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Geschichte allgemein

D. Luginbü u.a. (Hrsg.): Religiöse Grenzziehungen im öffentlichen Raum

 

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Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 702-704.
Titel:Religiöse Grenzziehungen im öffentlichen Raum. Mechanismen und Strategien von Inklusion und Exklusion im 19. und 20. Jahrhundert
Reihe:Religionsforum 8
Herausgeber:Luginbü, David; Franziska, Metzger; Thomas, Metzger; Elke, Pahud de Mortanges; Martina, Sochin
Ort:Stuttgart
Verlag:Kohlhammer Verlag
Jahr:
ISBN:978-3-17-022030-0
Umfang/Preis:316 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Felicity Jensz, Exzellenzcluster "Religion und Politik", Westfälische Wilhelms-Universität Münster
E-Mail: <felicity.jenszuni-muenster.de>

Die Kritik der Säkularisierungstheorie führte zu einer verstärkten Erforschung der Differenzierung innerhalb und zwischen verschiedenen religiösen, beziehungsweise konfessionellen Gemeinschaften, insbesondere in Bezug auf die Bildung kollektiver Identität. Da Religion in all ihrer Vielgestaltigkeit nach wie vor ein bedeutender Teil der Gesellschaft ist – trotz der wahrnehmbaren Entkirchlichungsprozesse in vielen europäischen Ländern – sind die Mechanismen und Strategien, die zu religiösen Ein- und Ausgrenzungen führen, von weitreichender Bedeutung. Aus diesem Grund sind die siebzehn Beiträge im vorliegenden Sammelband, die sich den «Mechanismen und Strategien von Inklusion und Exklusion im 19. und 20. Jahrhundert» widmen, wie man aus dem Untertitel des Buches erfährt, von nicht geringer Relevanz, besonders weil Religion schwer vom nichtreligiösen Umfeld zu trennen ist und dementsprechend religiöse Grenzziehungen weitere Wirkungen über die Religion hinaus haben.

Die Herausgeberinnen und Herausgeber selbst beschreiben den Band, dessen Entstehung auf die Schweizerischen Geschichtstage in Basel im Februar 2010 zurückgeht, als einen Beitrag zur neueren Religionsgeschichte. In der Einleitung legen sie die Grundgedanken für die Struktur des Bandes dar. Ausgangspunkt ist der einfache aber vielsagende Satz: «Grenzen sind Demarkationslinien». Auf jeder Seite der Grenze liegen Gegensätzlichkeiten des ‹Eigenen› und des ‹Anderen›, die wiederum zu gesellschaftlicher Inklusion oder Exklusion sowie zu asymmetrischen Selbst- und Fremdbeschreibungen führen. Grenzen sind aber auch fliessend, weshalb auch immer Neudefinitionen notwendig sind. Trotzdem gehen die Mechanismen von Grenzziehungen über Homogenisierung und Komplexitätsreduktion häufig nicht hinaus.

Ausgehend von der Feststellung, dass man zwei unterschiedliche Formen von Grenzkonstruktionen für die modernen Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts unterscheiden kann, wurden diese auf den Bereich religiöser Grenzziehungen im öffentlichen Raum übertragen. Die eine basiert auf einem systemtheoretischen Ansatz (und ist am Werk von Niklas Luhmann orientiert), nach dem eine binäre Codierung innerhalb eines Teilsystems jede Seite der Grenze festlegt. Besonders wichtig für die Autoren der Einleitung sind dabei die religiöse Codierung ‹Immanenz/Transzendenz› und die moralische Zweitcodierung von Religion in Form von ‹gut/böse› und ‹Heil/Verdammnis›. Die zweite Form der Grenzkonstruktion basiert eher auf eine Selbstzuschreibung oder «partizipative Identität» (10) und ist somit eng mit «Mechanismen der Fixierung und Essentialisierung identitärer Marker wie Kultur, Ethnizität, Sprache, aber auch Geschichte und Tradition sowie Religion» (10) verbunden. In beiden Formen sind die Grenzen zwischen religiösen und nichtreligiösen Aspekten der Gesellschaft allerdings schwer zu trennen.

Die Komplexität des Themas erfordert nach Ansicht der Herausgeberinnen und Herausgeber eine innovative Herangehensweise, die hier mit der Betrachtung von Beziehungs-, Verhältnis- und Verschränkungsgeschichte erreicht wird. Um einen Überblick über die unterschiedlichen Herangehensweisen der Beiträge innerhalb des Sammelbandes zu schaffen, wurden von den Herausgebern vier theoretische und methodische Ebenen, die sich über längere Zeiträume erstrecken und auf thematischen Gemeinsamkeiten beruhen, eingezogen. Die ersten zwei Ebenen beziehen sich auf den verhältnis- und beziehungsgeschichtlichen Aspekt. Die erste beschreibt die Beziehungen verschiedener religiöser oder konfessioneller Gemeinschaften zueinander, die zweite die Mentalitäten innerhalb dieser Gruppen. Die dritte Ebene ist auf die diskursive Dimension fokussiert, die vierte auf die Transformation der Wirklichkeitsdeutung für die Identitätsstiftung von Gemeinschaften. Ferner teilt sich der Sammelband in vier Abschnitte: fünf Beiträge zum Thema «Grenzziehungen im Innern – Mechanismen der Abgrenzung des ‹Andern› im ‹Eigenen›»; drei zum Thema «Grenzen des Religiösen und Transformationen im Religionsbegriff»; sechs zum Thema «Grenzziehung durch Religion – Gemeinschaftsbildungen und Identitätsdiskurse»; und schliesslich drei zum Thema «Grenzerweiterungen und Verhältnisbestimmungen – Religion in Missions-, Universalisierungs- und Zivilisierungsdiskursen.»

Die der Einleitung folgenden Beiträge sind meist weniger theoriebeladen als die Einleitung, sondern zeigen durch Fallstudien, wie die Mechanismen und Strategien von Inklusion und Exklusion anhand eines konkreten Beispiels gewirkt haben. Die Beiträge beinhalten Themen wie der LSD-Trip als Pilgerfahrt (Franziska Hupfer); die Pluralisierungsprozesse im protestantischen Milieu Württembergs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Claudius Kienzle); die Missionsbewegung und die katholische Erweckung vor 1848 (Siegfried Weichlein); und Konversion zum Islam in der Schweiz im 21. Jahrhundert (Petra Bleisch Bouzar/Susanne Leuenberger).

Eine Stärke dieses Bandes ist seine Vielfältigkeit, da er sowohl Beiträge aus der auf West-Europa bezogenen Katholizismus- und Protestantismusforschung als auch aus regionalen und transnationalen Perspektiven beinhaltet. Da die aussereuropäische Welt und, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nichtchristliche Religionen so gut wie gar nicht vorkommen, kann das Anliegen des Bandes, «verschiedene Ansätze und Forschungsbereiche entlang einer universellen Problematik zusammenzuführen und zu systematisieren» (9) allerdings nur schwer erreicht werden. Nichtsdestotrotz handelte es ich um einen anregenden Band, der trotz der hier wie in anderen Sammelbändern häufig anzutreffenden Heterogenität der einzelnen Beiträge interessante Schneisen und Wege in die gesellschaftlichen Grenzgebiete der Religion zieht, die für weitere Forschung inspirierend sind.

Zitierweise Felicity Jensz: Rezension zu: David Luginbühl/Franziska Metzger/Thomas Metzger/Elke Pahud de Mortanges/ Martina Sochin (Hg.), Religiöse Grenzziehungen im öffentlichen Raum. Mechanismen und Strategien von Inklusion und Exklusion im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart, Kohlhammer, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 702-704. <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/infoclio/id=24803>
 
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