullivan eine letzte schwerwiegende Möglichkeit, Rede- und Pressefreiheit zu beschränken. Nachdem eine Anzeige in der Times – ohne Namen zu nennen – rassistische Amtsträger der Südstaaten bezichtigt hatte, die Verfassung zu missachten und die Rechte der African Americans mit Füßen zu treten, verklagte der City Commissioner von Montgomery, Alabama, die Zeitung wegen Verleumdung (Libel) und bekam Schadenersatz in Höhe von einer halben Million Dollar zugesprochen. Da auch andere Kläger Recht bekamen, war die Times in ihrer Existenz bedroht; wichtiger war aber vielleicht, dass eben die Bürgerrechtsbewegung einen massiven Schlag erleiden würde: Wenn die Medien den Ruin durch Verleumdungsklagen fürchten mussten, stand zu befürchten, dass kritische Berichterstattung über den Süden unterbleiben und damit eine Stütze der Bürgerrechtsbewegung Schaden nehmen würde. Nach Lewis’ Einschätzung könnte die Klage präzise zu diesem Zweck geplant gewesen sein (S. 51), der Fall endete aber anders: Nur wenn eine Aussage über Personen des öffentlichen Lebens mit „‚actual malice‘ – that is with knowledge that it was false or with reckless disregard of whether it was false or not“ 1 gemacht wurde, konnte von Presseorganen Schadensersatz verlangt werden. Der Presse- und der eng damit verbundenen Redefreiheit wurde mit dieser Entscheidung sehr großer Freiraum gewährt und das Zugeständnis gemacht, dass bei der Berichterstattung zwangsläufig auch Fehler passieren würden. Wie Lewis zeigt, bewertete das Gericht in der Folge von Sullivan aber den Gewinn durch die freie Berichterstattung höher als eventuelle ‚Flurschäden’ am Rande.

Nachdem Lewis diese grundlegenden Erweiterungen des ersten Amendments ausgeführt hat, stellt er in den folgenden Kapiteln dar, wie sich die Rechte auf freie Rede und Berichterstattung gegen widerstreitende Interessen behaupteten. Würde ein Anspruch auf Privatsphäre gegen das Eindringen von Journalisten standhalten? Würde umgekehrt ein Reporter Quellen seiner Informationen gegenüber staatlichen Informationsbegehren geheim halten dürfen? Und wie würde sich der Staat schützen können vor echten und vermuteten Zusammenschlüssen, deren Propaganda gegen seinen Bestand gerichtet war? Kann der Staat sozial unerwünschtes Verhalten – z.B. Hassreden, Pornographie, Obszönitäten und das Verbrennen von US-Flaggen – strafrechtlich bekämpfen? An der Tatsache, dass viele Entscheidungen der Gerichte in diesen Dingen immer wieder heiß umstritten sind, kann man ablesen, dass die Interpretationen des Rechtes auf freie Meinungsäußerung auch heute noch weit auseinandergehen.

An vielen verschiedenen Stellen in diesem Buch wird deutlich, dass Lewis der Presse und dem Recht auf freie Rede eine zentrale Kontrollfunktion in einem demokratisch verfassten Staatswesen zugesteht. Dass die Presse dabei vor allem in Krisensituationen – und Lewis spricht hier deutlich die Erfahrungen nach dem 11. September 2001 an – eben nicht nur „informed, free, alert, aware“ sein müsse, sondern vor allem auch „courageous“ (S. 147), ist daher eine Forderung, die nicht überrascht, aber doch zeigt, dass dieser Standard scheinbar nicht immer erreicht wird. Entsprechend liefert Lewis in seiner Schlussbetrachtung nicht so sehr eine Zusammenschau der verschiedenen Aspekte, die die Interpretation des ersten Amendment beeinflusst haben, als ein leidenschaftliches Plädoyer für einen weitreichenden, stabilen und verlässlichen Schutz freier Rede, freier Berichterstattung und freien Denkens. Schließlich, so scheint Lewis hier sagen zu wollen, sei dies der eigentliche Kern amerikanischer Freiheiten.

Mit Freedom for the Thought that we Hate hat Anthony Lewis eine gelungene Einführung in die wechselvolle Geschichte des First Amendment und seiner Interpretationen vorgelegt, die prägnant, gut lesbar und auch für Laien verständlich ist. Er bettet die jeweiligen Entscheide des Obersten Gerichtes gut in ihren juristischen und ihren Alltagskontext ein, so dass man auch das Entscheidungsklima einschätzen kann, ohne Fachhistoriker sein zu müssen. Dass ihm als Journalisten auch persönlich an dem Verfassungsrecht auf freie Meinungsäußerung und freie Rede gelegen ist, schwingt durchweg mit; manchmal ist es etwas störend, wenn er seine eigene Interpretation stark in den Vordergrund rückt. Weniger offensichtlich tut er das auch dadurch, dass er seine Betrachtungen eben vor allem auf die Rede- und Pressefreiheit fokussiert: Die anderen Schutzfunktionen des Zusatzartikels – Religion, Versammlung und Petition – kommen eher zu kurz. Zwar könnte man argumentieren, dass diese durch die Redefreiheit automatisch mit abgedeckt sind, doch sollte man das in dem Fall aber vielleicht explizit ansprechen. Dies kann jedoch das insgesamt positive Urteil über Freedom for the Thought that we Hate nicht schmälern: Das Buch ist für den Einstieg in die Literatur über das erste Amendment überaus nützlich und gewinnbringend.

Anmerkung:
1 New York Times Co. v. Sullivan, 376 U.S. 254 (1964), 280.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension