Cover
Titel
Adel und Adelskultur in Bayern.


Herausgeber
Demel, Walter; Kramer, Ferdinand
Reihe
Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Beiheft 32
Erschienen
München 2008: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
IX, 532 S.
Preis
€ 16,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele Haug-Moritz, Institut für Geschichte, Karl-Franzens-Universität Graz

Der vorliegende, laut Geleitwort von der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften initiierte Band wurde als wissenschaftlicher Begleitband zur bayerischen Landesausstellung des vergangenen Jahres („Adel in Bayern. Ritter, Grafen, Industriebarone“1) konzipiert. Zog die Ausstellung die Linie von den mittelalterlichen Anfängen adeligen Lebens in Bayern bis zur Gegenwart aus, so konzentriert sich der Band auf dessen neuzeitliche Geschichte. Zwölf der fünfzehn thematischen Beiträge wenden sich, geordnet nach den Rubriken „Recht und Herrschaft im Land“ (S. 13-158), „Adelsherrschaft und ländliche Gesellschaft“ (S. 159-209), „Adelige Wirtschaft und adelige Statussicherung“ (S. 211-268), „Öffentlichkeit – Kulturelle Teilhabe – Bildung“ (S. 269-346), der frühneuzeitlichen Geschichte zu. Die Aufmerksamkeit, die in der Adelsforschung der vergangenen Jahre gerade dem mit den „Herausforderungen der Moderne“ konfrontierten Adel zuteil wurde, schlägt sich mit drei Beiträgen (Wüst, Krauss, Wienfort) im Band eher peripher nieder (S. 347-418). Insgesamt gesehen freilich spiegelt die ungleichgewichtige Abbildung des 16. bis 18. und des – lange Zeit als „bürgerliches“ Zeitalter geltenden – 19. Jahrhunderts durchaus die derzeit existierende Forschungssituation zur Adelsgeschichte wider.

Eine knappe Einleitung (S. 1-9) und eine ausführlichere Zusammenfassung, die auch die Beiträge des Sammelbandes einzeln vorstellt (S. 419-434), aus der Feder der beiden Herausgeber runden den mit einer Auswahlbibliographie versehenen und durch ein Personenregister erschlossenen Band ab.

Der Band, dessen Beiträgerinnen und Beiträger2 größtenteils die Neuansätze der allgemeinen Adelsforschung fruchtbringend auf den landesgeschichtlichen Bezugsrahmen anwenden, liefert aus bayerischer Perspektive einen weiteren Baustein zur derzeit sehr intensiv erforschten Geschichte des europäischen Adels.3 Räumlich wird unter Bayern dabei das heutige, historisch auch Teile des fränkischen und schwäbischen Raumes umfassende Bundesland verstanden. Dass trotz der räumlichen Begrenzung allein schon aufgrund des weit gespannten zeitlichen Rahmens auch für diese Publikation gilt, was sich nahezu über jeden Sammelband sagen lässt – es werden eher Schlaglichter auf die Thematik geworfen, denn ein auch nur annähernd kohärentes Bild des vorgestellten Phänomens gezeichnet –, ist den Herausgebern nicht zum Vorwurf zu machen. Bedauerlicher hingegen ist, dass die Leserin/der Leser nicht darüber informiert wird, warum für die Adelsgeschichte so zentrale Themenbereiche wie beispielsweise „Adel und Hof“ oder „adeliges Frauenleben“ nur am Rande oder, im letztgenannten Fall, „nur“ in Hinblick auf die Rolle des Konnubiums (Merz, Ksoll-Marcon, Schraut) in den Blick kommen. Doch nicht nur Schlüsselthemen der allgemeinen Adelsgeschichte sind im Band nicht repräsentiert, sondern auch Schlüsselereignisse der bayerischen Adelsgeschichte, allen voran die so genannte „Adelsverschwörung“ von 1563/644, fehlen. Welche konzeptionellen Überlegungen oder pragmatischen Notwendigkeiten diese Leerstellen evozierten, wäre (zumindest) einiger weniger Worte wert gewesen.

All dies tut den vielen, zum Teil vorzüglichen Beiträgen des Bandes keinen Abbruch. Als ein besonderes Verdienst erscheint mir, dass die Beiträge die Vielgestaltigkeit dessen, was Adel (nicht nur in Bayern) bedeutet, eindrücklich abbilden. Dass sich dabei gleich mehrere Beiträge (Merz, Wieland, Greindl, Krauss) dem, in der bayerischen landesgeschichtlichen Forschung eher zu den „randständigen Themen“ (Merz, S. 13) gehörenden, nicht-fürstlichen Hochadel zuwenden respektive diesen auch zum Gegenstand der Betrachtung machen, erscheint mir besonderer Erwähnung wert. Ebenso veranschaulichen gleich etliche der Beiträge, welcher – auch ökonomischer – Anstrengungen es bedurfte (Steinbrink, Kellner) und welch vielgestaltige Strategien in der Frühen Neuzeit wie im 19. Jahrhundert verfolgt wurden, um adeligen Status zu behaupten, zu festigen und zu tradieren (Ksoll-Marcon, Schraut, Römmelt, Spiegel, Greindl, Krauss). Dass dabei nicht alle Adeligen gleichermaßen erfolgreich waren, sondern dass die Aussichten, den eigenen sozialen Status zu behaupten bzw. auszubauen, im frühneuzeitlichen Bayern für den in fürstlichen Diensten stehenden und in den Landständen präsenten alten Adel ebenso besonders viel versprechend waren wie für die Standesherren im 19. Jahrhundert (Paringer, Krauss), verdeutlicht der Band zudem.

Und schließlich wirft der Band auch noch ein neues Licht auf den Zusammenhang von Gerichtswesen und adeliger Selbstbehauptung. Denn auch wenn die Bereitschaft adeliger Herren, ererbte, gerichtlich anhängige Konflikte mit ihren Untertanen schiedlich beizulegen (Kellner; zu den Hofmarksrechten vgl. Heydenreuter), davon kündet, dass landesherrliche Eingriffe in die adelige Gerichtsbarkeit als prekär wahrgenommen wurden, so greift doch, wie der Beitrag von Christian Wieland zeigt, die ausschließliche Perspektivierung des Gerichtswesens als Mittel, die „privilegierte Integration“ (S. 111) des Adels in das Gemeinwesen zu bewerkstelligen, zu kurz. Gerade die gestufte Gerichtsbarkeit des Alten Reiches erlaubte es – bezeichnenderweise primär den Angehörigen des nicht-fürstlichen Hochadels –, diese Struktur zu nutzen, um dem Landesfürsten vor den höchsten Reichsgerichten auf „Augenhöhe“ zu begegnen und das Gericht zu einem „Medium der adeligen Selbstbehauptung im Prozess der Staatswerdung“ (S. 135) zu machen. Dem Gerichtswesen, vor allem der Patrimonialgerichtsbarkeit, für das Verständnis adeligen Lebens in Bayern auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr Aufmerksamkeit zu widmen als dies bislang geschehen ist, dafür plädiert auch Wolfgang Wüst.

Kurzum: Der Band eröffnet, trotz seiner Lücken, neue Einblicke, vertieft bestehende Erkenntnisse adelsgeschichtlicher Forschung landesgeschichtlich und ist daher vorrangig – aber nicht nur – denjenigen zu empfehlen, die an Adelsgeschichte interessiert sind. Und da er zudem noch zu einem äußerst kostengünstigen Preis zu erwerben ist, bleibt als Fazit nur – Anschaffung lohnt.

Anmerkungen:
1 <http://www.hdbg.de/adel/index.php> (26.5.2009).
2 Das Inhaltsverzeichnis kann auf <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de> als Zusatz zu dieser Rezension abgerufen werden. Im Folgenden wird daher nur der Name der Beiträgerin/des Beiträgers genannt.
3 Allein im deutschsprachigen Raum erschienen jüngst zwei neuere Synthesen, die auch den Einstieg in die aktuelle internationale Adelsforschung erlauben: Ronald G. Asch, Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit, Köln 2008; Michael Sikora, Der Adel in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2009.
4 Hierzu zuletzt: Christian Wieland, Die bayerische Adelsverschwörung von 1563. Ereignis und Selbstdeutungen , in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 2, <http://www.zeitenblicke.de/2005/2/Wieland/index_html> (26.5.2009), URN: urn:nbn:de:0009-9-1326.