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Titel
Der Orientalist. Auf den Spuren von Essad Bey


Autor(en)
Reiss, Tom
Erschienen
Berlin 2008: Osburg Verlag
Anzahl Seiten
470 S.
Preis
€ 25,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Wolfgang G. Schwanitz, Gloria Center, Herzliya, Israel

Tom Reiss hat eine recht spannend erzählte Lebensbeschreibung Essad Beys vorgelegt, die hier kurz vorgestellt wird, um sodann zwei Themen zu vertiefen. Dieser investigative New Yorker Reporter erkundet das Werden eines Mannes mit mehreren Identitäten: Lev Nussimbaum, Mohammed Essad Bey und Kurban Said. Doch berühmt wurde der in Baku 1905 gebürtige Orientale zweieinhalb Jahrzehnte später als Essad Bey. Unter dem Namen erschienen auf Deutsch seine Memoiren "Blut und Öl im Orient", die Biografien Stalins, Mohammeds 1, Reza Schahs und der Liebesroman "Ali und Nino". Lev scheiterte jedoch, als er sich Mussolini für eine Biografie annähern wollte. Lev, der nämliche "Orientalist" und Medienstar der Weimarer Republik, verstarb verarmt 1942 im italienischen Positano.

Lev kam aus einer begüterten, obzwar sehr zerrissenen Familie. Sein Vater Abraham war ein Erdölmillionär, seine Mutter eine bolschewistische Revolutionärin. Sie half Stalin als er noch von Baku aus seine Fäden im Kaukasus zog. Lev traf ihn auch später noch und nannte ihn den „Pockennarbigen“ oder „Seminaristen“. Doch was Joseph Djugaschwili alias Stalin auch durch Levs Mutter anzettelte, sollte den jüdischen Nussimbaums gar nicht bekommen. Nicht nur, dass Levs Vater erst die Mutter aus dem zaristischen Gefängnis holen musste und dass diese schliesslich Selbstmord beging. Sondern der Unternehmer und sein behüteter Sohn mussten vor den roten Garden nach Turkestan und Iran flüchten.

Mithin floh auch Lev, geboren im Revolutionsjahr in Azerbaidschans ost-westlicher Öl-Metropole 2, vor den roten und weissen Revolutionären sowie vor dem Bürgerkrieg, bis er und sein Vater über die Türkei nach Deutschland kamen. Dies war in der Nachkriegszeit gleichwohl durch revolutionäre Unruhen geplagt. Die schwarze Gegenrevolution, die zur Machtergreifung der Nazis führte, bahnte sich ihren rassistischen Weg als Lev wohl die glücklichste Zeit seines Lebens durchlief. Er hatte am Berliner Seminar für Orientalische Sprachen noch Arabisch und Türkisch studiert, galt als Kenner des Orients und war auch durch seine wöchentlichen Texte im Magazin "Die Literarische Welt" bekannt.

Rapide bergab ging es mit ihm, der sich schon lange gern als muslimischer Prinz ausgab, kleidete und 1922 gar in der Berliner Türkischen Botschaft zum Islam übertrat, seit Adolf Hitler regierte. Zwar konnte Lev noch nach New York emigrieren, dort Jahre auf großem Fusse leben und mit Hollywood liebäugeln. Aber dieser "Orientalist" vermochte sich nicht im tief materialistischen Westen zu erwärmen. Zudem verrechnete er sich voll gegenüber Italiens Faschisten. Was für glanzvolle Weimarer und New Yorker Wege, was für ein bitteres Ende an der Amalfiküste! Dort ereilte ihn zudem die schlimme Nachricht, das sein Vater wohl 1941 von Wien nach Treblinka kam und dort umgebracht worden ist.

Nun zur Diskussion. Es sind im Grunde zwei Punkte, die mir aufgefallen sind. Der eine betrifft die schwache Einordnung von Levs Leben in die Berliner Islampolitik; der andere dreht sich um die Wurzeln und Teile der Nazi-Lehren. Laut Reiss war die türkisch-deutsche Achse Enver Paschas Werk. Der Kriegsminister habe die "Wagnerianische Götterdämmerung" mit dem Jihad verbunden. Ja und Nein. Ja, da der Jungtürke diese Kriegschance benutzte, lieber das türkische Kernland ethnisch rein als ein Vielvölkerreich nur geteilt zu besitzen.

Und Nein, die Deutschen hatten diesen Jihad schon ab 1898 im Auge. Da bereiste Kaiser Wilhelm II. das Heilige Land, wobei ihm zuvor Max von Oppenheim, ein Diplomat in Kairo, die Potenzen des Jihads im kolonialen Hinterland möglicher Feinde beschrieb. 3 Der Kaiser setzte aber keineswegs das Gerücht in die Welt, er sei zum Islam konvertiert. Dafür erklärte er sich zum ewigen Freund der Muslime. Ab 1914 hat er den Jihad in den kolonialen Räumen unter britischer, französischer und russischer Macht entfachen lassen.

Der Autor beschreibt Massaker an Armeniern 1915 und 1916. Er sagt, genaue Daten gäbe es nicht. Was jedoch dazu überliefert ist, ist ein unglaubliches Eingeständnis seitens eines Mitbetreibers des Massenmords an Armeniern, überliefert in einer Gesprächsnotiz Gustav Stresemanns. Dieser nationalliberale Reichstagabgeordnete reiste Anfang 1916 auf den Balkan und in die Türkei. Davon gibt es sein als Manuskript abgeschriebenes Tagebuch.

Demnach empfing der nachmalige Friedensnobelpreisträger jenen Enver Pascha. Der gut Deutsch sprechende Minister erklärte dem Berliner gleichwohl: seine Regierung hätte bis zu einer Million Armenier-Vemögen entschädigungslos beschlagnahmt (als "Requisition ohne Bezahlung"); zwischen einer und anderthalb Millionen Armenier seien umgebracht worden (Stresemann notierte dieses so: "Armenier-Verminderung 1 - 1 1/2 Millionen"). 4
Reiss skizziert einen Kreislauf von russischen Provokationen, indem Armenier christlich und separatistisch revolutioniert worden seien, und entsprechende türkische Reaktionen. Wie auch immer die vorausgehenden Ereignisse gewesen sein mögen, sie rechtfertigen ja nicht jenen grausigen Massenmord, den die Berliner Jihadpolitik noch beflügelt hat. Das zeigen auch Texte 5| über Wilhem II. als Kriegsherrn: Er und seine Umgebung betrieben zum einen die afro-asiatische Jihadisierung und wussten zum anderen genau, wie Türken die Armenier unter diesem deutsch-osmanischen Jihad-Aufruf abgeschlachtet haben.

Ferner behauptet Reiss, von den deutsch-russischen Emigranten hätte der Antisemitismus in Deutschland die Idee der "Endlösung" und der "völkischen Umgestaltung des Ostens" bis vor Moskau übernommen. Dies greift etwas zu kurz, zumal im vorherigen Kriege der Tod den Alltag geprägt hat. Er radikalisierte auch den jungen Adolf Hitler, der durch und durch von den Wiener Arten des Germanentums und Judenhasses durchdrungen war. Der durch ihn und seine "völkischen Leute" bewirkte "ostmärkische Transfer" nach München und Berlin wirkte ebenso stark wie das, was an Judenhass und Terror aus Osteuropa kam.

Hitler, so argumentiert Reiss, habe es nie offen bekannt, dass ihm auch die "Protokolle der Weisen von Zion" als Vorlage für seinen Rassekrieg galten. Das Gegenteil trifft zu: Hitler hat nicht nur diese "Protokolle" ab 1924 in "Mein Kampf" propagiert (ob sie wahr oder nicht seien, das wäre egal: die Juden würden sich halt so verhalten). Man muss auch sagen, dass Hitler taktisch bewusst nur einen "jüdisch-bolschewistischen Feind" stilisiert hat, denn, so meinte er, in Wien habe man Judenhass ideologisch fundiert, aber das müsse rassisch getan werden. Also ein böser Wind wehte nicht nur vom russischen Osten her, wie es Reiss sagt, aus dem roten Reich, sondern vor allem auch aus dem Vielvölkerreich der Habsburger. So viel zur Debatte, die indes keineswegs den großen Wurf schmälern soll, der Tom Reiss auch durch seine fesselnde Erzählweise mit der Beschreibung von Levs Leben gelungen ist.

Anmerkungen:
1 Meine Besprechung zu: Bey, Essad, Mohammed. München 1993, in: Comparativ, Leipzig, 3(1993)6, S. 128-131.
2 Deutsche Erdöl-Geschichte und Baku: Auch, Eva-Maria, Öl und Wein im Kaukasus. Deutsche Forschungsreisende, Kolonisten und Unternehmer im vorrevolutionären Aserbaidschan, Wiesbaden 2001; Eichholtz, Dietrich, Krieg um Öl. Ein Erdölimperium als deutsches Kriegsziel (1938-1943), Leipzig 2006.
3 Ausf. mein Aufsatz: The Bellicose Birth Of Euro-Islam In Berlin, in: al-Hamarneh, Ala; Thielmann, Jörn, (Hrsg.), Islam and Muslims in Germany, Leiden 2008, S. 183-212.
4 Dazu mein Aufsatz: Immer guter Laune: Gutmann und die Deutsche Orientbank, in: Rheinheimer, Vivian J. (Hrsg.), Herbert M. Gutmann, Leipzig 2007, S. 61-77.
5 Afflerbach, Holger (Hrsg.), Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr im Ersten Weltkrieg. Quellen aus der militärischen Umgebung des Kaisers 1914-1918, München 2005, S. 189, 192, 239, 409.

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