Cover
Titel
Hausfrau, Berufstätige, Mutter?. Frauen im geteilten Deutschland


Autor(en)
Neumaier, Christopher
Reihe
Die geteilte Nation
Erschienen
Berlin 2022: be.bra Verlag
Anzahl Seiten
199 S., 26 SW-Abb.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hannah Rentschler, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH)

Wenn ein profilierter Historiker wie Christopher Neumaier im Anschluss an seine einschlägige Habilitation über die Familie im 20. Jahrhundert1 ein mit rund 160 Textseiten schmales Buch mit dem Titel „Frauen im geteilten Deutschland“ veröffentlicht, klingt es zunächst lediglich nach einer Zweitverwertung seiner vorangegangenen Arbeiten. Tatsächlich basiert die vorliegende Publikation nicht auf neuen, weiterreichenden Forschungen. Vielmehr legt Neumaier eine „essayistische Zusammenschau aktueller Forschungspositionen und Argumente“ zum Wandel von Frauen- und Familienleitbildern sowie rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen im geteilten Deutschland vor (S. 8). Damit gelingt ihm ein gut lesbarer Forschungsüberblick, der wichtige geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse mit zeitgenössischen sozialwissenschaftlichen Befunden verbindet und in einer deutsch-deutschen Perspektive darzustellen versucht. Da sich Forschungen zur Frauen(bewegungs)geschichte im geteilten Deutschland nach wie vor häufig auf Ost oder West konzentrieren, ist dieser Ansatz sehr zu begrüßen.

Das Buch ist zweigeteilt in die Themenschwerpunkte „Familie/Mutterschaft/Haushaltsführung“ sowie „Frauen und Berufstätigkeit“. Damit sollen die gesellschaftliche Stellung und Rolle(n) der Frau als Hausfrau, Mutter und Berufstätige im Zeitraum 1949–1989 in den Blick genommen werden, wobei Neumaier anmerkt, dass die Rollen nicht isoliert, sondern stets aufeinander bezogen betrachtet werden. Themen wie Sexualität, Abtreibung oder Gewalt gegen Frauen, die insbesondere von der Neuen Frauenbewegung politisiert wurden, widmet er sich im gesamten Buch ausdrücklich nicht, ohne das inhaltlich zu begründen. Damit bleibt leider ein wichtiger Teil der frauenpolitischen Geschichte dieses Zeitraums, der bis heute nachwirkt, vollkommen außen vor.

Die klassische Trennung der „privaten“ Sphäre des Haushalts und der Familie von der „öffentlichen“ Berufsarbeit begründet Neumaier mit dem Verweis auf die Mehrzahl der (westdeutschen) Frauen, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit und frühen 1950er-Jahren „im Privaten“ agierten (S. 8). Dies überzeugt nur bedingt, da Neumaier an anderer Stelle argumentiert, dass für junge westdeutsche Frauen die Berufsausbildung und -arbeit bereits in den 1950er-Jahren wichtig waren. Wie konstruiert die Trennung von „privat“ und „öffentlich“ für die Frauengeschichte ist, zeigt sich auch an den dadurch entstehenden zeitlichen Sprüngen und Redundanzen im Text. Gerade durch die enge Verzahnung vieler Lebensbereiche, wie etwa Kinderbetreuung und Teilzeitarbeit, tauchen diese zwangsläufig in mehreren Kapiteln auf und Argumente wiederholen sich. Eine chronologische Schilderung wäre eine Alternative gewesen, um die besonders von der Politik häufig propagierte, aber real nichtexistierende Trennung der „privaten“ und „öffentlichen“ Sphären aufzubrechen.

Sehr kompakt zeichnet Neumaier deutliche Zäsuren in den politischen und juristischen Rahmenbedingungen und Diskursen bezüglich Frauen, Familie und Geschlechterrollen nach. In der Bundesrepublik war die Familienpolitik bis in die 1960er-Jahre vom „Leitbild der christlich bürgerlichen Kernfamilie“ mit dem Ehemann als Ernährer der Familie und der Ehefrau als Hausfrau und Mutter geprägt (S. 19). Insbesondere die Kirchen und konservative Wissenschaftler:innen unterstützten die Politik der CDU/CSU-geführten Regierung und trugen dazu bei, berufstätige Mütter zu diskreditieren. „Wissenschaftliche“ Erkenntnisse wurden zunehmend als Legitimation für die hierarchisch ausgerichtete Familienpolitik genutzt, um beispielsweise vermeintliche Zusammenhänge zwischen Entwicklungsdefiziten bei Kindern und öffentlicher Kinderbetreuung herzustellen. Dies änderte sich allmählich in den 1960er-Jahren, als im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs Frauen als Arbeitskräfte gefragt waren und das sich verbreitende Teilzeitarbeitsmodell in das vorherrschende Geschlechterrollenmodell passte. Das Ideal des männlichen „Familienernährers“ blieb bestehen, bis unter der sozialliberalen Koalition neue familienpolitische Leitbegriffe wie „Gleichberechtigung“ und „Partnerschaft“ aufkamen und in den 1970er-Jahren Initiativen für die Verbesserung der sozialen und rechtlichen Stellung der Frau ergriffen wurden (S. 37f.). Als markante diskursive Veränderung sieht Neumaier das von SPD/FDP erweiterte Verständnis von „Familie“, wozu auch Alleinerziehende gezählt wurden, wenngleich diese durchweg „sozial diskriminiert“ blieben (S. 50). Als „Kernreform der 1970er“-Jahre wertet er die Reform des Familien- und Scheidungsrechts 1976/77, die Individualinteressen, insbesondere auch der Ehefrauen, zugunsten der Familie als sozialer Institution stärkte (S. 29). Generell seien die 1970er-Jahre jedoch nur eine „schwache Zäsur in der Entwicklung des Lebensverlaufs westdeutscher berufstätiger Frauen und Mütter“ gewesen, da es markante Veränderungen etwa in Bezug auf Karrierechancen erst nach der deutschen Einheit gegeben habe (S. 156). Markante Einschnitte der 1980er-Jahre, etwa das 1980 erlassene Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz, bleiben hingegen unerwähnt. Dies verweist vor allem auf die bislang geringe Zahl von historischen Forschungen zur Frauenarbeitspolitik vor der „Wende“, auch für die DDR.

Durch Neumaiers Perspektive treten bekannte, aber eher selten so direkt gegenübergestellte Unterschiede der familienpolitischen Ausrichtung beider deutscher Staaten anschaulich hervor. So war die politisch geförderte Erwerbstätigkeit von Frauen in der DDR ab den 1950er-Jahren nicht nur ideologisch gestützt (Ideal der Emanzipation durch Erwerbsarbeit), sondern aufgrund des Arbeitskräftemangels eine wirtschaftliche Notwendigkeit. In der Bevölkerung herrschte wie im Westen allerdings zunächst auch das der Frauenarbeitspolitik hinderliche Leitbild der „bürgerlichen Kernfamilie“ vor. Umso entscheidender für die politische Agenda wirkte sich die Rhetorik des Politbüros des ZK der SED aus, dessen „Frauenkommuniqué“ 1961 Neumaier als Zäsur und Ausgangspunkt einer jahrelangen „öffentlich gelenkt[en] Debatte über die Rolle der Frau in der DDR“ wertet (S. 114). Frauen wurde damit eine wichtige Bedeutung innerhalb der sozialistischen Gesellschaft sowohl für die Familie als auch das Berufsleben zugeschrieben, ohne dabei jedoch auf die damit einhergehende Doppelbelastung zu reagieren. Weitere politische Einschnitte folgten mit dem Familiengesetzbuch, das seit 1966 Individualinteressen den staatlichen politischen Zielen unterordnete, sowie der neuen Verfassung 1968, in der die „Pflicht zur Arbeit“ verankert wurde. Die ab 1971/72 unter Erich Honecker betriebene „Muttipolitik“ sollte durch verschiedene Maßnahmen, wie mehr Urlaub, höhere Beihilfen und den weiteren Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, die Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen fördern und für ein stabiles Geburtenniveau sorgen.

Für Ost- wie Westdeutschland kann Neumaier zeigen, dass die politisch gewollten und geförderten Rollenideale vielfach von der gesellschaftlichen Realität abwichen. Beispielsweise arbeiteten in der DDR trotz politisch ablehnender Haltung in den 1970er-Jahren rund 30 Prozent der Frauen in Teilzeit; die Initiativen zur Förderung der Vollzeiterwerbstätigkeit zeigten statistisch gesehen nur einen geringen Effekt. Auch erbrachten staatlich gelenkte Versuche zur beruflichen Weiterqualifizierung sowie zur Förderung von Frauen in naturwissenschaftlich-technischen Berufen häufig nicht die gewünschte Erfolgsquote. So blieben trotz deutlicher Unterschiede zum Westen auch in der DDR Fachrichtungen wie Elektrotechnik und Maschinenwesen männlich dominiert. In der Bundesrepublik zeigten sich besonders in den 1950er-/1960er-Jahren deutliche Diskrepanzen, als trotz des Rollenideals der Hausfrau und Mutter die Quote der berufstätigen Ehefrauen kontinuierlich stieg. Ursächlich dafür war vor allem die wirtschaftliche Notwendigkeit von zwei Verdiensten in Arbeiterhaushalten und Familien der Mittelschicht, um auf Dauer einen höheren Lebensstandard zu erreichen. Ab den 1970er-Jahren kam im Kontext der Individualisierungstendenzen für westdeutsche Frauen zudem noch der Anspruch auf Selbstverwirklichung als Faktor für Erwerbsarbeit hinzu.

Dass trotz unterschiedlicher, divergierender frauen- und familienpolitischer Leitlinien viele Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in DDR und BRD durchweg bestehen blieben und teils bis heute in Deutschland bestehen, lässt sich unter anderem auf eine von Neumaiers Hauptthesen zurückführen, die sich durch seine gesamte Argumentation zieht: Die „Geschlechterrollen bei Haushaltsführung und Kindererziehung“ sieht er überzeugend als eine „zentrale Kontinuitätslinie“ bis heute (S. 157). Aus der überwiegend von Frauen zu lösenden Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit, Kindererziehung und Haushaltsführung resultierten im Westen wie im Osten eine Reihe an Problemen, wie Gehalts- und Qualifizierungsunterschiede oder ein höheres Risiko für Altersarmut. Wenngleich sich für die Bereiche Erwerbstätigkeit und Kindererziehung deutliche Veränderungen ausmachen lassen, zeigt sich hinsichtlich des Haushalts, wie beharrlich sich „tradierte“ Geschlechterrollen halten. Um dies an einem anschaulichen Beispiel zu illustrieren, verweist Neumaier auf die Ergebnisse zeitgenössischer Studien, die eine höhere Beteiligung von Männern ab den 1970er-Jahren an Haushaltstätigkeiten belegen. Allerdings blieb es bei „männlich“ und „weiblich“ kodierten Tätigkeiten. Männer übernahmen tendenziell kürzere, seltenere Tätigkeiten wie Reparaturen oder Einkäufe, während Frauen weiterhin für zeitintensivere, regelmäßigere Aufgaben zuständig waren, darunter Putzen oder Wäschewaschen; ein Befund, der sich bis ins 21. Jahrhundert fortsetzt.2

Dieses Beispiel verdeutlicht die Aktualität und Relevanz von Christopher Neumaiers Überblicksdarstellung, die trotz struktureller Schwächen sowohl für eine historisch interessierte Öffentlichkeit als auch für etablierte Forscher:innen von Interesse sein kann. Um Ursachen und internationale Unterschiede von Ungleichheiten, etwa den Gender Pay Gap, verstehen zu können, ist die historische Kontextualisierung unerlässlich. Sie zeigt zudem, wie sehr gesellschaftliche, politische und rechtliche Rahmenbedingungen Geschlechterrollen und Ungleichheiten hervorbringen, stützen und diese somit veränderbar sind.

Anmerkungen:
1 Christopher Neumaier, Familie im 20. Jahrhundert. Konflikte um Ideale, Politiken und Praktiken (Wertewandel im 20. Jahrhundert, Bd. 6), Berlin 2019.
2 So kommt die aktuelle, von der DFG geförderte Studie zu Beziehungen und Familienleben in Deutschland „FReDA“ auch zu dem Ergebnis, dass sich bei zwei Dritteln der befragten Paare die Frauen um die Hausarbeiten kümmern, während über 80 Prozent der Männer für Reparaturen zuständig sind: https://www.beziehungen-familienleben.de/ergebnisse/wie-teilen-sich-maenner-und-frauen-die-arbeit-im-haushalt/ (17.03.2023).

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