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Titel
Christian Felix Weiße. Briefe 1755–1804


Herausgeber
Lehmstedt, Mark
Erschienen
Leipzig 2021: Lehmstedt Verlag
Anzahl Seiten
1.500 S.
Preis
€ 128,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Holger Böning, Deutsche Presseforschung, Universität Bremen

Christian Felix Weiße gehört als Herausgeber der in Leipzig erscheinenden, zunächst ab 1757 gemeinsam von Friedrich Nicolai und Moses Mendelssohn herausgegebenen „Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste“ zu den bedeutenden, für das literarische Leben wichtigen Publizisten des 18. Jahrhunderts. Einen Namen machte er sich nicht nur mit diesem allgemein-ästhetischen, kunstphilosophischen und literaturkritischen Blatt, das in den 1750 Jahren die führende Rezensionszeitschrift Deutschlands wurde –, sondern daneben auch als Dramatiker, Kinderbuchautor, Herausgeber der ersten Zeitschrift für Kinder und nicht zuletzt als Übersetzer beispielsweise des berühmten utopischen Romans von Louis-Sébastien Mercier „L’An 2440, rêve s’il en fut jamais“. Seit 1761 im Hauptamt Kreissteuereinnehmer, blieb er als Organisator des Rezensionswesens auch der von 1765 bis 1806 erscheinenden Nachfolgezeitschrift, der „Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste“, einem großen Personenkreis verbunden. Trotz seiner Bedeutung liegt zu ihm lediglich eine leicht überschaubare Forschungsliteratur vor, so dass das von Mark Lehmstedt initiierte und zeitweise mit Unterstützung von Katrin Löffler durchgeführte Projekt einer Edition der von Weiße verfassten Briefe für die Aufklärungsforschung hochwillkommen und, wie sich schnell erweist, eine erstrangige literaturhistorische Quelle ist.

Die Lektüre der Briefe Christian Felix Weißes ermöglicht einen Sprung mitten hinein in das deutsche literarische und publizistische Leben um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Die Namen der Adressaten, an die aus Leipzig die Schreiben gerichtet sind, sprechen für sich. Beginnend mit Johann Wilhelm Ludwig Gleim und Friedrich Nicolai folgen in der Reihenfolge der wichtigsten Briefpartner Heinrich Wilhelm von Gerstenberg, Johann Joachim Winckelmann, Christian Ludwig von Hagedorn, Christian August Clodius, Johann Heinrich Schlegel, Karl Friedrich Ramler, Salomon Geßner, Philipp Daniel Lippert, Wilhelm Abraham Teller, Christian Adolf Klotz, Johann Nicolaus Meinhard, Johann Peter Uz, Philipp Daniel Lippert, Abraham Gotthelf Kästner, Christian Garve, Johann Arnold Ebert, Gotthold Ephraim Lessing, Johann Gottfried Herder, Michael Denis, Johann Friedrich Löwen, Georg August von Breitenbach, Johann Adolf Schlegel, Johann Benjamin Michaelis, Moritz August von Thümmel, Friedrich Justin Bertuch, Johann Joachim Eschenburg, Christoph Gottlieb von Murr, Klamer Eberhard Karl Schmidt, Philipp Daniel Lippert, Johann Georg Wille, Johann Matthias Schrökh, Karl Heinrich von Heineken, Christian Friedrich von Blanckenburg, Johann Jakob Bodmer oder Johann Jakob Engel. Bemerkenswert, dass sich dieser Kreis der Briefpartner bis etwa Mitte der 1770er-Jahre ziemlich gleich bleibt, danach kommen Joachim Heinrich Campe, Johann Friedrich Reichardt, Christiane Caroline Schlegel, Lorenz Westenrieder, Christian Gottfried Schütz, Rudolph Zacharias Becker, Johann Baptist von Axinger, Johann Christoph Adelung, Johann Heinrich Jacobi, Georg Joachim Göschen, Friedrich Daniel Gräter, Wilhelm Gottlieb Becker, Elisa von der Recke, Jean Paul, Karl August Böttiger, zahlreiche weitere weniger bekannte Zeitgenossen und am Ende mit zahlreichen Briefen Heinrich Karl Abraham Eichstädt hinzu.

Vor den Augen des Lesers lassen die Briefe ein Netzwerk der Aufklärung im weit gedachten deutschsprachigen Raum entstehen, in dem Halberstadt, Jena, Zwickau, Dresden, Kopenhagen, Zürich, Helmstedt, Halle, Erfurt, Ansbach, Göttingen, Braunschweig, Hamburg, Riga, Wien, Weimar, Rostock, Hannover, Nürnberg, Wittenberg, Königsberg und München die das Netz zusammenhaltenden Verknüpfungspunkte, Berlin und Leipzig aber die Zentren bilden.

Kaum jemand, der Rang und Namen hat im literarischen Deutschland, bleibt in diesen Briefen unerwähnt, nachdem der anfängliche Hauptbriefpartner Friedrich Nicolai ist. Wer wissen möchte, wer wen wo rezensiert hat und wie ein Zeitschriftenherausgeber seine Redaktionstätigkeit vollbrachte, ist hier am richtigen Ort, auch erfährt man manches Detail aus dem zeitgenössischen Buch- und Verlagswesen, über geglückte und gescheiterte Pränumerationsvorhaben, über „zusammengeflickte“ Lexika als Spekulationsobjekte oder über Ärger mit den Kupferstechern (S. 905, 910, 919). Es ist nur eine von zahllosen literaturhistorisch wertvollen Informationen, wenn Weiße darüber klagt, keinen tauglichen Rezensenten für Wielands „Agathon“ finden zu können: „Es ist mir so ein Elend, daß man keine tüchtige Mitarbeiter findet. Wer allenfalls noch etwas Gutes machen könnte, will nicht und andre schicken mir Dinge, die ich mit gutem Gewissen nicht der Welt vorlegen kann. Eine schale Recension ehret aber einen Mann, wie Wieland ist, gar nicht“ (S. 683).

Bosheiten und Klatsch wechseln mit Gerüchten und Intrigen, doch im Vordergrund stehen substantielle Informationen über die wichtigsten Ereignisse des publizistischen und literarischen Lebens in Deutschland. Aus der intimen Kenntnis Weißes erschließt sich so manche Autorschaft von literarischen Werken und natürlich von Rezensenten seiner Zeitschrift.

Wo immer man zu lesen beginnt, kann man hautnah miterleben, was der Herausgeber eines kritischen Journals, auf dessen Urteile wert gelegt wurde, so zu erleben und zu bedenken hatte, stand er doch inmitten des nie abreißenden literarischen Streits, ja allzu leicht fand er sich zwischen den Fraktionen wieder, von allen gleichermaßen befeindet. Manches konnte Weiße natürlich lenken: Welche Rezensenten wähle ich mit welchen Zielen für ein Werk aus? Will ich eine kritische Rezension eher verhindern oder kommt sie gerade recht? Immer wieder ist er schwer genervt: „Das Aergerniß in unserer kritischen Welt hört nicht auf, und man wundert sich nur, daß die Leute nicht müde werden zu schimpfen, da alle edeldenkenden Seelen lange müde sind, es zu lesen.“ (S. 450f.) „Unsere Klotzianer schimpfen immer noch“, teilt Weiße Herder mit, „trampeln im Kothe umher, um andere ehrliche Menschen zu besprützen“. Da mag er als Redakteur nicht ganz abseits stehen, wenn er an von Hagedorn über den Kontrahenten Klotz im literarischen Streit mitteilt: „Die lezte ärgerliche Geschichte, da er mit dem Magister Schirach in einem Bordel von den Häschern aufgehoben worden, wird Ihnen bekannt seyn.“ (S. 452, 457) Welche Intrigen von Klotz gesponnen würden, beklagt Weiße gegenüber seinem intimsten Freund Karl Wilhelm Ramler: „Die Klotzische Parthie, die ich von ganzer Seele hasse, giebt sich itzt alle mögliche Mühe mich auf unsers Lessings Kosten zu loben [...], und ich fürchte, daß Lessing auf den unglücklichen Verdacht dadurch kommen kann, als ob ich Antheil daran habe“. (S. 483)

Gut nachvollziehbar, wie Weiße sein Hauptdilemma beschreibt: „Soll aber ein Aufseher einer Bibliotheck alle Recensionen, die er im Grunde mißbilliget, zurückweisen und ausschließen, so bleibt ihm keiner übrig“ und er verliere darüber die besten Mitarbeiter. (S. 1049) Fast macht Weiße einen müden Eindruck, wenn er gegenüber Uz mit stereotypen Formulierungen klagt: „Die itzigen kritische Zeiten machen mir das Amt eines Kunstrichters sehr unangenehm. Man darf nicht mehr laut sagen, was man denkt, wenn man nicht einen ganzen Schwarm wider sich aufbringen will. Ich wollte es nicht wagen, Klopstocken zu tadeln; Lessing, Gerstenberg, Cramer und Andere würden auftreten, um mich zu demüthigen.“ Fast jeder dieser Literaten habe an einem „kritischen Monat- oder Wochenblatt mittelbar oder unmittelbar Antheil“, somit auch die Möglichkeit auf Kritik giftig zu reagieren, wage man es, jemanden freimütig zu beurteilen, so habe man sogleich Krieg. (S. 463) Und über Johann Georg Meusel schimpft Weiße: „der Mann schreibt schon ½ Dutzend Journale und mengt sich in Alles“. (S. 904) Und als er selbst einmal Kästner um eine Besprechung in den „Göttingischen gelehrten Anzeigen“ bittet, fügt er hinzu, er wisse, dass hier eigentlich Professor Feder zuständig sei, aber von dem verspreche er sich kein günstiges Urteil, denn er sei einmal durch eine Rezension in Weißes Bibliothek „wider meinen Willen“ beleidigt worden, Kästner möge doch selbst zur Feder greifen. (S. 997) Und an Moritz August von Thümmel schreibt er, dieser möge doch einmal für eine Besprechung der von ihm aus dem Englischen übersetzten Moralischen Wochenschrift „Der Spiegel“ in den Gothaischen gelehrten Anzeigen sorgen. (S. 1003) Unzutreffend ist Weißes Urteil, wenn er der 1785 gegründeten „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ angesichts der versprochenen ansehnlichen Bezahlung der Rezensenten keine lange Lebensdauer prophezeit, denn am Ende war es gerade die gute Honorierung, die qualifizierte Mitarbeiter in großer Zahl anlockte und den Erfolg beim Publikum ermöglichte. (S. 1009)

Weiße versteht es aber zumeist, sachkundig zu urteilen. „Der junge Mann“, so schreibt er 1769 über Herder, „hat noch große Dinge in seinem Kopfe, und wenn er sie alle ausführet, so wird er eine wichtige Person im Reiche der deutschen Literatur werden.“ (S. 450) Er ist aber nicht bereit, jedem literarischen Geschmack zu folgen, wenn er Abraham Gotthelf Kästner über Klopstocks „Messias“ anvertraut: „ich würge mich halbtodt, so sauer wird er mir zu lesen, und ohne zu exponiren kann ich an manchen Stellen kaum fort“, und dies, obwohl alle Welt ihm zuschreit, „daß sowas Großes noch nicht geschrieben worden“. (S. 460, ähnlich 463) Und auch über Schillers „Räuber“ urteilt er anlässlich eines Theaterbesuchs höchst ungnädig: „und ich konnte die abscheulichen Charactere so wenig aushalten, als die Ungezogenheiten, die man sich erlaubt: Bald werde ich dem Pastor Götze recht geben.“ (S. 980)

Auch von den persönlichen Lebensumständen der Briefpartner erzählen die Briefe manches Wissenswerte, etwa, dass auch Christiana Weiße eine höchst geübte Hand schrieb. (S. 470) Interessant die Reiseeindrücke, die Weiße nach einem Besuch bei den Freunden Moses Mendelssohn, Nicolai, Spalding, Teller, Ramler und Sulzer in Berlin das gesellschaftliche Leben in der Stadt loben lassen, dafür gebe es keinen angenehmeren Ort: „vielleicht suchet man sich dadurch das Verdrüßliche zu vergüten, das auf einer andern Seite die despotische Regierung bey sich führet“. (S. 459) Als Herausgeber des „Kinderfreunds“ hielt man Weiße offenbar für den richtigen Vermittler, wenn es galt einen Hofmeister zu finden, oder für kompetent, über die studentischen Lebensverhältnisse in Leipzig Auskunft zu geben. Man erfährt so mit vielen Details zu den Lebenshaltungskosten, dass Standespersonen schon einmal mehrere tausend Reichstaler jährlich einkalkulieren mussten, wollten sie am akademischen Leben teilnehmen. (S. 949–954)

Im Ganzen zeigen die Briefe beispielhaft das Selbstverständnis eines bedeutenden deutschen Publizisten. Beispielhaft Weißes Überzeugung, dass „Journale und Wochenblätter immer noch die besten Fahrzeuge von dem Fortgange der Wissenschaften bey einer Nation sind, auch zur Aufklärung eines Volks selbst viel beytragen.“ (S. 970f.)

Natürlich ist auch von der Französischen Revolution die Rede. Weiße spricht 1793 von einem „nicht übel“ angefangenem Werk, das inzwischen so verhunzt sei, dass es vielleicht ein Glück für Deutschland sei, einen „ziemlichen Abscheu vor solchen Revolutionen bekommen“ zu haben. (S. 1095, 1103, 1106f., 1112) Gleichzeitig schreibt er: „Gut! daß die Denkfreyheit nicht wie die Preßfreyheit eingeschränkt werden kann.“ (S. 1107)

Die Edition wird eine wesentliche Quelle für eine künftige Biographie Weißes sein, zu der sich die Editoren offenbar noch nicht entschließen konnten. Gleichzeitig gehören die Briefe zu den wichtigsten Zeugnissen für das publizistische und literarische Leben in der zweiten Hälfte des aufgeklärten Säkulums. Es war ein langer Weg, auf dem diese Edition von 633 Briefen und Brieffragmenten, die mit 5539 Fußnoten perfekt kommentiert wurden, weitgehend abseits der akademischen Institutionen entstand. Dass kein Briefwechsel geboten werden konnte, liegt am weitgehenden Fehlen der Briefe an Weiße.

Erste Vorarbeiten Lehmstedts reichen bis in die 1980er-Jahre zurück, als die Briefe für buchgeschichtliche Fragestellungen ausgewertet wurden, 2002 erfolgte eine vollständige Transkription und eine weitgehende Kommentierung, die 2004 von Katrin Löffler durch die Erarbeitung der besonders kniffligen Kommentare ergänzt wurde. Dass die Edition dann tatsächlich erscheinen konnte, ist neben den Editoren und dem Verleger der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur zu verdanken. Dass drei wunderbar ausgestattete Bände entstanden sind, die nicht zuletzt auch die Briefkultur des 18. Jahrhunderts angemessen dokumentieren, muss beim Lehmstedt Verlag mit seiner sorgfältigen Pflege der Buchkultur kaum hervorgehoben werden. Jeder Aufklärungsforscherin, jedem Aufklärungsforscher wird es eine Freude sein, diese wissenschaftliche und bibliophile Kostbarkeit in der eigenen Bibliothek zu haben.

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