Cover
Titel
Historians and Nature. Comparative Approaches to Environmental History (Krefeld Historical Symposia)


Herausgeber
Lehmkuhl, Ursula; Wellenreuther, Hermann
Erschienen
Oxford 2007: Berg Publishers
Anzahl Seiten
384 S.
Preis
€ 74,08
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Uwe Lübken, Amerika-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München

Natürliche Prozesse machen bekanntlich nicht an politischen Grenzen Halt. Schon aus diesem Grund hat die umwelthistorische Forschung einen stark transnationalen Charakter. Untersuchungsgrößen wie etwa das Einzugsgebiet eines Flusses oder die Migrationsmuster von Zugvögeln liegen oft quer zu den gängigen Analysekategorien der Geschichtswissenschaft. Wie Ursula Lehmkuhl in ihrer Einleitung zu “Historians and Nature” hervorhebt, hat eine umwelthistorische Vorgehensweise somit das Potenzial, den methodischen Nationalismus zu unterminieren, der historische Narrative weiterhin dominiert.

Wie stark solche nationalen Traditionen in der Praxis allerdings immer noch sind, dokumentiert nicht zuletzt die Entstehungsgeschichte des Bandes selbst, der auf eine Tagung der seit 1983 von der Stadt Krefeld geförderten “Historical Symposia” zur Geschichte Deutschlands und der Vereinigten Staaten zurückgeht. Dementsprechend ranken sich fast alle in dem Sammelband behandelten Themen um die Geschichte dieser beiden Länder. Die inhaltliche Fokussierung auf zwei Nationalstaaten war also, trotz aller Bemühungen zur Transnationalisierung, vorgegeben. Dies heißt aber nicht notwendigerweise, dass die beiden “container” nur mit nationalen Inhalten gefüllt werden mussten, und tatsächlich finden sich globalhistorische Analysen neben regional-komparativen und traditionell nationalen Ansätzen. Positiv ist auch die Entscheidung der HerausgeberInnen zu bewerten, die teilweise recht unverblümten Kommentare zu den Konferenzvorträgen in den Band aufzunehmen.

Ursula Lehmkuhl und Hanjo Berressem, deren Beiträge unter dem Sektionstitel “Historicization of Nature” zusammengefasst werden, thematisieren beide das Grundproblem und die wichtigste Theoriedebatte der Umweltgeschichte: das Verhältnis zwischen Natur und Kultur im historischen Wandel. Während Lehmkuhl einen gelungenen Überblick über die wichtigsten Traditionslinien der Umweltgeschichte in Deutschland und den USA gibt – vom “proto-environmentalism” (S. 32) über Frederick Jackson Turner und den Einfluss der Annales-Schule bis hin zur modernen “Disziplinierung” – und dabei vor allem die Verwendung der Kategorien Raum und Zeit analysiert, zeigt Berressem der Umweltgeschichte die Instrumente – und zwar diejenigen von Gilles Deleuze. Der Kölner Amerikanist wendet sich wie Lehmkuhl gegen die binäre Logik einer simplen Natur/Kultur-Dichotomie und dekonstruiert gleichzeitig metaphysische Extrempositionen, die Natur entweder als rein kulturelle Konstruktion oder aber als etwas ontologisch Eigenständiges auffassen. Stattdessen plädiert Berressem für eine “multiplicity of minor [nature/culture] thresholds” (S. 49), für die Berücksichtigung von mehrfachen “feedback-loops” (S. 47) zwischen den heterogenen Serien Natur und Kultur: “Being assembled from an underlying multiplicity, the human assemblage arranges in itself infinitely many nonhuman (natural), but also infinitely many human (cultural) series in constant autopoietic interaction and in a constant process of emergence.” (S. 51) Mark Häberlein bezeichnet in seinem Kommentar die von Berressem verwendete Terminologie als “rather inaccessible” (S. 70) und moniert mangelnde Relevanz für die konkrete historiographische Arbeit. Tatsächlich wäre eine stärkere Rückbindung der Überlegungen Berressems an die umwelthistorische Forschung wünschenswert gewesen. Auf der anderen Seite sollte man Anschlussmöglichkeiten, wie Berressems “Ökosophie” sie aufzeigt, nicht ignorieren, denn gerade in der Umweltgeschichte werden im weitesten Sinne postmoderne Theorieansätze noch viel zu selten produktiv eingesetzt.

Christian F. Feest hinterfragt in seinem Beitrag das westliche Stereotyp vom vermeintlich harmonischen Verhältnis zwischen indigenen Kulturen und ihrer natürlichen Umwelt. Zum einen war die Welt, die die Europäer “entdeckten” und eroberten, keineswegs die Wildnis, als die sie oft interpretiert wurde, sondern schon seit Jahrtausenden von der indigenen Bevölkerung transformiert und mit Bedeutungen versehen. Zum anderen weist Feest darauf hin, dass der Umgang der Euroamerikaner mit der Natur ebenfalls auf einem “spiritual model” (S. 88) basierte, und dass sich Formen traditionellen ökologischen Wissens bis heute auch in westlichen Gesellschaften finden lassen, vor allem in ländlichen Regionen.

Marie Luisa Allemeyer nimmt die Debatten und Konflikte über den Deichbau in Nordfriesland zum Anlass, die frühneuzeitliche Naturwahrnehmung und die Risikostrategien von Küstenbewohnern zu untersuchen. Jahrhunderte lang waren die Nordfriesen dem Wüten der Nordsee mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert. Lokale Deiche und die Zuflucht auf Warften boten nur unzureichende Protektion und immer wieder wurden bei schweren Sturmfluten große Teile des Landes regelrecht ins Meer gespült. Mit der zunehmend erfolgreichen Eindeichung der gesamten Küste und der Entwässerung des hinter den Deichen gelegenen Landes kehrte sich dieser Prozess jedoch um. Nun wurde Land gewonnen, und die Marsch konnte dauerhaft genutzt werden. Damit aber rückte der Deich nicht nur ökologisch, sondern auch gesellschaftlich in eine zentrale Position – als physische Grenze zwischen dem Meer und den Städten und Dörfern an der Küste, als gewaltiges “Investitionsprojekt”, das es zu finanzieren, zu bauen und zu unterhalten galt, und schließlich als ein Instrument des Risikomanagements, das immer wieder Fragen nach Herrschaft und (religiöser) Legitimation herauf beschwor. Allemeyer zeigt anhand der vielfältigen Konflikte, die sich hieraus entsponnen, dass Solidarität innerhalb der Gefahrengemeinschaft keineswegs vorausgesetzt werden konnte, sondern immer wieder neu ausgehandelt werden musste.

Launenhaft (und zugleich quecksilberhaltig – “mercurial”) ist auch die Natur, der sich Andrew C. Isenberg in seiner Analyse des Bergbaus in Kalifornien und im Ruhrgebiet widmet. In beiden Regionen stand der Abbau von Gold und Quecksilber bzw. von Kohle im Mittelpunkt einer ressourcen-intensiven Industrialisierung, wobei die “Rationalisierung” der Wasserläufe Grundvoraussetzung für den Erfolg der jeweiligen Unternehmung war. Die “miner” in Kalifornien brauchten eine regelmäßige und zuverlässige Wasserversorgung ebenso wie die Bergwerke im Ruhrgebiet. Die Folgen für die Umwelt waren in beiden Fällen gravierend. “Hydraulic mining” in den Goldgebieten, also die Auswaschung der Erze mit Wasserkanonen, hinterließ zum Teil mehrere Meter hohe Schlamm- und Geröllwüsten in den Flusstälern, die wiederum Hochwasser beförderten und Flussverläufe ändern konnten. Naturschutzpionier John Muir hielt fest: “[T]he hills have been cut and scalped and every gorge and gulch and broad valley have been fairly torn to pieces and disemboweled, expressing a fierce and desparate energy hard to understand” (S. 134). Im Ruhrgebiet wurden die Flüsse, wie andernorts auch, in regelrechte Wasserstraßen umfunktioniert, die für den Transport der Kohle, die Versorgung mit Frischwasser und die Entsorgung industrieller Abfälle zu sorgen hatten. Mark Cioc sieht in seinem Kommentar auf beiden Seiten des Atlantiks erstaunlich ähnliche “hydraulische Gesellschaften” am Werk. Diese Interpretation geht allerdings etwas weit, denn sowohl Karl Wittfogels Analyse “orientalischer Despotien” wie auch Donald Worsters Übertragung der Ergebnisse Wittfogels auf den Westen der USA, auf denen Ciocs Anregung basiert, beziehen sich auf Irrigationsgesellschaften mit ganz anderen gesellschaftlichen Konsequenzen des Wassermanagements. 1

Zeigt Isenberg die Vorzüge und das Potenzial einer komparativen umwelthistorischen Analyse, die auch transnationale Aspekte nicht aus den Augen verliert, so ist Claudia Schnurmanns Essay über “Perceptions of Space and Nature in Nineteenth-Century USA” eine eher willkürlich anmutende Auswahl von Fallbeispielen. Auf 38 Seiten mäandriert der Artikel zwischen Ohio und Kalifornien, den Niagara Falls und Yosemite. Zwar unterscheidet Schnurmann zwischen verschiedenen Arten von “space”, der von ihr verwendete Raumbegriff bleibt jedoch untertheoretisiert. So ist Mark Cioc zuzustimmen, wenn er in seinem Kommentar festhält “Unfortunately, this idiosyncratic framework too often leaves the reader feeling that he or she is wandering aimlessly in a vast terrain, with no landmarks to suggest in what direction the text is heading” (S. 187).

Die Stadt galt Umwelthistorikern lange als ein naturloser Ort und war damit – vom allerdings großen Bereich der “Verschmutzungsgeschichte” einmal abgesehen – kaum einer näheren Betrachtung wert. Diese Geringschätzung hat sich mittlerweile deutlich gelegt, und “urban environmental history” ist zu einem wichtigen Feld innerhalb der Umweltgeschichte geworden, wie Dorothee Brantz und Bernd Hermann in ihren Beiträgen verdeutlichen. Schon bei der Gründung einer Stadt spielen natürliche Voraussetzungen, wie der Zugang zu Flüssen, eine immense Rolle. 2 Auch sind Städte keinesfalls nur ökologische Parasiten, sondern stehen in einem vielfältigen Beziehungsgeflecht, einem regelrechten Metabolismus, zu ihrem Umland. “Natur” findet sich in der Stadt in vielfältigen Formen, von Parks und Gärten über Haustiere bis hin zu Topfpflanzen, und schließlich sind urbane Agglomerationen auch die zentralen Orte von Umweltwissen und „Umwelterziehung“, sei es durch botanische und zoologische Gärten, Naturkundemuseen oder Universitäten.

Insgesamt deckt der Band ein breites Spektrum der neueren umwelthistorischen Forschung ab – von traditional ecological knowledge (TEK) über Naturgefahren und die urbane Umweltgeschichte bis hin zur Umweltdiplomatie (Kurk Dorsey, Frank Zelko). Dass dabei einige Felder unbeackert bleiben, wie etwa African American Environmental History 3 lässt sich bei einer solchen Bestandsaufnahme kaum vermeiden. “Historians and Nature” versammelt neben mehreren exzellenten Beiträgen allerdings auch Artikel, die eher den Eindruck eines kaum überarbeiteten Redemanuskriptes hinterlassen. Zudem dürfte die Verbreitung des Buches außerhalb von Bibliotheken (und selbst dort) durch den prohibitiv hohen Preis effektiv verhindert werden.

Anmerkungen:
1 Karl A. Wittfogel, Oriental Despotism: A Comparative Study of Total Power, New Haven, CN, 1957; Donald Worster, Rivers of Empire. Water, Aridity, and the Growth of the American West. New York 1985.
2 Hier sollte man sich allerdings vor allzu deterministischen Analysen hüten. Für eine Reihe von gescheiterten Stadtgründungen, trotz anscheinend günstigster Voraussetzungen, vgl. Richard C. Wade, The Urban Frontier: Pioneer Life in Early Pittsburgh, Cincinnati, Lexington, Louisville, and St. Louis. Chicago, 1959, S. 30-35.
3 Dianne D. Glave and Mark Stoll (eds.), “To Love the Wind and the Rain”: African Americans and Environmental History. Pittsburgh, PA, 2006.

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