J. Jung: Zwischen Bundeshaus und Paradeplatz

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Titel
Zwischen Bundeshaus und Paradeplatz. Die Banken der Credit Suisse Group im Zweiten Weltkrieg. Studien und Materialien


Herausgeber
Jung, Joseph
Erschienen
Zürich 2001: Neue Zürcher Zeitung - Buchverlag
Anzahl Seiten
855 S.
Preis
€ 32,00
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Thorsten Wehber, Sparkassenhistorisches Dokumentationszentrum, Wissenschaftsförderung der Sparkassen-Finanzgruppe e.V.

Durch den Abschluss eines Vergleichs zwischen den Schweizer Großbanken, den Einbringern von Sammelklagen vor US-amerikanischen Gerichten und den internationalen jüdischen Organisationen konnte schon 1998/99 ein finanzieller Schlussstrich unter die Auseinandersetzung um so genannte „nachrichtenlose Vermögen“ in der Schweiz gezogen werden 1. Die Bemühungen, den gesamten Komplex des Verhaltens der Schweiz und der Schweizer Unternehmen in den Jahren 1933 bis 1945 wissenschaftlich zu erforschen, dauerten erheblich länger. Erst kürzlich, im März 2002, legte die vom Schweizer Parlament eingesetzte „Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg“ (nach ihrem Vorsitzenden Jean-François Bergier kurz „Bergier-Kommission“ genannt) ihren Schlussbericht vor 2.

Neben dieser Kommission sowie der mit der Suche nach nachrichtenlosen Vermögen betrauten „Volcker-Kommission“ 3 befassten sich auch Historiker, welche die Großbanken selbst beauftragt hatten, mit deren Unternehmensgeschichte in den 1930er bis 1950er Jahren. Alle Gruppen konnten auf Firmenarchive zurückgreifen, welche die Banken mit erheblichem finanziellen und technischen Aufwand gleichsam ‚aus dem Boden gestampft’ hatten 4.

Der zu rezensierende Band fasst die Ergebnisse der im Auftrag der Credit Suisse Group (CSG) durchgeführten Forschungen zusammen. Die Beiträge stammen sowohl von der bankeigenen Forschergruppe unter Leitung von Joseph Jung als auch von externen Autoren wie den beiden Historikern und Redakteuren der „Neuen Zürcher Zeitung“ Matthias Frehner und Thomas Maissen.

Das Themenspektrum ist weit gefasst. So werden in einer umfangreichen Studie die Geschäftsbeziehungen der mittlerweile in der CSG aufgegangenen Banken - vor allem der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA), der Schweizerischen Volksbank (SVB) und der Bank Leu - zu Kunden in Deutschland untersucht. Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf die Komplexe: Zwangsüberweisungen von NS-Verfolgten, Raubgut, „Arisierungen“, „Problematische Kunden“ (als Kriegsverbrecher angeklagte Privatpersonen und Unternehmen, die entweder der SS gehörten oder KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter einsetzten) sowie die Sperre deutscher Vermögenswerte in der Schweiz nach 1945.

Dem Thema „Raubgold“ sind gleich drei Beiträge gewidmet. Zunächst präsentiert die CSG-Forschergruppe ihre Untersuchungsergebnisse über den Goldhandel von SKA, SVB und Bank Leu während des Zweiten Weltkriegs. Danach stellt Thomas Maissen in seinem instruktiven Aufsatz „Die Raubgoldproblematik 1933-1955“ die schweizerischen Goldgeschäfte, insbesondere diejenigen der Schweizerischen Nationalbank, im internationalen Zusammenhang dar. Schließlich wird in einem Interview mit Alois Bischofsberger, dem Chefvolkswirt der CSG, die „Bedeutung des Goldes in Geschichte und Ökonomie“ beleuchtet.

Der Umgang der Großbanken mit nachrichtenlosen Vermögen, der ja der Auslöser für die Debatte um das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg war, findet ebenfalls ausführliche Berücksichtigung. Dabei wird zum einen der lange Weg bis zu einer Lösung des Problems nachgezeichnet. Zum anderen wird die Praxis der Recherche nach nachrichtenlosen Vermögen bei den CSG-Instituten erläutert.

Weitere Kapitel des Bandes befassen sich mit Themen wie den schweizerisch-amerikanischen Finanzbeziehungen, dem Kunsthandel mit dem nationalsozialistischen Deutschland sowie dem - bisher nicht systematisch untersuchten - Treuhandmandat der SVB für die Vermögenswerte der Zivilflüchtlinge in der Schweiz. Den Abschluss bilden Überlegungen des ehemaliger Chefvolkswirts der SKA, Hans J. Mast, zur Bedeutung des Bankenplatzes Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Er weist u. a. zu Recht daraufhin, dass der damalige Stellenwert des Landes im internationalen Finanzsystem in keinem Verhältnis zum heutigen stand und der Aufstieg zum Finanzplatz von Rang erst am Ende der 1950er Jahre begann. Masts These, der Zweite Weltkrieg habe weder den Banken noch der Schweiz als Ganzem Vorteile gebracht (S. 785), steht jedoch im Widerspruch zum Befund der Bergier-Kommission, dass die kriegsverschonte Eidgenossenschaft sich im Nachkriegseuropa durchaus „in einer vergleichsweise vorteilhaften Situation“ befunden habe 5.

Lobend hervorzuheben ist die Ausstattung des Bandes. In jedes Kapitel sind farbige Textkästen eingeschoben, in denen ausführliche Begriffserläuterungen gegeben, Forschungsdiskussionen zusammengefasst oder Fallbeispiele dargestellt werden. Der Materie entsprechend, sind die Beiträge jeweils mit zahlreichen Tabellen und Grafiken versehen. Die benutzten archivalischen Quellen werden i. d. R. nicht bloß aufgelistet, sondern es finden sich auch Ausführungen zur Quellenlage und zum Quellenwert. Ebenfalls sehr hilfreich ist die synoptische Chronologie von Ereignissen der internationalen Geschichte, der Schweizer Geschichte und der Unternehmensgeschichte der CSG. Die Bibliographie am Ende des Bandes umfasst zum einen sämtliche in den einzelnen Beiträgen zitierte Literatur sowie eine Auswahl weiterführender Arbeiten. Zum anderen sind darin auch, nach Ländern geordnet, Berichte von Gremien und Institutionen enthalten, die in jüngster Zeit Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg durchgeführt haben.

Es ist die Menge der behandelten Aspekte, die das Buch zu einer Fundgrube für jeden macht, der sich für die Banken- und Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts interessiert. Durch eine Fülle an Informationen und Einsichten wird das Bild, das vor allem die Bergier-Kommission von der Schweizer Finanzwirtschaft im Zweiten Weltkrieg gezeichnet hat, tiefenschärfer und in Vielem ergänzt. Dennoch wäre angesichts des erheblichen Umfangs des Bandes eine inhaltliche Beschränkung wünschenswert gewesen. Einige der Studien, die sich mit sehr speziellen Themen beschäftigen (z. B. dem Treuhandmandat der SVB), hätten durchaus als eigenständige Publikationen erscheinen können.

Der insgesamt positive Gesamteindruck des Bandes wird durch ein Manko geschmälert, das insbesondere in den Beiträgen der CSG-Forschergruppe festzustellen ist. Diese sind vornehmlich deskriptiv gehalten, Fragen nach der Verantwortlichkeit für Entscheidungen, nach den Motiven, die Entscheidungen zugrunde lagen, sowie nach Handlungsalternativen werden hingegen kaum erörtert. Die Handlungs- und Entscheidungsträger in den Banken bleiben bis auf wenige Ausnahmen namen- und konturenlos. Da ein Personenregister fehlt, wird es dem Leser unmöglich gemacht, sich Zusammenhänge selbst zu erschließen 6. Dass Entscheidungen und ihre Motive in wissenschaftlich korrekter Weise auch kritisch hinterfragt werden können, demonstriert Thomas Maissen in seinem Aufsatz zur Raubgoldproblematik. In ihm geht es jedoch bezeichnenderweise um die Schweizerische Nationalbank und nicht um eine der CSG-Banken.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass auch nach der Veröffentlichung der vorliegenden „Studien und Materialien“ eine umfassende Geschichte der CSG-Banken in der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit noch aussteht. Es ist zu hoffen, dass der Schweizer Finanzkonzern dieses Unternehmen bald in Angriff nimmt und entsprechende Forschungsaufträge dann an unabhängige Historiker vergibt.

Anmerkungen:
1 Die Banken verpflichteten sich damals, eine Entschädigungssumme in Höhe von 1,25 Milliarden US-Dollar zur Verfügung zu stellen.
2 Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg, Die Schweiz, der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg. Schlussbericht, Zürich 2002. - Der Bericht ist unter der URL www.uek.ch/de auch ins Internet eingestellt worden.
3 Dieses „Committee of Eminent Persons“ unter dem Vorsitz des ehemaligen amerikanischen Notenbankpräsidenten Paul A. Volcker wurde gemeinsam von den jüdischen Organisationen und der Schweizerischen Bankiervereinigung ernannt.
4 Vgl. dazu bspw. Hagmann, Jürg, Digitalisierung historischer Akten bei der Credit Suisse Group, in: Archiv und Wirtschaft, 33. Jg., 2000, H. 3, S. 118-127.
5 Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg, Schlussbericht, S. 521f.
6 Zu diesem Kritikpunkt vgl. auch die Rezension des Buches von Martin L. Müller in: Archiv und Wirtschaft, 35. Jg., 2002, H. 2, S. 94-95.

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Veröffentlicht am
24.09.2002
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