Cover
Titel
Nicht nur Bauhaus. Netzwerke der Moderne in Mitteleuropa
Weitere Titelangaben
Not Just Bauhaus – Networks of Modernity in Central Europe


Herausgeber
Störtkuhl, Beate; Makała, Rafał
Reihe
Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (77)
Erschienen
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexandra Klei, Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg

2019, im sogenannten Bauhausjahr, das aus Anlass der 100 Jahre zuvor von Walter Gropius initiierten Gründung der Kunstschule in Weimar stattfand, besuchte mehr als eine Million Menschen die Gebäude und Ausstellungen allein in den drei Städten, die das Bauhaus jeweils eine Zeitlang beherbergten – Weimar (bis 1925), Dessau und Berlin (1932/33). Deutschlandweit fanden mehr als 2.500 Veranstaltungen statt, darunter eine „Grand Tour der Moderne“, die in 169 Städten und Gemeinden Einflüssen der Architekturmoderne nachging.1 Zwei Schwerpunkte der Architekturgeschichte erfreuten sich dabei besonderer Aufmerksamkeit: das Wirken von Frauen am Bauhaus2 sowie Leben und Werk von Hannes Meyer, zwischen 1928 und 1930 Direktor der Schule.3 Gleichzeitig ist der Begriff „Bauhaus“ in der Öffentlichkeit längst zum Synonym für jede Form moderner Architektur der 1920er- und (frühen) 1930er-Jahre geworden, sodass die deutsche Schule als ihr alleiniger Ursprung impliziert wird. Vor diesem Hintergrund liest sich der Titel der in Umfang, Bebilderung und Gestaltung beeindruckenden Publikation „Nicht nur Bauhaus“ fast trotzig und lässt auf eine Verschiebung in der Wahrnehmung hoffen.

Die Veröffentlichung, die den Schwerpunkt auf Netzwerke in Ost- und Mitteleuropa und damit verbunden den Transfer von Ideen, Konzepten und Überzeugungen legt, geht zurück auf eine Tagung, die das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa in Oldenburg sowie das Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin gemeinsam mit dem Architekturmuseum Breslau und dem Schlesischen Museum zu Görlitz im Januar 2019 durchführten. Die Kunst- und Architekturhistoriker:innen Beate Störtkuhl und Rafał Makała versammeln 15, auf deutsch oder englisch verfasste, Beiträge und ordnen sie vier Kategorien zu: (1) „Schulische Verflechtungen“, (2) „Transnationale Netzwerke“, (3) „Neue Staaten – Neues Bauen“ und (4) „Die longue durée der Moderne“.

In ihrer Einleitung formulieren die Herausgeber:innen ein Interesse an „den künstlerischen Verflechtungen“ (S. 26), die jenseits politischer Antagonismen zwischen untergegangenen Imperien und über die Grenzen neuer Nationalstaaten hinweg bestanden. Mit ihrer kurzen, aber detailreichen Übersicht zu den Entwicklungen und Verflechtungen seit den 1920er-Jahren gelingt es ihnen, die Artikel des Bandes in einen gemeinsamen Zusammenhang zu stellen. Gleichwohl wäre hier eine intensivere Auseinandersetzung mit der Bedeutung und dem konkreten Stellenwert des Bauhauses innerhalb dieser Verflechtungen wünschenswert gewesen, da dieses in den Beiträgen selbst immer wieder Bezugspunkt ist – sei es über die Darstellung von Beziehungen ausgewählter Protagonist:innen oder im Versuch einer abgrenzenden Einordnung.

Der Fokus des ersten Teils liegt noch in Deutschland. Stefanie Fink unternimmt in ihrem Artikel eine Revision der Architekturausbildung an der Technischen Hochschule in Berlin Charlottenburg während der Kaiserzeit. Sie stellt fest, dass eine immer stärkere Ausdifferenzierung der Inhalte erfolgte, die zur Einführung neuer Disziplinen führte und zur Voraussetzung für die Umsetzung „neue[r] Ideen mit neuen Konstruktionsmethoden und in neue Formsprachen“ (S. 58) wurde. Auch Alexandra Panzert bleibt unmittelbar bei Ausbildungsstätten, indem sie die Beziehungsgeflechte zwischen sechs reformierten Kunst- und Gestaltungsschulen untersucht. Dabei weist sie nach, dass das Bauhaus in seiner Zeit „eine Institution unter vielen gleichartigen“ war und seine herausragende Position eine Folge seiner (Nachkriegs-)Rezeption ist. Diese Feststellung findet sich auch bei Małgorzata Jędrzejczyk, die den Spuren des Bauhauses in der polnischen Kunst der 1920er- und 1930er-Jahre anhand der Arbeit von Katarzyna Kobro und ihrem Ehemann Władysław Strzemiński nachgeht. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass die Geschichte der Kunst jener zwei Jahrzehnte „eher im Plural geschrieben werden [muss] – als eine Epoche der Modernismen, Modernen und unterschiedlichen Modernitätskonzepte“ (S. 155). Beáta Hock wiederum stellt das Bauhaus als „Laboratory of Modernity and Springboard to the World“ ins Zentrum ihres Artikels, wobei sie den Fokus einerseits auf jüdische, andererseits auf weibliche Studierende aus Osteuropa legt. Mit ihren Ausführungen zu den „Sexual Politics at the Bauhaus“ hat Hock einen der Höhepunkte des Bandes verfasst, wenngleich die Integration dieses Artikels mit Blick auf den Titel der Publikation irritiert, da hier „nur" Bauhaus behandelt wird.

Mit der zweiten Sektion rücken verschiedene transnationale Netzwerke in den Blick: Carolin Binder zeichnet die Entwicklung der Künstler:innenvereinigung Devětsil, ab 1920 der Fixpunkt der tschechoslowakischen Avantgarde, entlang ihrer Beziehungen zum Bauhaus und insbesondere zu dessen Direktoren Gropius und Meyer nach. In Christopher Langs Beitrag werden die Verbindungen zwischen einer Architekturmoderne in Österreich und der Tschechoslowakei über die Zusammenarbeit von Adolf Loos und seinen tschechischen Assistenten erzählt. Ágnes Anna Sebestyén stellt mit der ungarischen Architekturzeitschrift Tér és Forma (Raum und Form) einen besonderen Quellenbestand zur Rekonstruktion des transnationalen Austausches zwischen Architekt:innen und ihren Ideen vor. Und auch Martin Kohlrausch widmet sich einem einzigartigen, grenzüberschreitenden Forum: den 1928 in La Serra in der Schweiz gegründeten Congrès Internationaux d'Architecture Moderne (CIAM) und hier besonders dessen zwischen 1937 und 1939 bestehender Unterorganisation CIAM Ost. Diese sei zu einem Bezugspunkt verschiedener Initiativen von Architekten in den Ländern Osteuropas geworden und habe – auch über 1945 hinaus – einen Rahmen für praktische Kooperationen geschaffen.

Mit der dritten Sektion rücken die Entwicklungen aus nationaler Perspektive für drei Länder in den Fokus, die 1918 ihre Unabhängigkeit erhielten: Litauen (Giedrė Jankevičiūtė), Estland (Mart Kalm) und die Zweite Polnische Republik (Andrzej Szczerski). Die Autor:innen zeigen nicht nur erneut die Bedeutung von Netzwerken und Austausch auf, sondern vor allem, welche große Rolle moderne Architektur für den Aufbau einer (neuen) nationalen Identität einnahm – eine Beziehung, die bereits im Kontext architekturmoderner Entwicklungen ab den 1930er-Jahren im Britischen Mandatsgebiet Palästina und besonders in Tel Aviv immer wieder untersucht wurde.4 Szczerski kommt beispielsweise zu dem Schluss, dass „Modernität [...] zu einem integralen Bestandteil polnischer Identität [wurde]“ und plädiert dafür, die „Vielschichtigkeit der Moderne und Modernisierungsansätze über die Akteure der radikalen Avantgarde hinaus in den Blick [zu] nehmen“ (S. 299).

Drei Beiträge sehr unterschiedlicher Ausrichtung schließen den Band ab: Kai Wenzel zeigt anhand des in Niesky angesiedelten Holzbauwerks Christoph & Unmack auf, wie eine Fabrik zu einem relevanten „Ort für die Entwicklung und Realisierung neuer Bauprinzipien“ (S. 344) – hier innovativer Konzepte für den Hausbau als Serienprodukt – werden konnte. Während das Wissen um diese Möglichkeiten serieller Produktion von Walter Gropius und dem Architekten Konrad Wachsmann nach deren Emigration in die USA ab 1941 in der gemeinsam gegründeten General Panel Corporation in die Vorfertigung von Häusern floss, baute das Werk in Deutschland Baracken, die in Zwangsarbeits-, Konzentrations- und Vernichtungslagern Verwendung fanden. Der Artikel von Tzafrir Fainholtz zeichnet die Entwicklungen von Haifa zu einer europäisch anmutenden mediterranen Stadt in den 1920er- und vor allem den 1930er-Jahren nach und liest sich dabei aber vor allem als ein Text, der unterschiedliche Aspekte vorangegangener Beiträge zusammenfügt: die Bedeutung von Netzwerken, den transnationalen Transfer, die Vielschichtigkeit der architekturmodernen Vorstellungen. Analog zu Finks Vorgeschichte der Architekturmoderne am Anfang des Bandes, nimmt der abschließende Beitrag von Ewa Chojecka die Zeit nach 1945 und die unmittelbare Gegenwart in den Blick: Ein vor wenigen Jahren gebildetes interdisziplinäres Team am Institut für Architekturdokumentation der Schlesischen Bibliothek dokumentiert und erforscht Architekturen der ersten Nachkriegsjahrzehnte in Polen „auch als Nachleben der Zwischenkriegsmoderne“ (S. 375).

Anders als der Titel suggeriert, bleibt das Buch insgesamt erstaunlich dicht am Bauhaus, seinen Protagonist:innen und damit den Entwicklungen in Deutschland. Das Versprechen einer Wahrnehmungsverschiebung löst es somit nur bedingt ein. Gleichzeitig eröffnet uns der Band in der Summe aber die Möglichkeit, Orte, Architekturen, Akteur:innen und Entwicklungen in den Blick zu nehmen, denen in einem deutschen Fachdiskurs bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Publikation ist damit ein eindrucksvolles Plädoyer dafür, die Architekturmoderne in ihrer Komplexität und ihren Verflechtungen anzuerkennen und weiter zu erforschen.

Anmerkungen:
1 dpa: Bauhaus-Ausstellungen ziehen über eine Million Besucher an, in: Süddeutsche Zeitung, 14.02.2020, https://www.sueddeutsche.de/kultur/architektur-weimar-bauhaus-ausstellungen-ziehen-ueber-eine-million-besucher-an-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200214-99-908617 (08.11.2021).
2 Neben zahlreichen Artikeln und Features u.a. Patrick Rössler / Elizabeth Otto, Frauen am Bauhaus. Wegweisende Künstlerinnen der Moderne. Übersetzung aus dem Englischen: Birgit van der Avoort, München 2019, sowie aktuell die Ausstellung „Vergessene Bauhaus-Frauen“ im Bauhaus-Museum in Weimar (1. Oktober 2021 bis 4. Januar 2022). Der Katalog erschien als: Anke Blümm / Patrick Rössler (Hrsg.), Vergessene Bauhaus-Frauen. Lebensschicksale in den 1930er und 1940er Jahren, Weimar 2021.
3 Philipp Oswalt (Hrsg.), Hannes Meyers neue Bauhauslehre: Von Dessau bis Mexiko, Berlin 2019.
4 Exemplarisch: Sigal Davidi, The ‘New Architecture’ of the 1934 Levant Fair. Constructing Identity for Jewish Society in Mandatory Palestine, in: Ronny Schüler / Jörg Stabenow (Hrsg.), Vermittlungswege der Moderne. Neues Bauen in Palästina 1923–1948, Berlin 2019, S. 151–164.

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