Titel
Histoire des Togolais de 1884 à 1960 (Vol. 2).


Herausgeber
Gayibor, Nicoué Lodjou
Anzahl Seiten
754 S.
Preis
EUR 46,00
ISBN
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joel Glasman, Universität Leipzig

Im Jahre 2005 starb General Gnassingbe Eyadema. Seit 1967 hatte er die ehemalige deutsche Kolonie Togo autokratisch regiert. Ebenfalls 2005 erschien unter der Leitung des damaligen Präsidenten der Université de Lomé und Historikers Nicoué Gayibor die zweibändige Histoire des Togolais, seit nahezu vier Dekaden die erste Gesamtdarstellung der Kolonialgeschichte Togos. 1 Nachdem der erste Band der Histoire des Togolais zur vorkolonialen Geschichte bereits 1997 erschienen war 2, musste der Leser sich noch acht weitere Jahre bis zur Publikation des zweiten Bandes gedulden, nicht zuletzt, weil der politische Kontext die wissenschaftliche Arbeit stark erschwerte. Schließlich gelang es dem Herausgeberteam um Gayibor, den Historikern Badjow Tcham und N'buéké Goeh-Akue und dem Geographen Yves Marguerat, die Zusammenarbeit von immerhin 28 Togospezialisten aus verschiedenen Fächern (Anthropologie, Archäologie, Demographie, Geographie, Geschichte, Germanistik, Literaturwissenschaft, Philosophie, Recht und Soziologie) und Ländern (Togo, Deutschland, Frankreich, USA) zu koordinieren. Das Werk, dessen Aufsätze wegen des schwierigen politischen Klimas in Togo teilweise von mehreren Autoren unterschrieben werden mussten (bis zu sechs Namen für einige Aufsätze, die politische Fragen behandeln), stützt sich auf ein sehr breites Fundament. Es fasst eine Reihe von bereits veröffentlichen und nicht veröffentlichen Werken über togolesische Geschichte, darunter die Abschlussarbeiten der beteiligten Autoren selber, aber auch zahlreiche nicht veröffentlichte Magister- und Doktorarbeiten der Université de Lomé zu einem Gesamtwerk zusammen

Das Buch ist in sechs Hauptteile strukturiert, in denen die politische, die wirtschaftliche, die demographische, die kulturelle und die soziale Dimension der Kolonialperiode Togos Berücksichtigung finden. Der letzte Teil ist dem Widerstand gegen den Kolonialismus gewidmet. Gleich in der Einleitung setzt Gayibor die Ziele des Werkes fest: es soll der Demokratisierung Togos dienen und somit sowohl die wissenschaftliche als auch die politische Debatte anregen. Die pädagogische Dimension wird nicht außer Acht gelassen, denn es gehe darum, so Gayibor, "den Togolesen zu erklären, dass sie die untrennbaren Elemente eines selben Staates sind, oder besser: einer entstehenden Nation" (« expliquer aux Togolais ce qui fait d’eux les éléments indissociables d’un même Etat, mieux d’une nation en gestation », S.20). Gleichzeitig soll diese Studie in den Augen des Herausgebers der Überwindung des "Schocks der Kulturen" ("choc des civilisations", S.19) in Togo dienen, das heißt der wissenschaftlichen Verarbeitung des oft politisch manipulierten regionalen Unterschieds zwischen den ethnischen Gruppen des Nordens und des Südens. Dieser Anspruch zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch.

Auf die einzelnen inhaltlichen Aspekte des Werkes kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Die Histoire des Togolais synthetisiert eine beeindruckende Anzahl an Forschungsergebnissen, deren Komplexität diese kurze Rezension nicht wiedergeben kann. Das Buch fasst erstmalig viele verstreute Informationen zusammen und leistet auf diese Weise einen sehr wichtigen Beitrag zur Geschichtsschreibung Togos. Freilich kann man bedauern, dass einige neuere Tendenzen der Forschung zu wenig in Betracht gezogen wurden. Es wäre etwa wünschenswert gewesen, die Ergebnisse der neuen anglophonen Forschung stärker einzubeziehen, so etwa die neuen "Borderland Studies" für die Togo-Ghana Grenze, die Genderperspektive auf den "Aufstand der Frauen" 1933 oder die Entstehung einer kolonialen Maskulinität.3 Trotz des Titels, der eine Geschichte der Togolesen verspricht, beschränkt sich das Werk im wesentlichen auf die Geschichte des Landes, ohne die Geschichte der togolesischen Diaspora, der togolesischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg und in den Kolonialkriegen (Algerien, Indonesien) oder auch der Schüler und Studenten der Elitenschulen und Universitäten in Dakar und Paris zu beleuchten. Darüber hinaus wurden in einigen Kapiteln die meisten Familiennamen für die Edition "gekürzt", was nicht unbedingt zur Klarheit der Aussagen beiträgt, jedoch angesichts der angespannten politischen Lage in Togo verständlich ist.4 An einigen Stellen scheint außerdem die Analyse der Spannungen und Widersprüche der togolesischen Kolonialgesellschaft nicht tief genug zu gehen, was vielleicht mit dem in der Einleitung angekündigten Versuch, an dem Aufbau einer friedlichen nationalen Debatte mitzuwirken, zusammenhängt. Kapitel 7 etwa bietet einen sehr guten Überblick zur Institutions- und Verwaltungsgeschichte der Kolonialpolizeikräfte, lässt aber die soziale Dynamik der Gruppe der Kolonialpolizisten außer Acht.

Schließlich werden sich Europa-Historiker wahrscheinlich wundern, warum die Nation als Kategorie so sehr im Mittelpunkt steht und der normative Grundsatz allzu sehr spürbar ist, während transnationale Perspektiven in der europäischen Geschichtsschreibung die Nation eben als komplexeres Konstrukt erscheinen lassen und immer mehr als Ergebnis der globalen Veränderungen interpretieren.5 Im Kontext des postkolonialen Staates dagegen, in dem die Nation – im Gegensatz zu Europa – nie als essentialistischer "Container" betrachtet werden konnte, und die synchronische, ja weltgeschichtliche Perspektive allzu offensichtlich ist, erscheint die Frage nach den diachronischen Wurzeln der Nationen dringender zu sein als die ihrer synchronischen und globalen Ursprünge – die letzteren konnten nämlich nie übersehen werden.

Insgesamt liefert die Histoire des Togolais nicht nur einen nützlichen und mutigen Beitrag zur Demokratisierung des Landes, sondern setzt auch ein Zeichen in der Geschichtsschreibung Afrikas, denn es ist der erste gelungene Versuch einer Universität des frankophonen Westafrikas, eine Geschichte des Kolonialstaates und der Entstehung der Nation zu schreiben. Sicherlich werden diesem von der Afrika-Historikerin Claude-Hélène Perrot begrüßten "vorbildhaften Erfolg" andere afrikanische Universitäten folgen. 6 Ob sich 2005 damit das Ende des "postkolonialen Staates" in Togo ankündigt, sei dahingestellt. 7 Auf jeden Fall wünscht man sich das baldmögliche Erscheinen von Band III, der die Zeit von 1960 bis zur Gegenwart abdecken soll. Ob und wann die dafür nötigen Archive für Historiker zugänglich gemacht werden, ist dem neuen Staatsoberhaupt und seiner Regierung überlassen. Nachdem der ehemalige Sergeant der französischen Kolonialarmee Eyadema 2005 als General und Präsident Togos starb, übernahm sein Sohn Faure Gnassingbe die Präsidentschaft.

Anmerkungen:
1 Abgesehen von dem verwaltungsanthropologischen Werk der Literaturwissenschaftlerin Ulrike Schuerkens: Schuerkens, Ulrike, Du Togo allemand au Togo et Ghana indépendant, changement social sous régime colonial, Paris 2001, siehe: Cornevin, Robert, Histoire du Togo, Paris 1959; Cornevin, Robert, Le Togo, Paris 1967. Für eine leicht überarbeitete Version: Cornevin, Robert, Le Togo des origines à nos jours, Paris 1988.
2 Gayibor, Nicoué Lodjou (Hrsg), Histoire des Togolais, Vol. I : Des origines à 1884, Lomé 1997.
3 Die Thesen von Paul Nugent zur Konstruktion der Togo/ Ghana Grenze werden kaum diskutiert, während der grundlegende Aufsatz von Benjamin Lawrance zum Aufstand 1933 nicht mal zitiert wird. Auch hätte man einige Aspekte der togolesischen Geschichte anhand Forschungen über benachbarten Kolonien ans Licht bringen können. Siehe Lawrance, Benjamin, La révolte des femmes, in: African Studies Review 46 (2003), S. 43-67; Nugent, Paul, Smugglers, Secessionists and Loyal Citizens on the Ghana-Togo Frontier. The Lie of the Borderland since 1914, Oxford 2002; Miescher Stefan, Making Men in Ghana, Bloomington 2005.
4 Siehe etwa Kapitel 28, wo einige Sätze nicht mehr ganz verständlich sind. "Ainsi le futur sénateur et médecin Robert A. est-il l'un des petits fils d'E., et le futur ministre Hospice C. l'ami intime de Robert G." (S.324)
5 Siehe unter anderen: Conrad, Christoph, Conrad, Sebastian (Hrsg.), Die Nation schreiben. Geschichtswissenschaft im internationalen Vergleich, Göttingen 2002; Conrad, Sebastian, Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich, München 2006. Zum Beitrag der Geschichtsschreibung zur „nation-building“ in Afrika, siehe etwa Neale, Caroline, Writing ‚Independent’ History. African Historiography 1960-1980, Westport 1985.
6 Siehe die Rezension von Claude-Hélène Perrot in: Cahiers d'études africaines 186 (2007).
7 Young, Crawford, The end of the post-colonial state in Africa? Reflections on changing African political dynamics, in: African Affair 103 (2004) 410, S. 23-49.

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