H. Lang: Cosimo de’ Medici, die Gesandten und die Condottieri

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Titel
Cosimo de’ Medici, die Gesandten und die Condottieri. Diplomatie und Kriege der Republik Florenz im 15. Jahrhundert


Autor(en)
Lang, Heinrich
Erschienen
Paderborn 2009: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
502 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Woelki, Institut für Geschichte, Humboldt-Universität Berlin

Die Zentrierung der außenpolitischen Aktivitäten der Republik Florenz auf die Person Cosimo de’ Medicis und die Erkenntnis, dass die offiziellen Regierungsorgane durch informelle Seilschaften, Geschäftskontakte, Klientelbeziehungen und Freundschaften überformt wurden, die weit über die Stadtgrenzen hinausgingen, ist seit langem Konsens der Forschung und entspricht den Wahrnehmungen der Zeitgenossen. Die Dissertation von Heinrich Lang greift dieses Bild nicht grundsätzlich an, sondern trägt durch eine beeindruckende Kenntnis der im Florentiner Staatsarchiv aufbewahrten Bestände, vor allem des mehrere zehntausend Dokumente umfassenden Medici-Nachlasses (Mediceo avanti il Principato), zu einem differenzierteren Verständnis der Handlungsmuster einer größeren Gruppe außenpolitischer Akteure bei. Traktatliteratur und in anderen Archiven aufbewahrte Gesandtschaftskorrespondenz werden weitgehend ausgeklammert.

Methodisch innovativ werden hier erstmals konsequent sozialgeschichtliche Paradigmen, die in der neueren Forschung zu anderen Epochen entwickelt wurden, auf den Bereich der auswärtigen Beziehungen der Republik Florenz übertragen: Neben dem Konzept des „Gewaltmarktes“, das hier schlüssig für die spätmittelalterlichen Condottieri fruchtbar gemacht wird (S. 338–345), orientiert sich die Arbeit vor allem an dem von Wolfgang Reinhard und Schülern für das Barockpapsttum entwickelten Konzept einer „mikropolitischen“ Verflechtungsanalyse interelitärer Beziehungen (S. 30–41). Eine besondere Stärke der Arbeit ist dabei die sensible Anpassung des Konzeptes an die Florentiner Verhältnisse, die es ermöglicht, die anhand der frühneuzeitlichen Quellen gewonnenen Erkenntnisse für das spätmittelalterliche Florenz grundlegend zu modifizieren. War es etwa für das frühneuzeitliche System europäischer „Mikropolitik“ grundsätzlich charakteristisch, dass „von Amtsinhabern […] eher loyale als kompetente Amtsführung erwartet“ wurde1, so zeigt Lang, dass die Herausbildung patronaler, freundschaftlicher, kommerzieller oder kultureller Netzwerke ohne Prozesse der Professionalisierung und der Herausbildung von spezifischer Expertise für bestimmte Aufgabenbereiche nicht denkbar war. Entscheidend für die hier gut nachvollziehbar aufgezeigte kontinuierliche Verengung des für wichtige Gremienposten und repräsentative Gesandtschaften infrage kommenden Personenkreises in der Zeit Cosimo de’ Medicis waren neben persönlichen Kontakten zu den jeweiligen auswärtigen Verhandlungspartnern vor allem die für die jeweiligen Aufgaben erforderlichen Kompetenzressourcen: juristische und humanistische Bildung, Erfahrung mit bestimmten außenpolitischen Konstellationen, Verhandlungsgeschick, rhetorische Fähigkeiten, Sprachkenntnisse usw. So stand der Weg in die Florentiner Führungselite, deren Zahl Lang zwischen einem Dutzend (S. 418) und etwa 25 Personen (S. 210) ansetzt, in der Mitte des 15. Jahrhunderts nicht nur Söhnen Florentiner Patrizierfamilien, sondern auch gelehrten Aufsteigern wie Guglielmo Tanagli, Tommaso Salvetti, Carlo Federighi und anderen offen (S. 187f.).

Der Aufbau der Dissertation ist konsequent systematisch und folgt keinem chronologischen Leitfaden. Im ersten Hauptteil (S. 65–109) werden in selten erreichter Prägnanz die komplizierten Florentiner Verfassungsverhältnisse erklärt, insbesondere die einflussreichen aber institutionell schwer greifbaren außerordentlichen Gremien der Dieci di Balìa und der Consulte e pratiche. Die hier klar zu Tage tretende immense Bedeutung von Reden für politische Entscheidungsprozesse zeigt, dass in diesem Bereich die Methoden der jüngeren Oratorikforschung stärker Anwendung finden sollten.

Der zweite Teil der Arbeit (S. 113–313) führt weg von den in der Forschung zum spätmittelalterlichen Gesandtschaftswesen bereits gut untersuchten institutionellen und rechtlichen Aspekten außenpolitischen Handelns und rekonstruiert Figurationen von Gesandten und zwischenstaatlichen Mittelsmännern. Äußerlich weiterhin systematisch aufgebaut, bringt Lang hier im Grunde eine Sequenz exemplarischer Einzelbiographien von Persönlichkeiten, die erst durch die direkt aus Archivalien rekonstruierten lebensgeschichtlichen Details in ihren politischen Funktionen und vielschichtigen Vernetzungen greifbar werden. So werden die wichtigsten Gesandten der Republik, Agnolo Acciaiuoli, Neri Capponi, Bernardetto de’ Medici und andere, die häufig mit wichtigen Missionen betraut und deren Gesandtschaften regelmäßig verlängert wurden, hier erstmals eingehend behandelt. In einem weiteren Schritt werden auswärtige Verbindungsleute wie Uguccione Contrari, Gaspare da Todi und Giovanni Cossa vorgestellt, die durch Informationsaustausch und gegenseitige Fürsprache mit der Florentiner Führungselite für Kontinuität und Stabilität zwischenstaatlicher Beziehungen sorgten. Auch für das vergleichsweise gut erforschte Phänomen der Verbindung von Bankgeschäften und politischer Einflussnahme führt die exemplarische Analyse der Aktivitäten der Medici-Bankiers zu neuen Einsichten. Beispielsweise war die Briefkorrespondenz des Roberto Martelli, der auf dem Basler Konzil eine Filiale der Medici-Bank leitete, bislang zu wenig für das Zustandekommen des Unionskonzils von Ferrara-Florenz ausgewertet worden (S. 272–276).

Methodisch richtungweisend ist darüber hinaus die konsequente Zusammenschau von diplomatischen und militärischen Aspekten des außenpolitischen Handelns. Wurden bereits auf der institutionellen Ebene militärische und diplomatische Verhandlungsgegenstände gemeinsam behandelt, zeigt Lang im dritten Abschnitt (S. 317–417), dass Kontakte zu den Söldnerkapitänen grundsätzlich nach ähnlichen Regeln abliefen wie diplomatische Beziehungen zu auswärtigen Mächten. Neben einer aus Florentiner Besoldungslisten gearbeiteten Typologie der Condottieri, die auch die in der Masse bedeutenden Führer von kleinsten Kontingenten angemessen erfasst (S. 336f.), bietet der Abschnitt vor allem eine Analyse von symbolischen und ökonomischen Strategien, mit denen es gelang, Loyalitätsverhältnisse zu Söldnerkapitänen zu schaffen, die auch über die meist auf kurze Zeit abgeschlossenen Verträge hinausgingen. Hierzu gehörten insbesondere eine Reihe von öffentlichen Ehrungen für erfolgreiche Condottieri und ein Besoldungssystem durch Staatsanleihen, für deren Einlösung der Söldnerführer auf dauerhaft gute Beziehungen nach Florenz angewiesen war.

Neben zahlreichen, für künftige Forschungen zur Florentiner Geschichte wertvollen prosopographischen Details, die durch eine Liste der Gesandten und Kommissare (S. 470–479), eine Übersicht der Florentiner Gesandtschaften (S. 480–485) und ein Namensregister (S. 490–502) erschlossen werden, liefert der Band ein überzeugendes Plädoyer für eine stärker sozial- und personengeschichtlich fundierte Geschichte zwischenstaatlicher Beziehungen.

Anmerkung:
1 Wolfgang Reinhard, Amici e creature. Politische Mikrogeschichte der römischen Kurie im 17. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 76 (1996), S. 308-334, hier S. 330; vgl. zusammenfassend und programmatisch Birgit Emich u.a., Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für historische Forschung (2005), S. 233-265.

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