F. Hinz u.a. (Hrsg.): Hernán Cortés revisado

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Titel
Hernán Cortés revisado. 500 años de la conquista española de México (1521–2021)


Herausgeber
Hinz, Felix; López-Medellín, Xavier
Reihe
Tiempo emulado. Historia de América y España
Erschienen
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 33,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Vitus Huber, Département d'histoire générale, Université de Genève

Die Conquista von México-Tenochtitlán (1519–1521) markiert einen welthistorischen Vorgang, der auch deswegen seither in Wissenschaft, Kultur und Politik immer wieder große Aufmerksamkeit genießt. Der 500. Jahrestag dieses Vorgangs hat das Interesse daran nochmals verstärkt. Der entsprechend umfassend erforschte Gegenstand kann dennoch, wie der anzuzeigende Band belegt, mit neuen Akzenten weiterhin präzisiert werden. Neue Themenfelder eröffnen hier etwa die Perspektiven der postkolonialen, der Klima- und Umwelt- oder der Gender Studien.

Jede Generation schreibe ihre eigene Geschichte, daher müsse, so die beiden ausgewiesenen Experten1 und Herausgeber Felix Hinz (Pädagogische Hochschule Freiburg) und Xavier López-Medellín (Universidad Autónoma del Estado de Morelos), auch die Conquista von México-Tenochtitlán zum 500. Jahrestag abermals beleuchtet werden (S. 11). Den Grundstein dazu legte eine Tagung in Stuttgart, die parallel zur „Großen Landesausstellung Azteken“ im Linden-Museum im Herbst 2019 stattfand.2 Anders als die Ausstellung wählt der aus der Konferenz hervorgegangene Sammelband den spanischen Anführer Hernán Cortés zum Aushängeschild und verspricht, dessen Bild zu revidieren. Erklärtes Ziel ist es, die Conquista und die darauffolgenden kulturellen Transformationen sowie die Frage, inwiefern dieser Teil der Geschichte für politische Zwecke instrumentalisiert wurde, kritisch neu zu bewerten (S. 12f.).

Gegliedert ist der Band in zwei Teile mit sechs bzw. sieben Kapiteln. Der erste befasst sich mit verschiedenen Aspekten des historischen Vorgangs selbst, während der zweite Teil Fragen zum historiografischen Diskurs der letzten 500 Jahre behandelt. Aus Platzgründen werden hier zuerst nur kurz die Themen der Beiträge benannt, um anschließend auf eine kleine Auswahl vertiefter einzugehen.

Im ersten Beitrag widerspricht Bernard Grunberg der reißerischen These, dass der berühmte Chronist Bernal Díaz del Castillo kein einfacher Konquistador, sondern Cortés selbst gewesen sei, indem er numerische Differenzen hinsichtlich Personen- und Totenzahlen oder Daten in den jeweiligen Berichten der beiden hervorhebt. María del Carmen Martínez Martínez plädiert dafür, die Akten der vielen Gerichtsverfahren um Bodenrechte und Ähnliches, in die Cortés nach seinem Triumpf gezogen wurde, stärker zu berücksichtigen. Zwei Beiträge richten ihren Fokus auf die Frauen in der Conquista: Die Anthropologin und Schriftstellerin Eloísa Gómez-Lucena resümiert, welche anderen Frauen neben der als Cortés‘ Übersetzerin berühmt gewordenen Malintzin alias Malinche dokumentiert sind. Die Romanistin Kirsten Mahlke vertritt mit ihrer Lektüre der – größtenteils von Männern verfassten – Quellen die These, dass die Conquista durch die politische Krise und Umwälzungen den Frauen diverse Chancen bot, ihre jeweilige Position zu verbessern.

Zwei weitere Beiträge nehmen die Perspektiven der Nahuas, also Nahuatl sprechende Indigene, auf: Der Amerikanist Patrick Lesbre erinnert daran, dass neben den spanischen Quellen auch indigene Darstellungen der Conquista bestehen und diese einzelne Schlüsselmomente teilweise anders schildern. Die Romanistin Anne Kraume geht vertieft am Beispiel der Erzählung „La culpa es de los tlaxcaltecas“ (1964) von der mexikanischen Schriftstellerin Elena Garro der literarischen Verarbeitung der Conquista während der Kolonialzeit nach.

Drei Beiträge behandeln den gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema: Erstens untersucht Guadalupe Gómez-Aguado de Alba die offizielle Positionierung der mexikanischen Regierung hinsichtlich der Geschichte der Conquista und ihrer Protagonisten während des Porfiriats (zwischen 1876 und 1911). Damit zeigt sie, wie das „Mexikanische“, „Spanische“ und „Mestizische“ als unterschiedliche Identifikationsformen definiert wurden. Zweitens bemerkt der Stadtchronist von Medellín, Tomás García Muñoz, dass der in Mexiko schon länger verschriene Cortés in jüngerer Zeit zunehmend auch in Spanien kritisiert wird. Drittens zeichnet Esteban Mira Caballos das Bild der Conquista in der spanischen Populärliteratur nach.

Auf der gesellschaftspolitischen Ebene kontextualisiert Felix Hinz die jüngsten Instrumentalisierungen des Themas für politische Zwecke und plädiert für von Mexiko und Spanien bilateral erstellte Geschichtsbücher. Daniel Grana-Behrens ordnet klar die Errungenschaften der deutschsprachigen Historiografie und Ethnologie seit ca. 1970 und schlägt weiterführende Fragen vor. Dabei wird deutlich, wie Studien zur Conquista von Untersuchungen der prähispanischen Kulturen profitieren können.

Zwei Essays behandeln Umweltfaktoren, was an sich eine sehr willkommene Erweiterung des traditionellen Themenspektrums ist. Exequiel Ezcurra skizziert die Vielfalt der Flora und die angepassten Jagd- und Kultivierungsmethoden der prähispanischen Talbewohner von Anahuac (das heutige Zentralmexiko). Insbesondere das Kanalsystem der chinampas, das als „schwimmende Gärten“ bekannt ist, und der Verzehr von essbaren Jungpflanzen (quilotes) sind lokale Eigenheiten. Das Fehlen großer Pflanzenfresser, die den Menschen als üppige Lebensmittelquelle gedient hätten, führte bei der wachsenden Bevölkerung zu erhöhtem Bedarf an Nahrungsmittelimporten aus anderen Regionen. Diese holte sich der sogenannte Aztekische Dreibund vor allem in Form von Tributleistungen der umliegenden Stadtstaaten. Interessant wäre hier die Frage, inwiefern dieser Mangel an lokalen Nahrungsmittelquellen als Motor für die aggressive Hegemonialpolitik des Dreibundes angesehen werden kann. Der Beitrag zeigt immerhin, wie unterschiedlich das Ökosystem und die Kultivierungsweisen im Tal von Anahuac von jenen auf der Iberischen Halbinsel waren.

Daran schließt sich der Beitrag des Mitherausgebers Xavier López-Medellín passend an, da er sich mit den Veränderungen in der Umwelt nach Ankunft der Spanier im heutigen Bundesstaat Morelos befasst. Auch wenn viele der Punkte zusammenhängen, wie etwa die Etablierung von Viehwirtschaft und der Anbau von afrikanischem Büffelstroh, hätte eine engere thematische Konzentration vermutlich einen höheren Erkenntnisgewinn generiert. Während auf weitere Tiefenbohrungen auf diesem wichtigen Themenfeld zu hoffen ist, besteht die Stärke des Essays zumindest darin, dass er skizziert, in welch facettenreicher Weise die regionale Flora, Fauna, Produktions- und Ernährungskultur transformiert wurden. Die bis heute spürbaren Folgen gehen ursprünglich darauf zurück, dass die europäischen Methoden auf kurzfristige Erträge und nicht auf eine ausgeglichene Natur zielten.

Insgesamt fallen die Themen somit vielfältiger aus, als es der Titel prima vista vermuten ließe. Das Bild von Cortés zu revidieren, heißt sinnvoller Weise eben auch, den Blick zu öffnen und weitere Akteur:innen und Faktoren über den spanischen Anführer hinaus zu betrachten. Während die Herausgeber in ihrem Fazit ebendiese Haltung explizit vertreten (S. 316), behaupten sie in der Einleitung, dass es kaum Studien gebe, die das Bild von Cortés revidierten (S. 12). Damit machen es sich die Herausgeber aber zu einfach und vermeiden es, sich gegenüber der jüngeren und jüngsten Forschung zu positionieren. Sie ignorieren insbesondere die New Conquest History und ihre Vorläufer, obwohl diese Studien seit den 1960er-Jahren und programmatischer seit der Jahrhundertwende intensiv an der Dekonstruktion des eurozentrischen Siegernarrativs zur Conquista – inklusive dem Heldenbild von Cortés – arbeiten.3

Abschließend lässt sich sagen, dass der Band einen guten und sehr zugänglichen Einblick in den vielschichtigen Themenkomplex der Conquista von México-Tenochtitlán gibt. Die versammelten Beiträge aus diversen Disziplinen zeigen zudem das Potenzial und die Notwendigkeit für weitere Studien auf. So ist dem Plädoyer der Herausgeber für den Erhalt der Lehrstühle für Amerikanistik und iberoamerikanische Geschichte (S. 320) nur zuzustimmen.

Anmerkungen:
1 Seit 2003 betreiben sie gemeinsam die Website "Página de la relación": www.motecuhzoma.de; siehe zudem die publizierte Dissertation: Felix Hinz, ›Hispanisierung‹ in Neu-Spanien 1519–1568. Transformation kollektiver Identitäten von Mexica, Tlaxkalteken und Spaniern, 3 Bde., Hamburg 2005.
2 Offizielle Webseite der Ausstellung "Azteken": https://www.lindenmuseum.de/sehen/rueckblick/azteken.
3 Programmatisch für die Arbeiten der New Conquest History und stellvertretend für das Werk von Matthew Restall siehe Matthew Restall, A History of the New Philology and the New Philology in History, in: Latin American Research Review 38/1 (2003), S. 113–134.

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