Titel
Abraham Lincoln. Begründer des modernen Amerika


Autor(en)
Gerste, Ronald D.
Erschienen
Regensburg 2008: Pustet
Anzahl Seiten
S. 272
Preis
€ 26,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger von Dehn, Historisches Seminar, Fachbereich A (Neuere und Neueste Geschichte), Bergische Universität Wuppertal

„Now he belongs to the ages“ – dies waren die poetischen Worte von Kriegsminister Edwin M. Stanton, als Abraham Lincoln am 15. April 1865 an den Folgen des Attentats verstarb. Ob die vorgelegte Biografie über den Vater der geeinten USA gleichsam über Jahre Bestand haben wird, sei den Lesenden überlassen. In 26 zum Teil sehr kurz gefassten Kapiteln wird der Leser durch das Leben Lincolns getragen, ohne genau zu wissen, wohin die Beschreibung des Mannes wirklich führen soll. Sie beginnt in Lincolns Kinderjahren und endet letztlich im modernen Washington. Dabei fehlt es nicht an Dramatik – sei es in den ländlichen Ebenen der Frontier, wo Lincoln jede Chance der Bildung wahrnahm, oder bei der Beschießung von Fort Sumter, die den Beginn des Bürgerkrieges markiert.

Die Atmosphäre und Stimmung im Amerika des 19. Jahrhunderts ist auf jeder Seite spürbar und reicht in ihrer Wirkung bis an den Anfang des 21. Jahrhunderts. In jeder Zeile finden sich neue Aspekte, die den Lincoln-Mythos weiter erhalten und sogar ausweiten lassen. Allgegenwärtig ist dabei die Ideologie des American Dream, den Lincoln als Autodidakt so brillant für sich umzusetzen wusste. Freilich darf nicht der Verweis auf seinen 28. Amtsnachfolger, Barack Obama, fehlen, der ebenfalls seinen Weg als Anwalt von Springfield, Illinois, bis ins Weiße Haus an den Ufern des Potomac gefunden hat (244f.).

Gerste verliert keine Facette des Lebens und Charakters des 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika aus den Augen. Als Familienmensch wird Lincoln gezeigt, der sehr früh lernen musste, auf eigenen Beinen zu stehen. Nur schwer konnte er den frühen Tod seiner Schwester verkraften. Prägen sollte ihn aber die Beziehung zu seiner Stiefmutter Sarah Bush Johnston, die seinen Hunger nach Bildung, Wissen und Literatur stillte. Erkenntnisreich ist Gerstes frühes Urteil, dass Lincoln von Anfang an der Überzeugung folgte, für ein besseres Leben bestimmt zu sein – fernab des Lebens auf dem Mississippi und weit weg von den gesellschaftlichen Abgründen einer werdenden Metropole: New Orleans. Eben dort sammelte der junge Abe seine ersten Erfahrungen in Sachen Sklaverei, die sich wie ein Schatten über die Nation ausbreitete.

Von dort zog es ihn weiter nach New Salem, wo er geschäftstüchtig einen Krämerladen übernahm, der zugleich Postamt und Zeitungsgeschäft war. Bevor die Tagespresse an die eigentlichen Abonnenten – eine Handvoll waren es – verteilt wurde, hatte Lincoln sich selbst der Lektüre hingegeben. Seinem Charakter entsprechend hatte er die Chance genutzt, auf diese Weise neue Erkenntnis über sein Land anzuhäufen. Immer politischer wurden seine Weltsicht und sein Urteil über das Leben in den sich weiter konsolidierenden USA. Schnell wusste er vor diesem Hintergrund die Weichen für den Zug zu stellen, mit dem er nach Washington D.C. fahren würde. Der Zwischenhalt im Staatsparlament von Illinois ab August 1834 war eine zwangsläufige Notwendigkeit auf der Politstrecke vom Mittleren Westen an die Ostküste.

In schnellen Schritten muss der Leser versuchen, noch auf den Zug aufzuspringen, um nicht den Anschluss zu verpassen. Wenig Zeit bleibt ihm da für den genauen Blick auf die Lage der Abolitionisten, der organisierten Sklavereigegner. Auf dem Fahrplan stehen stattdessen die Fortsetzung der politischen Karriere Lincolns, der Bürgerkrieg, die Schlacht bei Gettysburg und einige Sternstunden der Demokratie. Bei keinem der Ereignisse darf man mit Verspätung ankommen.

Im Präsidentschaftswahlkampf von 1840 wurde sein Name über die Grenzen Illinois bekannt. Trotz des sich einstellenden politischen Trubels vergaß Lincoln das Privatleben nicht und führte zwei Jahre später Mary Todd zum Traualtar. Mit ihr an seiner Seite waren die Probleme des politischen Lebens in Springfield gelöst und neue Freundschaften geschlossen. Eben diese würden Lincoln über die kommenden Jahre begleiten. Besonders galt dies für seine Bekanntschaft mit Stephen Douglas. Dies waren wiederum nur Wegmarken auf der langen Strecke zum Präsidentenamt, in das er im März 1861 vereidigt wurde. Fortan wollte Lincoln ein Land führen, das innerlich zerrissen war. Mit der beginnenden Sezession der Südstaaten von der Union und der Formierung der Confederate States of America konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis es zum Bürgerkrieg kommen musste. Denn: der neue Präsident ließ wenig Zweifel daran, dass er die Rebellion des Südens nötigenfalls mit Waffengewalt beenden wolle, wenn auf diese Weise die Stabilität der Vereinigten Staaten gewährleistet werde. Er war bereit, als Kriegspräsident zu handeln. In den folgenden Jahren würde er mehr als einmal zeigen können, dass er dieser Rolle gewachsen sein sollte.

Gerste weiß dies mit unterschiedlichsten Anekdoten auszuschmücken. Wiederum liegt es am Leser, sich aus den beschriebenen Episoden des Bürgerkrieges ein eigenes Bild zu schaffen, in das Lincoln einzupassen ist. Dabei bleibt Gerste sich treu, da er von allem etwas liefert – sei es allgemeine US-Geschichte, Lincolns Familienleben im Weißen Haus, militärgeschichtliche Zusammenhänge oder der bisweilen juristisch geführte Kampf gegen Sklavenhändler noch vor dem Bürgerkrieg. Die historische Einordnung der Gettysburg-Rede bildet dabei einen der seltenen Höhepunkte der vorliegenden Lebensbeschreibung.

Mit dem Ende des Bürgerkrieges nahte auch das Ende Abraham Lincolns. Tödlich vom Schuss John Wilkes Booth’ verletzt, starb Lincoln innerhalb weniger Stunden. Geboren wurde der Mythos, dem Gerste in einem Epilog nachspürt. Was bleibt vom größten aller amerikanischen Präsidenten übrig, nachdem das Schlaglichtgewitter vorbeigezogen ist? Gerstes Biografie steht tendenziell in der Tradition der Biografie von Joseph J. Ellis über George Washington und dem Werk Edmund S. Morgans über Benjamin Franklin, wobei diese beiden deutlich sachlicher wirken. Der Common Man wird den Einblick in das Leben Abraham Lincolns bei Kaminfeuer und einem Glas guten Rotwein genießen. Der übersichtlich gehaltene Anmerkungsapparat dürfte eine solche Lektüre fördern und unterstützen. In einem neuen Licht wird Lincoln sicher nicht präsentiert. Erwartungsvoll ist der Biographie Jörg Naglers über Abraham Lincoln entgegenzusehen. Dennoch: Gerste weiß einem großen Leserkreis das Leben Abraham Lincolns näher zu bringen und die Geschichte der USA in ihrer Entwicklung zu „einer“ Nation zu reflektieren.

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