J. Sonntag (Hrsg.): Die Gesetzgebung der Cauliten im 13. Jahrhundert

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Titel
Die Gesetzgebung der Cauliten im 13. Jahrhundert. Ausgewählte Zeugnisse ihrer Verfassung. Edition und Übersetzung


Herausgeber
Sonntag, Jörg
Reihe
Klöster als Innovationslabore
Erschienen
Regensburg 2022: Schnell & Steiner
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tillmann Lohse, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die wenig bekannte Ordensgemeinschaft der Cauliten entstand um 1193 in dem etwa siebzig Kilometer nördlich von Dijon gelegenen Vallum Caulium (heute Val-de-Choux). Anders als bei den Zisterziensern erlahmte das anfangs beachtliche Wachstum des Ordens schon nach wenigen Jahrzehnten. Bis 1240 wurden immerhin sechzehn Tochterklöster gegründet, auf die bis zum Ende des Jahrhunderts dann aber nur noch fünf weitere folgen sollten. Die meisten Häuser lagen wie das Mutterkloster im Bistum Langres oder den südöstlich angrenzenden Diözesen Autun und Auxerre, einige auch in Schottland.

In der Forschung haben die Cauliten bislang kaum Beachtung gefunden.1 Ursächlich hierfür war nicht zuletzt die editorische Aufbereitung der Primärzeugnisse. Der englische Historiker Walter de Gray Birch hatte zwar bereits im Jahre 1900 eine sehr verdienstvolle Quellensammlung zur Geschichte des Ordens publiziert.2 Diese blieb aber bis zu ihrer 2013 erfolgten Digitalisierung für viele Forscher schwer zugänglich.3 Wer sie dennoch in die Hände bekam, musste Anstoß daran nehmen, dass Birch die edierten Handschriften weder selbst gesehen, noch den älteren Druck eines zwischenzeitlich verlorenen Textzeugen berücksichtigt hatte.4 Die von Jörg Sonntag mit großer Sorgfalt herausgegebene Quellensammlung beseitigt dieses gravierende Forschungshemmnis zwar nicht vollständig, aber doch zu einem ganz wesentlichen Teil.5

„Die Gesetzgebung der Cauliten“ bietet eine kritische Edition und deutsche Übersetzung des gesamten caulitischen Partikularrechts. Dieses bestand aus drei Säulen: (1.) einem ziemlich geschlossenen „Gesetzeskonvolut“ (S. 39), das mit einer prima institutio („ersten Einrichtung“) und einundneunzig Einzelbestimmungen konkrete Sachverhalte monastischen Lebens regelte und in die Jahre 1224 bis 1230 datiert werden kann; (2.) einer fünfzehn Abschnitte umfassenden Konversen-Ordnung aus etwa dem gleichen Zeitraum; sowie (3.) über 100 zwischen ca. 1238 und 1289 durch das Generalkapitel des Ordens verabschiedeten Statuten. Während die ersten beiden Gruppen von Satzungen starke Anleihen am Ordensrecht der Zisterzienser nahmen,6 sorgten die späteren Statuten für eine eigenständige Weiterentwicklung der caulitischen Lebensform. Dabei schöpften die Cauliten anders als etwa die Prämonstratenser „in ergänzender Weise immer neue Statuten, ohne einen Bezug zu den vorangegangenen herzustellen“ (S. 38).

Zwei Leistungen sind es, die an Sonntags Monographie besonders hervorgehoben werden müssen:

Sehr benutzerfreundlich ist zum einen die umsichtige Aufbereitung der Quellentexte. Die Einleitung informiert kurz und bündig über die Geschichte des Ordens, die erhaltenen Handschriften, die überlieferten Texte sowie die bisherigen Ansätze ihrer Erforschung (S. 21–84). Das Bildmaterial vermittelt einen guten Eindruck vom Erscheinungsbild der einzelnen Textzeugen, auch wenn die abgebildeten Doppelseiten sehr stark verkleinert werden mussten (S. 87–96, Abb. 4–15). Die Übersetzungen sind präzise und lesen sich doch flüssig (S. 101–307). Das Register verzeichnet neben Personen, Orten und Quellen auch Sachen und ermöglichen so das schnelle Auffinden inhaltlich einschlägiger Passagen (S. 343–352). Damit sind wichtige Voraussetzungen für eine stärkere Berücksichtigung der Cauliten in der vergleichenden Ordensforschung endlich gegeben.

Eher für die Spezialisten von Interesse, aber dennoch nicht weniger verdienstvoll ist zum anderen die akribische Verzeichnung der Lesarten. Birch hatte einst das Manuskript P (Paris, Bibliotheque nationale de France, Ms. lat. 18047, 13. Jh., aus dem Cauliten-Kloster Val-Croissant, Bistum Autun) als Leithandschrift auserkoren und im Apparat die Varianten der Handschrift M (Moulins, Archives départementales de l’Allier, H 232 [olim H 202], 13. Jh., aus dem Cauliten-Kloster Petit-Saint-Lieu, Bistum Dijon) nachgewiesen. Sonntag berücksichtigt zudem unter der Sigle V die 1717 durch Edmond Martène und Ursin Durand publizierten Texte, denen eine heute verlorene Handschrift des Mutterklosters zugrunde lag.

Anders als Birch präsentiert Sonntag die Quellen in einem als „verschränkte Edition“ (S. 83) bezeichneten Mischtext, der weder einen Archetyp rekonstruiert, noch einer Leithandschrift folgt, sondern aus wechselnden Testimonien jeweils das orthographisch-grammatikalisch beste „Angebot“ wählt. Dieses Verfahren trägt dem Umstand Rechnung, dass sich durch den Vergleich der Lesarten keine Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Textzeugen erweisen lassen (vgl. S. 79f). Methodisch akzeptabel erscheint es mir allerdings nur, weil der kritische Apparat sämtliche Abweichungen vom „Haupttext“ (ebd.) sowie Streichungen und Nachträge penibel verzeichnet. Auf diese Weise ist die textgeschichtliche Forschung nämlich in der Lage, die editorischen Entscheidungen des Herausgebers der Kritik auszusetzen, ohne selbst die Handschriften bemühen zu müssen.

Ein Beispiel: Bei der Schilderung des Tagesablaufs weist der aus dem Mutterkloster stammende Text der prima institutio gegenüber den anderen beiden Handschriften eine sinnverändernde Fehlstelle auf. Sonntag sieht in ihr einen Abschreibfehler, der entweder einem mittelalterlichen Kopisten oder Martène und Durand angelastet werden müsse (vgl. S. 79). Auffälliger Weise handelt es sich bei den fehlenden Wörtern aber um eine Formulierung, die die Geltung einer sehr weitreichenden Vorschrift einschränkte. Während die verlorene Handschrift des Mutterklosters nämlich anordnete, die gesamte Zeit zwischen der Matutin und dem Untergang der Sonne solle geistigen Dingen gewidmet sein, begrenzten die anderen Textzeugen diese Form der Betätigung auf die kurzen Intervalle, die sich zwischen Matutin und Arbeitsbeginn bzw. Vesper und Anbruch der Nacht ergaben.7 Man könnten die radikalere Bestimmung des Textzeugen V deshalb auch als Hinweis auf eine ältere Textstufe der prima institutio deuten, die noch aus der stärker kartäusisch geprägten Frühzeit der Cauliten stammte.

Welche Interpretation letztlich plausibler ist, wird die Forschung ab sofort nicht nur diskutieren müssen, sondern auch können. Denn Sonntags Ausgabe bietet für die Auseinandersetzung mit dieser und vielen anderen Forschungsfragen eine ausgesprochen solide Grundlage. Das interakademische Projekt „Klöster im Hochmittelalter. Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle“ hat der vergleichenden Ordensforschung wieder einmal ein besonders wertvolles Arbeitsmittel bereitgestellt.

Anmerkungen:
1 Siehe aber Philip C. Adamo, New Monks in Old Habits. The Formation of the Caulite Monastic Order, 1193–1267, Toronto 2014. Dazu die Rezension von Mirko Breitenstein unter http://www.sehepunkte.de/2015/05/26222.html (25.06.2022).
2 Ordinale conventus Vallis Caulium. The rule of the monastic order of Val-des-Choux in Burgundy. From the Original Manuscripts preserved in the Biblioth Nationale, Paris, the Archives of Moulins-sur-Allier, etc. With an Introduction by W[alter] de Gray Birch, of the British Museum, London 1900.
3https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k841776q. Das einzige in deutschen OPACs nachgewiesene Exemplar befindet sich in der Berliner Staatsbibliothek: https://stabikat.de/DB=1/XMLPRS=N/PPN?PPN=392479656 (25.06.2022).
4 Philip C. Adamo, The Manuscript Tradition and Origins of the Caulite Customary: An Historiographic Examination, in: Revue Mabillon 11 (2000), S. 197–220.
5 Von der Gottesdienstordnung der Cauliten legt Sonntag keine Neuedition vor, da diese zu “mindestens 80 Prozent” mit den Ecclesiastica Officia der Zisterzienser übereinstimme. Wie wünschenswert auch eine Neuausgabe des caulitischen Liber Ordinarius wäre, erhellt indes die von Sonntag erstellte Konkordanz (S. 321–331), zeigt diese doch, dass der Grad der Abweichung bei den einzelnen Kirchenfesten starken Schwankungen unterlag.
6 Und zwar dem Usus Conversorum aus den frühen 1120er-Jahren und den zu Beginn der 1180er-Jahre vollendeten Instituta Generalis Capituli apud Cistercium.
7 S. 100 mit Anm. 10: A matutinis [fehlt V: usque ad horam laboris et a vespera] usque ad occasum solis spiritualibus est vacandum.