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Titel
Designs on Empire. America's Rise to Power in the Age of European Imperialism


Autor(en)
Priest, Andrew
Erschienen
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
$ 145.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Nagel, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

Die „Globalisierung“ der US-Geschichte gilt Historiker:innen und Verleger:innen immer noch als lohnendes Unternehmen. So nimmt die „U.S. in the World“-Forschung mittlerweile den gesamten Zeitraum nach dem Sezessionskrieg stärker in den Blick.1 Und das in Folge des Spanisch-Amerikanischen Krieges von 1898 entstandene überseeische US-Imperium wird immer wieder als Teil eines westlichen (trans-)imperialen Systems analysiert. Bei diesem Thema treffen neuere globalhistorische Ansätze auf die klassische geschichtswissenschaftliche Debatte zur Frage, weshalb die USA 1898 – scheinbar in Abweichung von außenpolitischen Traditionen – auf den Philippinen und auf Kuba zur Kolonialmacht wurden.2 Auch die vorliegende Studie des britischen Amerikahistorikers Andrew Priest fügt sich in diese Entwicklung ein.

Priests Monografie fragt nach dem „American thinking on empire“ von 1865 bis 1885, besonders nach den Debatten über europäische Imperien. Dabei geht es dem Autor darum, die Ursachenforschung zur Expansion von 1898 auf die Zeit vor den oft untersuchten 1890er-Jahren auszuweiten. Seine ideengeschichtliche Analyse beruht auf diplomatischen und privaten Korrespondenzen, Regierungsdokumenten aus dem Congressional Record, sowie öffentlichen Reden und Artikeln, die geeignet scheinen, das Denken der „elites of the foreign policy establishment“ zu dokumentieren (S. 2).

Priest untersucht historische amerikanische Empire-Diskurse anhand von vier chronologisch geordneten Fallstudien, denen ein allgemeines Übersichtskapitel vorangestellt ist. Dieses zeigt, dass US-amerikanische Politiker seit der Frühzeit der Republik ihr „empire“ als grundsätzlich verschieden von europäischen Imperien ansahen. Die Gründergeneration positionierte die Republik bewusst außerhalb der europäischen Mächtepolitik, teilte aber die christlich-missionarischen und rassistischen Ansichten europäischer Eliten. Auch wurden einzelne Imperien je nach Weltlage differenziert bewertet. Das eigene Streben nach regionaler Hegemonie wurde primär mit einem defensiven Republikanismus begründet, tendierte aber auch zum Interventionismus, besonders in der Karibik. Bereits vor 1861 waren amerikanische Imperialismusdiskussionen ambivalent: “Americans tended to consider themselves to be anti-imperialist when they looked east toward Europe, but were imperialist when they looked south and west” (S. 41).

Die erste Fallstudie behandelt Diskurse um den französischen Imperialismus anlässlich der „Mexican Intervention” 1861–1867. Die amerikanische Haltung gegenüber dem französischen Imperialismus variierte von verhaltener Zustimmung bis hin zu offener Ablehnung, wie Priest unterstreicht (S. 55). Einigkeit bestand darin, dass die Intervention einer europäischen Monarchie und die Installation von Maximilian von Habsburg als Kaiser von Mexiko eine Gefahr für die USA darstelle. Auf der anderen Seite teilten amerikanische Außenpolitiker wie William H. Seward jedoch europäische Vorbehalte gegen das als instabil wahrgenommene Mexiko. Zwar gab es wenig Interesse an einer eigenen Annexion Mexikos, aber amerikanische Politiker formulierten einen Führungsanspruch, der laut Priest der europäischen Haltung nicht unähnlich war.

Die zweite Fallstudie behandelt den spanischen Imperialismus auf Kuba zur Zeit des Zehnjährigen Krieges, 1868–1878. Einerseits war man der Ansicht, dass Spanien sich aus Kuba zurückziehen sollte, andererseits priorisierte man ein schnelles Ende des Konflikts. Manche befürworteten einen Beitritt Kubas zu den USA, andere lehnten dies wegen „rassischer“ Unterschiede ab. Einerseits wurde die spanische Brutalität kritisiert, andererseits erlaubten Verweise auf die „uncivilized warfare“ der Rebellen Äquidistanz. Am Ende entschied sich die Regierung von Ulysses S. Grant für eine neutrale Politik, die faktisch Spanien unterstützte. Die Unterstützung Kubas blieb bloße Rhetorik: „[S]elf-interest dictated the policy during the Ten Years’ War” (S. 88). Priest schließt daraus, dass die USA sich in den 1870er-Jahren in einer „transitional decade“ befanden, in der eigene imperiale Optionen diskutiert, aber noch nicht umgesetzt wurden (S. 116).

Die dritte Fallstudie behandelt die Besatzung Ägyptens durch das Britische Empire 1882. Diese markierte den Übergang von einem informellen zu einem militärisch-bürokratischen Imperialismus. Anders als in den vorherigen Fallstudien waren die USA hier unbeteiligte Beobachter. Trotzdem variierten die Bewertungen des europäischen Imperialismus auch hier. Zwar teilten viele Amerikaner die Einschätzung, dass es Reformen Ägyptens bedürfe, um etwa die Sicherheit von internationalen Akteuren zu gewährleisten. Auch zweifelten viele an der Zivilisationsfähigkeit von „Orientals“ (S. 148). Dennoch gab es auch Sympathien für die ägyptische Bevölkerung und Kritik an der Ausbeutung durch das Britische Empire. Am Ende blieb Washington politisch distanziert. Dennoch folgert Priest aus der Beschreibung der ambivalenten Imperialismusdiskussion in den USA, dass die Affinität zu europäischen Positionen zugenommen habe (S. 153).

Die vierte Fallstudie behandelt die Kongokonferenz 1884–85, an der die USA teilnahmen. Einerseits war diese Teilnahme ungewöhnlich, andererseits stand sie in einer Tradition der Selbstwahrnehmung eines ökonomischen und humanitären Multilaterialismus jenseits innereuropäischer Machtpolitik. Auch in dieser Fallstudie wird deutlich, dass die Amerikaner den Imperialismus unterschiedlich einschätzten, nicht zuletzt wegen unterschiedlicher Vorstellungen über die Afrikaner:innen, aber auch der lokalen Absatzmöglichkeiten. Insgesamt änderte die Teilnahme an der Kongokonferenz wenig für die USA, die zurückhaltend blieben und sich kaum aktiv einbrachten. Dennoch folgert Priest, die amerikanische Teilnahme stehe für eine „increasingly evident assertiveness on the international stage and its sense of growing power, even outside of the Western hemisphere” (S. 156).

Aus den Fallstudien schließt Priest: „By the 1890s, American elites were increasingly aping the European empires they observed as they absorbed lessons from them” (S. 195). Man muss hier drei Befunde unterscheiden, die mich nicht alle gleichermaßen überzeugen können. Erstens relativiert Priest die Bedeutung der 1890er–Jahre als Phase der „Vorbereitung“ auf die überseeische Expansion im Zuge des Spanisch-Amerikanischen Krieges von 1898. Seine Untersuchung zeigt, dass amerikanische politische Eliten schon lange vor 1898 darüber diskutierten, wie die USA in das westlich-imperiale System passte. Dies wird überzeugend belegt und ist sicherlich ein wichtiger Beitrag zur Forschung der Vorgeschichte von 1898, die sich allzu oft auf die 1890er–Jahre beschränkt. Zweitens postuliert Priest einen Trend hin zu einer zunehmenden imperialen Außenpolitik nach europäischem Vorbild. In jeder Fallstudie beschreibt der Autor eine zunehmende Orientierung an den „powerful European empires“ (S. 53). Seine Formulierungen suggerieren eine lineare Entwicklung, dabei könnte man aus den empirischen Befunden genauso gut auf eine konstante Ambivalenz schließen. Drittens folgert Priest, dass der europäische Hochimperialismus einen "direct, material impact“ auf die Außenpolitik der USA hatte (S. 4). Ob diese Diskurse nicht nur wichtig für „Denkweisen“ („thought“) waren, sondern auch für Politik („policy“), bleibt jedoch ungeklärt. Sofern die Fallstudien politische Entscheidungsprozesse in den Blick nehmen, zeigt Priest nämlich wiederholt, dass sich eigentlich wenig änderte. Letztendlich bleibt auch der Einfluss dieser Diskurse auf die Ereignisse von 1898, die in der Schlussbetrachtung nur knapp behandelt werden, eine offene Frage. Zwar verweist Priest darauf, dass die USA nach der Annexion der Philippinen 1898/99 besonders auf das britische Modell des Imperialismus in Indien und Ägypten zurückgriffen. Aber folgte dies nicht einfach direkt aus der Dynamik nach 1898/99 – unabhängig von den ambivalenten Diskursen vorheriger Jahrzehnte? Da Priest seine methodologischen Kriterien für den Nachweis eines „impacts“ nicht offen legt, ist seine Hypothese nicht falsifizierbar.3 Die Behauptung der politikverändernden Ideendiffusion bildet somit lediglich einen erzählerischen Fluchtpunkt, der mit vielen Belegen illustriert, aber nicht wirklich kritisch auf die Probe gestellt wird. Dem widersprechenden Befunde werden zwar genannt, scheinen sich auf die analytischen Schlussfolgerungen aber kaum auszuwirken. Priest selbst erkennt die Unschärfe („lack of clarity“) seines Ansatzes an, wenn er schreibt, dass der ideengeschichtliche Fokus nicht zu einer einfachen Erklärung („parsimonious explanation“) führen könne (S. 6). Das steht dann allerdings im Konflikt mit seinen vergleichsweise eindeutigen Aussagen in Einleitung und Schlussteil, in denen Priest den Einfluss des europäischen Imperialismus auf die US-Außenpolitik zweifelsfrei behauptet.

Das Fazit muss entsprechend ambivalent ausfallen. Priest zeigt, dass amerikanische Eliten schon vor den 1890er-Jahren europäische Imperien diskutierten und die USA teilweise im westlich-imperialen System verorteten. Ob diese Diskurse einen entscheidenden Einfluss auf die US-Außenpolitik und die Expansion von 1898 hatten, muss jedoch weiterhin diskutiert werden.

Anmerkungen:
1 Ian R. Tyrrell, Connections, Networks, and the Beginnings of a Global America in the Gilded Age and Progressive Era, in: Christopher McKnight Nichols / Nancy C. Unger (Hrsg.), A Companion to the Gilded Age and Progressive Era, Hoboken 2017, S. 381–398. Man sollte allerdings die Neuheit solcher Ansätze nicht überschätzen, vgl. etwa Milton Plesur, America's Outward Thrust, DeKalb 1971.
2 A.G. Hopkins, American Empire, Princeton 2018; Kristin L. Hoganson / Jay Sexton (Hrsg.), Crossing Empires, Durham 2020.
3 Vgl. zum Problem (krypto-)kausaler Sprache und ihrer Implikationen: David H. Fischer, Historians' Fallacies. Toward a Logic of Historical Thought, London 1971, S. 165.

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