U. Giessmann: Der letzte Gegenpapst

Cover
Titel
Der letzte Gegenpapst: Felix V. Studien zu Herrschaftspraxis und Legitimationsstrategien (1434− 1451)


Autor(en)
Giessmann, Ursula
Reihe
Papsttum im mittelalterlichen Europa 3
Erschienen
Köln 2014: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
410 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Kathrin Utz Tremp, Staatsarchiv Freiburg

Das vorliegende Buch, das Anfang 2012 als Dissertation an der Humboldt-Universität in Berlin (Prof. Johannes Helmrath) angenommen wurde, ist dem letzten Gegenpapst der Kirchengeschichte gewidmet, nämlich Papst Felix V., vielleicht besser bekannt unter seinem weltlichen Namen, Herzog Amadeus VIII. von Savoyen. Dieser wurde 1439 vom Konzil von Basel (1431−1449), das vorgängig den «rechtmässigen» Papst Eugen IV. als Häretiker abgesetzt hatte, zum Papst gewählt und gekrönt. Damit tritt die Erforschung des Basler Konzils, das fast zwei Jahrzehnte gedauert hatte, in eine neue Phase: während bisher vor allem die ersten acht Jahre (1431−1439) erforscht wurden, sind es jetzt die restlichen zehn Jahre, und es ist sehr zu wünschen, dass das Buch eine ähnliche Vorreiterrolle spielen wird wie vor Jahren die Dissertation des Doktorvaters Johannes Helmrath, Das Basler Konzil 1431−1449. Forschungsstand und Probleme, Köln/Wien, Böhlau, 1987. Dabei steht der Dissertation der Schülerin allerdings der legitimationsstrategische Ansatz etwas im Weg, denn es wird manchmal etwas zu sehr theoretisiert und zu wenig nahe an den Quellen gearbeitet. Der legitimationsstrategische Ansatz ist vor allem auch deshalb fragwürdig, weil es sich bei den geschilderten Ereignissen doch eher um ausserordentliche handelt, bei denen man umsonst nach Parallelen sucht – auch wenn die Akteure selber, die Basler Konzilsväter, sich um Normalität oder eben Legitimität bemühten. Es handelte sich nicht nur um ein Papst, sondern auch um ein Konzilsschisma, denn der am 31. Juli 1437 vor das Konzil zitierte Papst Eugen IV. hatte seinerseits auf Anfang 1438 ein Unionskonzil mit den Griechen in Ferrara eröffnet und war darauf am 25. Juni 1439 vom Basler Konzil als häretischer Papst abgesetzt worden. Etwas mühsam ist auch, dass die Autorin sich recht oft wiederholt.

Zunächst befasst sich die Verfasserin mit dem Rückzug des savoyischen Herzogs Amadeus VIII. nach Ripaille, der bereits fünf Jahre vor seiner Wahl zum Papst stattfand. Hier erreichte ihn Ende 1439 die Nachricht von der Wahl zum Papst, die am 5. November 1439 in Basel stattgefunden hatte. Für diese Wahl griff man auf die Wahl Papst Martins V. zurück, die am 11. November 1417 durch das Konzil von Konstanz (1414−1418) vorgenommen worden war; obwohl das Basler Konzil von einer Superiorität des Konzils über den Papst ausging, konnte man sich in Basel doch nicht vorstellen, keinen Papst zu wählen. Entsprechend tat man denn auch alles, um eine legitime Papstwahl zustande zu bringen, auch wenn die Zeit drängte. Für das ganze Prozedere verfügen wir über die Berichte von Enea Silvio Piccolomini, dem späteren Papst Pius II. (1458−1464), und Johannes von Segovia, dem Chronisten des Basler Konzils. Für beide stand von Anfang an fest, dass die Wahl auf den savoyischen Herzog fallen musste, den man für einen starken und vor allem auch vermögenden «Steuermann» hielt, der dank seines pässeüberspannenden Fürstentums einen Fuss in Frankreich und einen in Savoyen hatte. Dagegen trifft wohl nicht zu, dass Amadeus bereits seit längerer Zeit die Absicht hegte, Papst zu werden, wie es ihm von Eugen IV. und später auch von dem inzwischen selber Papst gewordenen Piccolomini zum Vorwurf gemacht wurde.

Bei der Krönung und dann auch beim Aufbau einer Kurie in Basel wurde streng auf die Nachahmung des römischen Vorbilds geachtet. Nichtsdestoweniger kam auch die fürstlichsavoyische Komponente zum Tragen und glich Felix V. manchmal mehr einem weltlichen als einem geistlichen Fürsten; dagegen verschwand das konziliare Moment fast völlig, weil gerade die konziliaren Quellen die Einhaltung des kurialen Zeremoniells betonen. Die päpstliche Repräsentation war dominanter als die konziliare, und die Sessionen und Dekrete des Konzils nahmen ab. Dagegen wurden Kardinäle kreiert und wurde eine Kurie aufgebaut, die wahrscheinlich noch schwerfälliger war als die römische. Um sie einigermassen rentabel zu machen, musste das Basiliense nicht wenige seiner Reformdekrete preisgeben. Auf beiden Seiten wurde die grösste Aufmerksamkeit auf die Obödienzen gelegt und insbesondere König Friedrich III. umworben, der sich neutral verhielt und zur Lösung der Krise ein drittes Konzil vorschlug.

Nach einem ergebnislosen Zusammentreffen mit Friedrich III. verliess Felix V. im November 1442 Basel und zog sich in den Genferseeraum zurück. Es gelang ihm auch nicht, seine Tochter Margarete mit Friedrich III. zu verheiraten, noch seine minderjährige Enkelin Charlotte mit dem ältesten Sohn des Kurfürsten von Sachsen, dessen Mitgiftforderungen das savoyische Haus nicht erfüllen konnte. Hingegen konnte Margarethe 1445 mit dem Kurfürsten Ludwig von der Pfalz verheiratet werden; auch hier reichten die Mittel des savoyischen Hauses für die Mitgift nicht aus, doch konnten das savoyische Tafelsilber und die päpstliche Tiara in Basel hinterlegt werden. Savoyen wurde immer mehr zum Patrimonium Petri, auf das der «Gegenpapst» sich ebenso stützte wie der «rechtmässige» Papst auf den Kirchenstaat in Italien. Einen sprechenden Ausdruck findet diese Tatsache im «Wunderbaren Fischzug», den der Basler Maler Konrad Witz im Jahr 1444 im Auftrag des Genfer Bischofs François von Metz (1426−1444) für den Hauptaltar der Kathedrale von Genf schuf, ein Tafelbild, das die Rettung des Papsttums symbolisch in savoyisches Gebiet verlegt. Hier hätte die Autorin vielleicht auf das 1439 auf Amadeus VIII. angewandte Bild vom Steuermann zurückkommen können.

Bereits Ende 1445 verhandelte der Sohn des Papstes, Herzog Ludwig von Savoyen, mit dem französischen König Karl VII. über eine Abdankung seines Vaters. Am 23. Februar 1447 starb Papst Eugen IV. und wurde am 19. März durch Nikolaus V. ersetzt. Am 1. April 1447 erteilten die restlichen Konzilsväter «ihrem» Papst Vollmacht zum Verhandeln. Ende 1447 verhandelten französische und savoyische Delegationen in Lyon und Genf mit dem Konzilspräsidenten Louis Aleman und Johannes von Segovia. Im Sommer 1448 kündigte die Stadt Basel dem Konzil das freie Geleit, so dass dieses in savoyisches Gebiet, nach Lausanne übersiedeln musste. Am 7. April 1449 dankte Felix V. ab und wurde mit einer Kardinalswürde und dem Bistum Genf abgefunden. Mit gewissen Einschränkungen durfte er weiterhin den päpstlichen Habitus tragen. Er starb am 7. Januar 1451 und wurde, anders als in seinem Testament von 1439 angeordnet, nicht in der fürstlichen Grablege in Hautecombe begraben, sondern in Ripaille. (Das Testament sah vor, dass der Leichnam in Hautecombe und das Herz in Ripaille begraben werden sollte; der verwendete Begriff «Doppelbegräbnis» ist missverständlich.) Als Folge von Felix’ Papsttum und seiner Abdankung entstand in Savoyen ein eigentliches Staatskirchentum: hier konnte keine kirchliche Pfründe mehr besetzt werden, ohne dass der Herzog sein Einverständnis gegeben hätte. Der Bischofsstuhl von Genf blieb bis zur Reformation in der Hand der fürstlichen Familie, und es ist nicht auszuschliessen, dass die Reformation in Genf deshalb so radikal (calvinistisch) ausfiel.

Kleine Schönheitsfehler: S. 77 Anm. 276 wird Rosenblieh, Témoigner contre le pape, zitiert, das im Literaturverzeichnis fehlt. Es findet sich in Heribert Müller (Hg.), Das Ende des konziliaren Zeitalters (1440−1450). Versuch einer Bilanz, München 2012 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 86), 59−81, das allerdings im Literaturverzeichnis unter Heribert Müller auch fehlt, aber anderswo im Literaturverzeichnis ebenfalls zitiert wird, siehe Ursula Lehmann (der Mädchenname der Autorin), Von Schätzen und Landschaften: Savoyische Verhältnisse unter Amadeus VIII. – Felix V., in: Müller (Hg.), Ende des konziliaren Zeitalters, S. 83–101. S. 135: Romont, und nicht Romond.

Zitierweise:
Kathrin Utz Tremp: Rezension zu: Ursula Giessmann, Der letzte Gegenpapst: Felix V. Studien zu Herrschaftspraxis und Legitimationsstrategien (1434− 1451) (= Papsttum im mittelalterlichen Europa 3), Köln/Weimar/Wien, Böhlau, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 398-400.

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