1 / 1 Rezension

Frühe Neuzeit

R. Bodenmann: Wolfgang Musculus (1497–1563)

 

Externe Angebote zu diesem Beitrag

Informationen zu diesem Beitrag

Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 63, Nr. 4, Bern 2001, S. 64ff.
Autor(en):
Titel:Wolfgang Musculus (1497–1563). Destin d’un autodidacte lorrain au siècle des Réformes
Reihe:Travaux d’humanisme et renaissance, 343
Ort:Genève
Verlag:Librairie Droz S.A.
Jahr:
ISBN:978-2600004558
Umfang/Preis:724 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Claudia Engler
E-Mail: <->

Wolfgang Musculus, der 1549–1563 als Professor der Theologie in Bern wirkte, ist von der Nachwelt lange Zeit verkannt und als Vertreter der zweiten Reformatorengeneration sogar weitgehend in Vergessenheit geraten. Erst ein im Hinblick auf seinen 500. Geburtstag veranstaltetes internationales Kolloquium und eine Ausstellung in Augsburg haben ihn der Fachwelt und einem weiteren Publikum wieder in Erinnerung gerufen. Die Wiederentdeckung des Musculus für Bern ist dem Institut für Historische Theologie der Universität Bern zu verdanken, das im Herbst 1997 in einer viel beachteten Ausstellung im Berner Münster den «Berner Musculus» im Kontext der hiesigen Reformation zeigte.

In alle genannten Veranstaltungen flossen jeweils neue Forschungsergebnisse zu Wolfgang Musculus ein. Doch gerade diese Ergebnisse machten immer wieder auch deutlich, dass die Musculus-Forschung erst am Anfang steht, zentrale Quellensammlungen noch kaum ausgewertet und damit entscheidende Fragen noch offen sind. Dass die damals geäusserten Wünsche nach einer intensivierten wissenschaftlichen Beschäftigung mit Musculus Früchte getragen haben, beweist die nun vorliegende Arbeit von Reinhard Bodenmann. Mit seinem wichtigen und gewichtigen Forschungsbeitrag hat er ein Grundlagenwerk für jede zukünftige Musculus-Forschung geschaffen, das dieser vor allem auch weitere neue Impulse verleihen dürfte.

Kernstück der Arbeit und Ausgangspunkt für weitere Fragestellungen bildet die umfassende kritische Edition der Vita Wolfgangi Musculi. Bisher diente der Forschung die 1595 in Basel gedruckte Lebensbeschreibung als biografische Hauptquelle. Als Vorlage dieser Druckfassung nennt das Vorwort die 1564 von Musculus’ Sohn Abraham handschriftlich verfasste Lebensbeschreibung des eben erst verstorbenen Vaters, die seither als verschollen galt. Auf der Suche nach Briefen Theodor Bezas stiess Reinhard Bodenmann 1997 per Zufall in der Genfer Sammlung Tronchin auf die Originalhandschrift der Musculusvita und konnte sie als Druckvorlage identifizieren. Ein Vergleich machte rasch deutlich, dass der Druck nur eine gekürzte Fassung der Originalvita darstellt. Laut Widmungsvorrede von Abraham Musculus an den Basler Drucker Johannes Herwagen den Jüngeren hätte das Manuskript schon 1564 zum Druck kommen sollen, was aber der unerwartete Tod des Druckers verhindert hatte. Als Basistext für die Edition der vollständigen Vita wählte Bodenmann jedoch nicht den Text der Genfer Fassung, sondern den Text des schon im 18. Jahrhundert bekannten, zwischen 1572 und 1574 entstandenen, aber nie untersuchten Manuskriptes in der Burgerbibliothek Bern von der Hand des jüngsten Musculussohnes Johann-Heinrich. Dieses weist nur geringfügige Abweichungen zum Originaltext auf. Ergänzend werden zudem das Basler und das Zürcher Vita-Fragment in die Edition einbezogen, nachdem die gegenseitige Abhängigkeit der Handschriften sorgfältig geklärt wurde. Die akribische Edition des lateinischen Textes wird begleitet von einer französischen Übersetzung und ausführlichen Annotationen, die auch auf die gegenseitige Beziehung von Vita und theologischem Werk verweisen und insbesondere alle bekannten Briefe – Musculus führte einen ausgedehnten Briefwechsel – und weitere zentrale, zeitgenössische Quellen miteinbezieht.

Der Wert der vollständigen Vita liegt hauptsächlich darin, dass sie Einzelheiten enthält, die man bei der Drucklegung als zu privat oder von zu geringem Interesse für die Nachwelt anschaute. Gerade aber über das scheinbar allzu Private können jetzt einige wichtige biografische Lücken zu Musculus geschlossen werden, was umso bedeutsamer ist, als die Biografie auch entscheidenden Einfluss auf das theologische Werk hatte.

Die Vita und die beigezogenen Briefsammlungen liefern aber nicht nur neues Material zur Biografie des Wolfgang Musculus, sie erhellen teilweise einen ganzen Kreis von Beziehungen, persönlichen Kontakten und Entscheidungen. Unter dem Titel Musculiana stellt der Autor zunächst die Biografien der Ehefrau Margaretha, der neun Kinder und weiterer Verwandter dar. Geklärt dürfte damit die Frage nach der Tochter Esther sein, deren Existenz bestätigt werden kann, und dem Sohn Jonas, der endgültig als «fils fantôme» bezeichnet werden muss. Nach den Lebensläufen der Familienmitglieder werden neue Aspekte des persönlichen Verhältnisses von Musculus zu einigen seiner Zeitgenossen wie Luther, Melanchthon und Calvin herausgearbeitet, seine Bemühungen um das Griechische, Hebräische und Arabische, seine Entscheidung zwischen Augsburg und Bern, überhaupt die Schwierigkeiten der Integration in Bern. In derselben Art und Weise von der Biografie und dem Privaten ausgehend, kommen theologische und werkbezogene Themen zur Sprache wie Musculus’ Interesse an den Kirchenvätern, seine Einstellung und Stellungnahme gegenüber anderen religiösen Anschauungen und der «Querelle sacramentaire». Nicht zuletzt erlauben die Vita und beigebrachte Quellen die Entstehungsumstände und zeitliche Einordnung der theologischen Werke näher zu beleuchten und damit die Musculus-Bibliografie zu vervollständigen und neu zu kommentieren. Im abschliessenden Kapitel «Perceptions, perceptions... » wagt der Autor den Versuch eines psychologischen Porträts der Persönlichkeit Wolfgang Musculus auf Grund der erhaltenen persönlichen Einschätzungen durch Musculus selbst wie auf Grund der zahlreich in den Quellen auftauchenden Beurteilungen durch seine Zeitgenossen und Briefpartner.

Eine ausführliche Bibliografie, die den derzeitigen Stand der Musculus-Forschung repräsentiert, und ein Index, der, klug angelegt, keine Wünsche offen lässt, runden die Arbeit aufs Beste ab.

Zitierweise Claudia Engler: Rezension zu: Bodenmann, Reinhard: Wolfgang Musculus (1497–1563). Destin d’un autodidacte lorrain au siècle des Réformes, Genève, Droz, 2000 (Travaux d’humanisme et renaissance, 343), 724 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 63, Nr. 4, Bern 2001, S. 64ff. <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/infoclio/id=14661>
 
1 / 1 Rezension