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Titel
Regnum et Imperium. Die französisch-deutschen Beziehungen im 14. und 15. Jahrhundert. Les relations franco-allemandes au XIVe et au XVe siècle


Herausgeber
Weiß, Stefan
Reihe
Pariser Historische Studien 83
Erschienen
München 2008: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
276 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Prietzel, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt Universtät zu Berlin

Politische Interaktionen zwischen Herrschern oder Städten haben die Mittelalter-Forschung lange Zeit wenig interessiert; seit anderthalb Jahrzehnten finden sie wieder vermehrt Aufmerksamkeit. Der vorliegende Sammelband konzentriert sich ganz auf die Beziehungen zwischen Frankreich und dem Reich am Ende des Mittelalters. Damit besitzt er zwar ein Thema, aber er verfügt über keine Konzeption. Dementsprechend unterscheiden sich die hier versammelten neun Aufsätze verständlicherweise nicht nur sehr hinsichtlich ihrer Länge (14 bis 64 Seiten) und ihres Ertrags, sondern vor allem hinsichtlich der behandelten Aspekte und Fragestellungen.

Im anderthalbseitigen Vorwort, das an die Stelle der sonst üblichen Einleitung tritt, hält der Herausgeber fest, dass der Begriff 'Außenpolitik' auf neuzeitlichen Staatsvorstellungen gründe, die auf mittelalterliche Gemeinwesen nicht zuträfen. Dennoch habe es damals 'Außenpolitik' gegeben, nur sei sie andersartig gewesen. Was aber diese 'Außenpolitik' genau charakterisiert habe, definiert Weiß nicht, er verweist auch nicht auf Definitionsversuche anderer, die es durchaus gibt. Warum gerade die deutsch-französischen Beziehungen nähere Untersuchungen lohnen sollen, teilt Weiß ebenfalls nicht mit. Stattdessen stellt er "einige Punkte" nebeneinander, die offensichtlich deswegen ausgewählt wurden, weil sie in mehreren Beiträgen eine Rolle spielen. Zwei dieser "Punkte" bleiben zudem rätselhaft. Dass der burgundische Staat entstand und dass der Papst im 14. Jahrhundert in Avignon residierte, wird niemand bestreiten. Aber es ist unklar, ob diese Fakten etwas über mittelalterliche Außenpolitik aussagen sollen oder ob nur eine Eigentümlichkeit in den politischen Konstellationen festgehalten wird.

Der Beitrag von Jean-Marie Moeglin beschäftigt sich mit der Darstellung Ludwigs des Bayern in jenen zeitgenössischen Erzeugnissen der französischen Historiographie, die im Umfeld des Königshofs entstanden, das heißt im Wesentlichen der lateinischen Chronistik von Saint-Denis und den "Grandes Chroniques de France". Wie er nachweist, berichten diese Werke nur selten und wenn, dann knapp über Vorgänge, die das Reich betreffen. Nur die spektakulären Vorgänge auf dem Italienzug Ludwigs des Bayern 1327-29 lenken die Aufmerksamkeit der Autoren für wenige Jahre auf die Geschehnisse im Reich; dies führt auch dazu, dass einige Nachrichten über die Zeit vor dem Italienzug nachträglich eingefügt werden. Später hingegen finden sogar die Verwicklungen Ludwigs in die französisch-englischen Auseinandersetzungen nur am Rande Erwähnung. Das Reich, so folgert Moeglin aus diesem Befund ganz plausibel, fand nicht
das Interesse des französischen Hofes, von einer Ausdehnungspolitik auf Kosten des Reichs, die man früher Frankreich unterstellte, könne daher keine Rede sein.

Den Verhandlungen Ludwigs des Bayern mit der päpstlichen Kurie und dem französischen Königshof 1336/37 wendet sich Karsten Plöger zu. Dabei berücksichtigt er stärker, als dies bisher geschah, die englischen Quellen. Seine Ergebnisse untermauern den Eindruck, dass die Unterredungen keineswegs am Starrsinn der Kurie scheiterten, wie man lange meinte, sondern dass der Kaiser ganz bewusst versuchte, dem Papst und dem französischen König mit einem Bündnis mit England zu drohen und damit beide unter Druck zu setzen.

Gerald Schwedler untersucht drei Treffen zwischen Herrschern Frankreichs und des Römisch-deutschen Reichs: dasjenige Kaiser Karls IV. mit dem Dauphin, dem späteren König Karl V., im Jahr 1363, dasjenige Wenzels mit König Karl VI. 1398, vor allem aber die Reise Karls IV. nach Paris 1378. Das politische Umfeld, den Ablauf der Treffen und die Bedeutung der dabei vollzogenen symbolischen Handlungen analysiert er umfassend und sorgfältig. Allerdings berücksichtigt er die Quellenproblematik nicht hinreichend. Insbesondere die Treffen von 1378 und 1398 sind vor allem durch Chroniken belegt, die im Auftrag des französischen Hofes entstanden. Wie stets, so werden also auch hier nicht Rituale um ihrer selbst willen geschildert, sondern mit Hilfe der Beschreibung von Ritualen wird eine Interpretation der Vorgänge verbreitet, die den Autoren und den Auftraggebern genehm ist. Eine Analyse muss daher stets im Blick haben, dass der eigentliche Ablauf womöglich anders aussah und seine Ausdeutung auch andere Möglichkeiten offenließ, als die Quellen nahelegen.

Ebenfalls dem luxemburgischen Kaiser widmet sich Stefan Weiß in einem langen, materialreichen Beitrag. Sein Ziel ist es, die Politik dieses Herrschers gegenüber seinem Neffen Karl V. von Frankreich neu zu interpretieren, ohne auf das veraltete Paradigma einer angeblichen französischen Expansionspolitik gen Osten zurückgreifen. Stattdessen verweist er nachdrücklich auf die Bedeutung dynastischer Erwägungen. Auf diese Weise ergibt sich das Bild einer recht weit reichenden politischen Übereinstimmung zwischen beiden Herrschern.

Philippe Genequand stellt dar, welche Umstände am Beginn des Großen Schismas 1378-1380 die französischsprachigen Regionen im Reich in ihrer Entscheidung für den römischen oder den avignonesischen Papst beeinflussten. Beigegeben sind dem Aufsatz die detaillierten Inhaltsangaben dreier Supplikenrotuli, die Philipp der Kühne von Burgund bzw. Albrecht von Bayern-Hennegau an der Kurie Clemens’ VII. einreichten. Ihre Nützlichkeit für die Forschung wäre zweifellos erhöht worden, hätte sich der Autor der Mühe unterzogen, alle genannten Orte zu identifizieren und alle Ortsnamen in ihrer heutigen Form anzugeben. Ferner verwundert, warum Lothringen, das Elsass, Luxemburg und die Westschweiz als Niederdeutschland ("Basse-Allemagne", S. 187) bezeichnet werden.

Mit François de Conzié, dem Kämmerer der avignonesischen Päpste, beschäftigt sich Robert W. Müller. Trotz des einflussreichen Amts ist über das konkrete Wirken Conziés, zumal in außenpolitischer Hinsicht, offensichtlich wenig zu erfahren, so dass der Autor sein Geschick in der Verwendung des Konjunktivs beweisen kann.

Den diplomatischen Aktivitäten Kaiser Sigismunds wendet sich Martin Kintzinger zu. Da der Herrscher über zu geringe Mittel verfügte, um auf dem Weg unmittelbarer Machtpolitik international Einfluss auszuüben, versuchte er, diplomatisch als Vermittler ("mediator") aufzutreten und sich auf diese Weise Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen. Damit entsprach er zugleich der Rolle, die das entstehende völkerrechtliche Denken ihm als Kaiser zugestand.

Petra Ehm beschreibt die Politik Karls des Kühnen von Burgund gegenüber dem Reich. In seinem Bestreben, eine Königskrone zu erwerben, setzte der Herzog zwar sehr auf eine Verständigung mit Kaiser Friedrich III., scheiterte aber letztlich an seiner eigenen Geringschätzung gegenüber dem Kaiser als Person wie gegenüber dem Reich als politischem Verband. Seine Versuche, die Verhandlungspartner durch Zurschaustellung seines Reichtums zu beeindrucken, riefen nur die Ablehnung seiner Bestrebungen hervor.

Die Stellung Renés von Anjou als Reichsfürst behandelt Ilse Freudenthaler. Dem bloßen Titel nach König von Sizilien und Jerusalem, regierte René im Anjou, in Bar, in Lothringen und in der Provence. Es zeigt sich, dass er seine rechtliche Stellung als Reichsfürst anerkannte und freundschaftliche Kontakte und Bündnisse zu einigen anderen Reichsfürsten unterhielt. Wenn es opportun schien, pflegte er seine Beziehungen zum Reichsoberhaupt und nahm an Reichsversammlungen teil. Kurz: René war königsfern. Dieses Moraw'sche Adjektiv und die Kenntnis des Sachverhalts, für den es steht, hätte eine bessere Einordnung der wenig spektakulären Fakten ermöglicht.

Angesichts der inhaltlichen Disparatheit der Beiträge und der Konzeptlosigkeit des Bandes fehlt dem Buch konsequenterweise eine Zusammenfassung.