F. Kühnel u.a. (Hrsg.): Zwischen Domestik und Staatsdiener

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Titel
Zwischen Domestik und Staatsdiener. Botschaftssekretäre in den frühneuzeitlichen Außenbeziehungen


Herausgeber
Kühnel, Florian; Vogel, Christine
Reihe
Externa
Erschienen
Köln 2021: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
277 S.
Preis
€ 49,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine Roll, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Mit dem Abschied von der Modernisierungsperspektive hat die Neue Diplomatiegeschichte viele Gewissheiten auf den Prüfstand gestellt. Insbesondere die Figur des Botschafters ist erst durch die Ausrichtung der Forschung auf Akteure, Netzwerke und Praktiken in ihrem ganzen Facettenreichtum erkennbar geworden. Vor diesem Hintergrund nimmt der vorliegende Band nun die Botschaftssekretäre in den Blick.

Ausgangspunkt ist die Beobachtung der Herausgeber:in, dass die zeitgenössische Traktatliteratur, insbesondere seit Abraham de Wicqueforts „L’Ambassadeur et ses fonctions“ von 1681, klar zwischen einem „Secretaire de l’ambassade“ und einem „Secretaire de l’ambassadeur“ unterschieden habe, die diplomatische Praxis jedoch viel weniger eindeutig gewesen sei. Folge man Wicquefort, dann sei der eine vom Fürsten ernannt, auf ihn vereidigt und vom ihm bezahlt worden, der andere hingegen der persönliche Sekretär des Botschafters und sein „Domestique“ gewesen. Demgegenüber vertreten Kühnel und Vogel die These, dass von einer Institutionalisierung des Botschaftssekretärs als Amt für die Höfe außerhalb Italiens erst für das spätere 18. Jahrhundert die Rede sein könne; die Existenz der Botschaftssekretäre habe folglich „zwischen Domestik und Staatsdiener“ oszilliert. Um ihre These zu prüfen und eine „erste Kartierung des Forschungsfelds“ (S. 17) vorzulegen, haben sie gut dokumentierte Einzelfälle aus unterschiedlichen Sach- und Forschungskontexten zusammengestellt, die sich an den Leitfragen nach Funktion, Professionalität und sozialer Position der Botschaftssekretäre orientieren.

Der Band geht auf eine Tagung zurück, die 2018 an der Universität Vechta stattfand. Er besteht neben der Einleitung der Herausgeber:in aus einem konzeptionellen Aufsatz, sieben quellennahen Fallstudien und einem Kommentar.

Am Anfang steht eine systematische Auseinandersetzung mit Formalität und Informalität: Matthias Pohlig schlägt vor, diese für die Neue Diplomatiegeschichte höchst fruchtbaren, aber eben auch nicht unproblematischen Kategorien nicht wie bisher als Eigenschaft von Akteuren zu verstehen, sondern Merkmale von Formalisierung zu identifizieren, die schon zeitgenössisch bestimmten Akteuren zugeordnet worden seien. Als solche Merkmale macht er aus: Kreditiv, Bezahlung, völkerrechtliche Immunität und Zeremoniell. Frühneuzeitliche Diplomatie könne man sich damit heuristisch als eine Struktur konzentrischer Kreise vorstellen, in der die zentrale Stellung die offiziellen Gesandten einnähmen. Um diesen engeren Kreis herum würden dann die anderen ebenfalls diplomatisch tätigen Akteure angeordnet werden, die nur eines der Kriterien erfüllten, zum Beispiel die Botschaftssekretäre. Die Konfrontation des Modells mit der Empirie mache deren Unschärfen nur umso deutlicher – was jede einzelne der folgenden Studien in je eigener Weise sichtbar macht.

Alle Aufsätze konstatieren ein breites Aufgabenspektrum der Botschaftssekretäre. Es reichte von der Organisation des Gesandtenhaushalts und der Erledigung der Korrespondenz über informelle Kommunikation bei Hof im Vorfeld einer zeremoniellen Begegnung bis hin zur Kontaktaufnahme auf dem Weg zu Verhandlungslösungen und zum Übermitteln sensibler Nachrichten, gegebenenfalls als Briefbote mit ergänzenden mündlichen Erläuterungen. Diese Praktiken, wie Tracey B. Sowerby formuliert, waren „vital to maintaining and shaping the relationships between polities“ (S. 48).

Sowerby führt in ihrem Beitrag über „Tudor Diplomatic Secretaries“ detailliert die Verwandtschaftsbeziehungen sowie die wichtige Rolle von Empfehlungen für die Rekrutierung von geeigneten Sekretären vor und unterstreicht das immer wieder anzutreffende Bemühen neuer Botschafter, den bewährten Sekretär des Vorgängers in seine Dienste zu übernehmen. Sprachkompetenzen hätten angesichts dessen, dass Englisch auf dem Kontinent „uncommon“ war (S. 58), zu den Voraussetzungen gehört; wo sie fehlten, habe es in manchem Botschafterhaushalt eine Schule für Sprache und Etikette gegeben, anderes sei durch Training „on the job“ gelernt worden (S. 62). Durch das Beispiel des Thomas Edmondes fällt ein erstes Schlaglicht auf mögliche Karrierewege: An seinem Fall lässt sich nachvollziehen, dass gute Schulung und langjährige Tätigkeit als Botschaftssekretär nicht grundsätzlich zum Erfolg führten, sondern auch Stand und frühere Funktionen für den Aufstieg zum Botschafter eine Rolle spielten.

Charlotte Backerra erörtert Möglichkeiten und Probleme „strategischer Planung“ diplomatischer Karrieren im frühen 18. Jahrhundert am Beispiel britischer Gesandter am Wiener Kaiserhof und kaiserlicher in London. Instruktiv schildert sie die Karriere des aus der Gentry stammenden Sir Thomas Robinson: Über Schulbildung und Studium mit Anlage und Ausbau der erforderlichen Netzwerke sei er in der Zeit, in der Horatio Walpole Botschafter in Paris war, dort dessen Legationssekretär und in dessen Abwesenheit auch Chargé d’affaires geworden. Er habe sich offenbar durch gut beobachtete und formulierte Berichte hervorgetan. In Wien habe er jedoch 1730 das Amt des Botschafters zunächst nur vertretungsweise bekleiden können, da sein Pendant, der Wiener Botschafter in England, Graf Philipp Kinsky in London, hochadlig war.

Für die kaiserliche Seite galt es zu der gleichen Zeit in der Londoner Botschaft ein anderes, für den Band ebenfalls instruktives Problem zu lösen: Botschafter Kinsky hatte bei seinem Dienstantritt 1728 seinen persönlichen Sekretär mitgebracht, was die kaiserlichen Räte 1732 monierten: Es gehe nicht, dass die Berichte „von einem unbeeidigten privat-Secretario geschrieben“ (S. 87) würden. Als Abhilfe schickte Karl VI. Kinskys jüngeren Bruder Joseph zur Unterstützung nach London, der dort, wie Backerra an der Handschrift erkannt hat, bis 1736 zusammen mit seinem Bruder blieb.

Die beiden folgenden Aufsätze führen in das seit 1707 preußische Neuchâtel und die patrizische Familie Chambrier d’Oleyres. Unter dem Titel „Der Sekretär als Status-Ressource“ stellt Nadja Ackermann die Erwartungen des jungen preußischen Gesandten in Turin, Jean Pierre de Chambrier d’Oleyres, vor, die dieser mit den Aufgaben und Fähigkeiten eines Botschaftssekretärs verband. Ihre Quellengrundlage ist das Journal, das Chambrier von seinem Dienstantritt 1780 an zwanzig Jahre lang führte. Mit der schon in ihrer Dissertation gewinnbringend eingesetzten Kategorie der „Ökonomie der doppelten Distinktion“ (S. 105), mit der sie zum Ausdruck bringen will, dass das Journal sowohl die Sorge seines Verfassers für den Status des Familienverbands als auch für seinen eigenen innerhalb der Familie dokumentieren sollte, stellt sie fest: Vorrangig sei gewesen, dass der Sekretär „fonctions de ceremonie“ (S. 100) kenne und ihm Ehre mache. Reputationsverlust, das hatte Chambrier bereits erfahren müssen, habe sich dann eingestellt, wenn der Sekretär Anlass zu Beschwerden gab. Entsprechend der Funktion der Quelle wird hier besonders deutlich, dass dem Sekretär adlige Normen vertraut sein mussten.

Für den gleichen Zeitraum, die 1780er-Jahre, stellt Nadir Weber in seinem Beitrag „Vom Domestiken zum Botschafter?“ eine Aufwertung des Status des preußischen Botschaftssekretärs zum Qualifikationsberuf fest. In diesem Kontext sieht Weber die Einrichtung der Pépinière des conseilliers d’ambassade (1747), in der adlige Kandidaten zu Botschaftssekretären und Legationsräten qualifiziert werden sollten. Auch wenn die „Pflanzstätte“ (S. 139) bald wieder eingestellt wurde, habe die nun etablierte Karriereleiter zur Aufwertung des Gesandtschaftssekretärs geführt, der über den Legationsrat zum Gesandten aufsteigen konnte, „der über seinen Titel und die Quelle der Bezahlung als direkt adressierbare Amtsperson in die Organisation der Außenbeziehungen eingebunden war“ (S. 147). Ein formeller Legationssekretär übte – anders als seine Vorgänger – eben keine Haushaltstätigkeiten mehr aus, war folglich kein Domestik und konnte deshalb zumindest zum Geschäftsträger, gegebenenfalls sogar zum Botschafter aufsteigen.

Der Schauplatz der folgenden beiden Aufsätze ist Istanbul im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert, wo die Botschafter zugleich Konsuln waren. Im Mittelpunkt der Untersuchung von Christine Vogel stehen die wechselvollen Karrieren des Edouard de la Croix und Nicolas Noguères. An einer Vielzahl spannender Episoden zeigt Vogel, wie vielfältig deren Aufgaben angesichts der Komplexität der Geschäfte in Istanbul waren und wie die Stellung des Botschaftssekretärs zwischen offiziellem Amt und persönlichem Treueverhältnis changierte. Dabei hält sie fest, dass der Vorschlag, in Istanbul einen „Secretaire de l’ambassade“ als offizielle Funktion zu etablieren, dem französischen König zwar unterbreitet worden sei, auch von La Croix selbst – mit dem starken Argument, dass angesichts dessen, dass die Engländer und Niederländer solche in Istanbul hätten, ein permanenter Sekretär das Prestige des Königs erhöht hätte. Aber: Eine vom Botschafter unabhängige Instanz in der Botschaft, einen „Secretaire de l’ambassade“ als „controlleur“ (S. 167) des Botschafters, wie ihn Wicquefort pointiert (S. 9), wurde in Istanbul nicht eingerichtet.

Ganz anders sahen die Dinge in der benachbarten englischen Botschaft aus: Das gesamte Botschaftspersonal, auch der Botschaftssekretär, wurde von der Levante Company bezahlt, unterstand aber dem Botschafter beziehungsweise war ihm gegenüber weisungsgebunden – eine „Doppelstruktur“, die stets zu Auseinandersetzungen führte (S. 176). Florian Kühnel stellt in seiner Studie „Amt und Person“ am Beispiel des Sekretärs Thomas Coke überzeugend dar, dass die Vorstellung, für das Gesandtschaftspersonal gälten Normenkonkurrenzen nicht, irrig sei. Folglich könne auch von einer „Arbeitsteilung“ zwischen hochadligen Botschaftern mit Zuständigkeit für die höfisch-zeremonielle Kommunikation und niederadligen Funktionsträgern als verhandlungserfahrenen Experten niederen Ranges in dieser Eindeutigkeit nicht die Rede sein (S. 199). Informelle Strukturen seien grundlegend für frühneuzeitliche Diplomatie geblieben, und das gelte auch für die Botschaftssekretäre. Dass sie als die vermeintlich „bürokratischen Beamten“ (S. 171) noch immer als die maßgeblichen „Modernisierungsagenten“ (S. 12) in der Diplomatie gelten, ist damit überzeugend widerlegt.

In das späte 18. Jahrhundert zu den Dragomanen und Sekretären in osmanischen Gesandtschaften nach Preußen führt der letzte Aufsatz. Hier herrschten nochmals andere Verhältnisse: Ständige Gesandtschaften richtete der Sultan erst in den 1790er-Jahren ein. Das Personal der bis dahin üblichen Ad-hoc-Gesandtschaften, auch das der drei von Irena Fliter untersuchten zwischen 1763 und 1798, war multiethnisch sowie multireligiös zusammengesetzt. Osmanische Gesandtschaften in Preußen wurden bewirtet beziehungsweise erhielten Reisegeld von den preußischen Gastgebern. Neben Patronage und Sprach- sowie kulturellen Kenntnissen ging es deshalb auch um „financial skills“ (S. 208) bei der Auswahl der Dragomane. Diese kulturellen Grenzgänger hätten auch als „the missions banker“ (S. 209) aufgrund ihrer vielfältigen Kontakte dienen können. Ihnen sei deshalb ein für die Preußen unerwartet hoher Rang innerhalb der Gesandtschaften zugekommen. Einen Wandel erfuhren diese von Flitner so differenziert wie spannend dargestellten Verhältnisse mit einer Reihe von Reformen des Sultan Selim III., insbesondere mit der Verstetigung der Gesandtschaftsposten, deren Bezahlung aus der osmanischen Staatskasse und der Einführung des Chargé d’affaires: Die Dragomane verloren ihre Mittlerposition und damit die Grundlage ihres Einflusses.

Abschließend kommentiert Hillard von Thiessen unter dem anschaulichen Titel „Spezialisten und Mulitalente“ die Beiträge, orientiert an den drei leitenden Fragenkomplexen Funktion, Professionalität und sozialer Position der Botschaftssekretäre. Aus Thiessens differenziertem Kommentar sei hier stichwortartig nur folgendes festgehalten: Niemand, weder der Gesandte noch sein Sekretär, erstrebte eine lebenslange Karriere in der Diplomatie. Das Verhältnis zwischen beiden beruhte auf „Personenvertrauen“ (S. 227) und die Aufsätze enthalten Hinweise darauf, wie ungut sich die Zusammenarbeit entwickeln konnte, wenn es nicht bestand. Interimistisch konnte der Sekretär jederzeit seinen Botschafter vertreten, das war eine „reguläre Ausnahme“ (S. 231); gegen Ende des 18. Jahrhunderts konnte die Erlangung eines formalen Amts einen Ansehensgewinn mit sich bringen, aber Grenzen des Aufstiegs auch sehr fähiger und protegierter Sekretäre waren durch ständische Grenzen definiert. Offene Fragen konstatiert Thiessen hinsichtlich der Professionalisierungs- beziehungsweise Formalisierungstendenzen, was angesichts dessen, dass damit ein Fundamentalproblem der Frühneuzeitforschung angesprochen ist, nicht erstaunen kann.

Weiterführend sind die Forschungsperspektiven, auf die Thiessen hinweist: Er regt an, zukünftig die alltägliche Verwaltungspraxis in Gesandtschaften stärker in den Fokus zu nehmen, die Friedenskongresse nicht auszuklammern, die Diskurse der Traktatliteratur einzubeziehen, die Debatten über Korruption und Intersektionalität in der Diplomatie miteinander zu verknüpfen und insbesondere den Übergang zum 19. Jahrhundert im Kontext der Atlantischen Revolutionen intensiver zu thematisieren.

Insgesamt liegt hier also ein sehr überzeugend komponierter, informativer, kohärenter und methodisch ertragreicher Sammelband vor, der erstmals diese wichtige Gruppe diplomatischer Akteure vergleichend sichtbar macht. Allerdings sind nicht alle Aufsätze gleich gut lesbar. Mitunter erschwert eine überkomplexe Gliederung die Lektüre unnötig; nur auf den ersten Blick attraktiv sind die szenischen Einstiege, die, oft mit Quellenzitaten angereichert, in Verbindung mit dem fast vollständigen Verzicht auf Leserführung Verunsicherung darüber auslösen, was von dem überschüssigen Sinn des Quellenzitats man sich für die spätere Argumentation merken sollte. Wenn man dann nach mehrfacher Lektüre des gesamten Aufsatzes feststellt, dass gar nichts von dem Eingangszitat in irgendeinen Zusammenhang mit der Argumentation steht, wird man ungehalten.

Verwunderlich ist, dass das vergleichende Potential der Beiträge so wenig genutzt wird. Bei aller gebotenen Vorsicht angesichts bloß punktueller Befunde – darauf weist Thiessen zu Recht hin (S. 225) – springt doch ins Auge, dass jedenfalls Status, Karrieremöglichkeiten und Funktion der Botschaftssekretäre unterschiedlich waren, je nach dem, in wessen Auftrag und an welchem Hof sie Dienst taten (vgl. auch S. 19–21). Eine Kontextualisierung dieser Unterschiede – und sei sie zunächst hypothetisch – mit den politischen Kulturen und sozialen Strukturen der beteiligten Länder fehlt hier und sollte ein nächster Schritt sein.

Schließlich wüsste man gerne, wie sich die Herausgeber:in die Diskrepanz zwischen Wicqueforts normativen Vorgaben und der Praxis erklären. Vielleicht hilft es auch hier, von einem Nebeneinander unterschiedlicher und unterschiedlich klarer Vorstellungen der Zeitgenossen von „Botschaftssekretären“ auszugehen; so deutet es auch Pohlig an. Da gibt es dann Wicquefort als Theoretiker, andere Beobachter, die über die Arbeitsweise an Botschaften und in Kanzleien reflektieren, und schließlich jene, die als „Botschaftssekretäre“ ad hoc handeln, dabei Praktiken ausbilden und Routinen entwickeln. An Anregungen, über all das nachzudenken, besteht mit diesem inspirierenden Band ja kein Mangel. Und: Ohne ihn wüsste man nicht einmal, dass es diese Fragen gibt.

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