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Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 694-696.Autor(en): | Dade, Eva Kathrin |
Titel: | Madame de Pompadour. Die Mätresse und die Diplomatie |
Reihe: | Externa 2 |
Ort: | Köln |
Verlag: | Böhlau Verlag |
Jahr: | 2010 |
ISBN: | 978-3-412-20480-8 |
Umfang/Preis: | 338 S. |
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andreas Behr, Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit, Universität Freiburg (CH)
E-Mail: <andreas.behr
Madame de Pompadour gehört zweifelsohne zu den schillerndsten Figuren Versailles, entsprechend mehrdeutig sind die wissenschaftlichen und alle übrigen Darstellungen ihrer Person. Eine weitere Studie zur bekanntesten Mätresse Frankreichs vorzulegen, stellt also ein Wagnis dar; es einzugehen hat sich gelohnt.
Eva Kathrin Dades Studie ist das Resultat eines Forschungsprojekts zur «weiblichen Diplomatie» im 18. Jahrhundert, das drei Teilprojekte zu vier verschiedenen Akteurinnen am französischen und spanischen Hof umfasste. Das Projekt wurde von Christian Windler (Universität Bern) und Hillard von Thiessen (Universität Rostock) geleitet. Beide untersuchten in den letzten Jahren schwerpunktmässig die frühneuzeitlichen Aussenbeziehungen. Mit der Gründung der Schriftenreihe «Externa» (Böhlau Verlag, gemeinsam mit André Krischer und Barbara Stollberg-Rilinger) und mit dem ersten Reihenband setzten sie zudem eine Wegmarke in der diplomatiegeschichtlichen Forschung. Die Untersuchung Dades orientiert sich folgerichtig daran: Der Akzent wird auf den zweiten Bereich des Untertitels gelegt, also auf die Diplomatie, und Madame de Pompadour wird mithin ausschliesslich in ihrer Rolle als diplomatische Akteurin vorgestellt. Gerade darin liegt der Reiz der Untersuchung: Zum einen ist dieser Blick auf die Mätresse Ludwigs XV. bisher erst marginal untersucht worden und zum anderen birgt die Konzentration auf die Aussenbeziehungen ein Erkenntnispotential, das über die genuin diplomatiegeschichtliche Faktenanreicherung hinausreicht. Der modernen Diplomatiegeschichte verpflichtet, folgt Dades Studie vor allem kulturwissenschaftlichen Fragen. Untersucht werden dabei unter anderem Funktion und Funktionieren von Patronage, Diskurse über (il)legitimes politisches Handeln und damit auch Fragen der Verstaatlichung der Aussenbeziehungen sowie die Rollenvielfalt und -vorstellungen der Akteure in den verschiedenen Entscheidungskontexten.
Die Untersuchung ist methodisch solide und setzt den aktuellen Forschungstrend der Geschichte der Aussenbeziehungen fort. Erklärtes Ziel ist es, «über den Blickwinkel auf die Mätresse und ihre Funktionen die Charakteristika frühneuzeitlicher Herrschaftspraktiken und ihrer Aussenbeziehungen zu präzisieren und um eine geschlechterspezifische Komponente zu erweitern» (17). Die Studie ist in drei Teile gegliedert. In einem ersten Schritt (Teil I) wird Madame de Pompadour als Akteurin am französischen Hof eingeordnet, dabei werden verschiedene Instanzen und Figuren vorgestellt und nebenbei erhellende Einblicke in das höfische Leben geliefert. Diese «mise en place» bildet die Grundlage für die Abgrenzung der Figur der Mätresse von anderen Amts- und Würdenträgern, in erster Linie von Ludwigs Ministern. Madame de Pompadour belegte kein offizielles Amt, sie verteilte aber die königlichen grâces, weshalb die Mätresse sinnigerweise im Bereich des Informellen, dem für die Aussenbeziehungen des 18. Jahrhunderts grundsätzlich zentralen Sektor, verortet wird. Dade charakterisiert Pompadour als Mätresse schlüssig in ihrer Funktion als «eine Art weiblichen Günstlingsministers» (88), ohne die offensichtlich geschlechterspezifische Differenz gegenüber den männlichen Pendants aus den Augen zu verlieren, im Gegenteil: Im zweiten und dritten Teil wird eben dieser Differenz auf den Grund gegangen, zunächst in den konkreten diplomatischen
Aktionsfeldern der Maîtresse en titre im Umgang mit fremden Diplomaten am französischen Hof (Teil II) und dann in der Selbstund Fremddarstellung der Mätresse (Teil III).
Im zweiten Teil erfahren wir viel über ausgewählte diplomatische Missionen zwischen 1745 und 1760 aus Grossbritannien, Brandenburg-Preussen und Wien. Dabei erlaubt der Vergleich zwischen den verschiedenen Gesandten, die Handlungsspielräume der Madame de Pompadour auszuloten. Die preussischen Gesandten etwa versuchten, über andere informelle Kanäle politischen Einfluss am französischen Hof auszuüben, so über die Financiers Pâris und über die gut vernetzte Schwester des Preussenkönigs Friedrich II., Wilhelmine Friederike Sophie, Markgräfin von Bayreuth. Der Habsburger Gesandte Starhemberg hingegen machte sich die exklusiven Kontakte zur weiblichen Patronage- Brokerin zunutze: Dade kommt zum Schluss, dass der 1756 unterzeichnete Erste Versailler Vertrag, der das Renversement des alliances begründete, «ohne die Mitwirkung der Mätresse womöglich nicht zustande gekommen wäre» (154). Und sie zeigt auch warum: Pompadour spielte die zentrale Vermittlerrolle zwischen Starhemberg und dem Kardinal de Bernis; inwiefern sie inhaltliche Anregungen lieferte, muss nicht zuletzt angesichts der geringen Verschriftlichung mündlicher Kontakte hingegen offen gelassen werden (167–173, 182–185).
Den dritten Teil widmet Dade der politischen Kultur des aufklärerischen Frankreich. Dabei werden die Korrespondenzen der fremden Diplomaten systematisch geprüft, um letztlich den bereits im ersten Teil erörterten Befund, nämlich dass Madame de Pompadour im informellen Bereich tätig war, zu bestätigen. Pompadour taucht fast ausschliesslich in der parallel zur amtlich verlaufenden privaten (informellen) Korrespondenz auf, was dem zeitgenössischen Bild der apolitischen Frau entsprach. Obwohl Informalität respektive Irregularität im öffentlichen Raum des Politischen negativ konnotiert waren (269f.), wurden diese Kanäle offensichtlich genutzt, was sich gemäss Dade mit einer weiterhin herrschenden Normenvielfalt erklären lässt: «[D]ie Rolle Madame de Pompadours [zeigt], dass Elemente personaler Herrschaft ein zentraler Bestandteil der politischen Kultur noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts waren, dass informelle Einflussnahme und informell agierende Akteure und Akteurinnen beiderlei Geschlechts unmittelbar an die höfische Gesellschaft geknüpft waren. » (267) Allmählich entstand aus der Vielfalt jedoch eine Normenhierarchie, das Informelle wurde zunehmend aus dem politischen Raum verbannt – und damit, entgegen aufklärerischen Konzepten, auch die Frau. Damit ist zugleich die Frage nach der Relevanz des Geschlechts beantwortet: «Als weiblicher Günstlingsminister war sie kein Einzelfall, sondern eine Variante des männlichen Günstlingsministers. » (276) Dennoch zog sie Vorteile aus ihrem Geschlecht: «Als Frau konnte sie im fortgeschrittenen Stadium des Behördenwachstums noch länger auf informelle Weise tätig sein als ein Mann.» (276) Damit können auch das scheinbare Paradox der aussergewöhnlichen Länge ihrer offensichtlich intensiven Machtausübung am Hof und das trotzdem fehlende Machtvakuum nach ihrem Tod (185) mit ihrem Geschlecht erklärt werden.
Die sorgfältig redigierte Studie kommt erfreulicherweise ohne den für Qualifikationsschriften oftmals ausladenden theoretischen Überbau aus, vielmehr werden die methodischen Grundlagen geschickt in die Analysen eingeflochten. Diese werden dadurch unmittelbar an die theoretischen Zugänge zurückgebunden, Redundanzen weitestgehend vermieden, was – nicht zuletzt dank weiterführender, umfangreicher Fussnoten – ungestörten Lesefluss garantiert. Das Ziel, «Charakteristika frühneuzeitlicher Herrschaftspraktiken zu präzisieren und um eine geschlechterspezifische Komponente zu erweitern», wird damit auf überzeugende Weise erreicht. Wer sich künftig mit weiblicher Diplomatie in der Frühen Neuzeit beschäftigt, wird sich an der vorliegenden Studie orientieren müssen. Dass die Rolle der Frau in den Aussenbeziehungen weiterer Fallstudien bedarf, steht ausser Frage. Man darf gespannt sein auf die Veröffentlichung der Beiträge zur kürzlich in Bern organisierten Tagung «Das Geschlecht der Diplomatie». (Zum Tagungsbericht siehe: «Das Geschlecht der Diplomatie» – Geschlechterrollen in den Aussenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart.