J. Jung: Schweizerische Kreditanstalt

Titel
Von der Schweizerischen Kreditanstalt zur Credit Suisse Group. Eine Bankengeschichte


Autor(en)
Jung, Joseph
Erschienen
Zürich 2000: Neue Zürcher Zeitung - Buchverlag
Anzahl Seiten
Preis
CHF 58,00
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Stefan Altorfer, Historisches Institut, Universität Bern www.hist.unibe.ch/befin

Joseph Jung, Leiter des Ressorts Foundations, Corporate History and Archives der Credit Suisse Group (CSG) legt in dem anzuzeigenden Buch die Resultate eines seit 1996 laufenden Archiv- und Forschungsprojektes zur Geschichte der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) und der heutigen CSG mitsamt ihrer einzelnen Gesellschaften vor.

Eine Jubiläumsschrift ohne Jubiläum

Äusserlich kommt Jungs Studie wie eine Jubiläumsschrift in klassischer "Hofgeschichtsschreibung" daher: reich illustriert, mit vielen Kästchen und Zitaten an den Seitenrändern. Doch gerade um eine Jubiläumsschrift handelt es sich nicht, steht doch für die Bank kein runder Geburtstag an. Neben der Frage des Charakters dieser Publikation ist aber auch die Frage nach der Unabhängigkeit unternehmensintern geschriebener Unternehmensgeschichten aufgeworfen. Jung selbst sieht hier keine Abstriche, sofern Wissenschaftlichkeit als oberstes Qualitätskriterium gelte und es Ziel der Forschung sei, "möglichst nahe an die wirklichen Geschehnisse und an die historische Wahrheit heranzukommen" (12). Den von der Firmenleitung ermöglichten Handlungsspielraum hat er auch zu einigen (selbst-)kritischen Passagen ausgenutzt, wie sie in einer solchen Schrift noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären. Eine gewisse "Beeinflussung" findet jedoch auf einer anderen Ebene statt: Jung bezieht sich stark auf unternehmensinterne Quellen und Oral History, so dass ihm manchmal etwas die kritische Distanz verloren zu gehen droht. Die Innensicht der Bank herrscht vor, und sie ist es auch, die es Jung versäumen lässt, die eigentlich interessanten Fragen zu stellen: Warum etwa wurden die Schweizer Banken ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zu international bedeutenden Mitspielern im internationalen Finanzgeschäft? Warum bleibt die SKA (in ihrer heutigen Form als CSG) bestehen, während andere Grossbanken von der Bildfläche verschwunden sind? Welche Rolle spielt das wirtschaftliche, aber auch das politisch-institutionelle oder das gesetzgeberische Umfeld (Stichwort: Bankkundengeheimnis)?

Erster Teil: Geschichte der SKA

Die Arbeit gliedert sich in einen ersten, sehr stark ereignisgeschichtlichen Teil mit einer Übersicht zum Bankenplatz Schweiz und der Geschichte der SKA. Der kurze historische Überblick über die Geschichte des Bankenwesens in der Schweiz leidet unter der dünnen Literaturbasis zum Thema.

Im zweiten Abschnitt zeigt Jung die Entwicklung der SKA seit ihrer Gründung als eine Bank mit nationalem Anspruch, jedoch getragen von einer nordostschweizer - vor allem (Stadt-)Zürcher - Trägerschaft. Stark geprägt von ihrem Gründer, dem liberalen Politiker und "Eisenbahnbaron" Alfred Escher, setzt sie sich stark für nationale Projekte ein (Eisenbahnbau, Anleihen an politische Trägerschaften). Gegründet als Credit-Mobilier-Bank, ist die SKA zunächst vor allem im Bereich von Gründungen und Beteiligungen an industriellen Grossprojekten aktiv. Aufgrund der hohen Risiken wird jedoch die Geschäftstätigkeit als Handelsbank zunehmend wichtiger. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgt der Aufbau eines Filialnetzes im Inland und erste zaghafte Schritte zur internationalen Expansion. Durch das Verkennen der Nachkriegsdynamik gerät die SKA im dritten Viertel des 20. Jahrhunderts allmählich ihren direkten (Grossbank-)Konkurrenten gegenüber ins Hintertreffen, und erlebt 1977 im Rahmen der "Chiasso"-Affäre (s. unten) eine tiefgreifende Krise. Diese ermöglicht jedoch das Umsetzen einer neuen, expansiven Strategie, die schliesslich aus der international operierenden Schweizer Universalbank SKA die CSG als eine internationale Allfinanzgruppe mit Sitz in der Schweiz werden lässt.

Besondere Beachtung verdienen die Passagen zur Geschäftstätigkeit in den Jahren vor und während des Zweiten Weltkriegs, war dieses Gebiet doch ursprünglicher Anlass zum vorliegenden Buch. Dort werden die Resultate von aufwändigen internen Forschungen dargestellt. Dabei wird auf alle heiklen Punkte eingegangen. Behandelt wird das Verhalten gegenüber der Enteignungspolitik des "Dritten Reiches", der Umgang mit erzwungenen Überweisungen von Kundengeldern, mit Raubgut und mit "problematischer" Kundschaft, die Goldgeschäfte mit deutschen Banken, sowie die Probleme mit nachrichtenlosen Vermögenswerten. In diesem Abschnitt wird in kritischer Art die Vergangenheit "aufgearbeitet". Auch klare Worte fehlen dabei nicht: "Überblickt man die Geschäftstätigkeit der SKA in den Jahren 1933 bis 1945, fällt auf, dass sowohl die Geschäftsleitung wie auch einzelne Mitarbeiterr zu Verhaltensweisen griffen, die aus heutiger Sicht in verschiedenen Punkten beanstandet werden müssen" (78). Insbesondere werden auch Fehler nach dem Krieg, im Zusammenhang mit Rückforderungen von Opfern des NS-Staats, eingeräumt. Trotz dieser im Grundton selbstkritischen Haltung versucht Jung, der damaligen Situation gerecht zu werden, indem er etwa auf die Ziele der Bank - primär die Sicherung des eigenen Fortbestandes, daneben die Interessen der Aktionäre, Kunden, Mitarbeiter und der Schweizer Volkswirtschaft - verweist. Etwas zu kurz kommt dabei jedoch die Untersuchung von allfälligen Handlungsalternativen für das damalige Management.

Zweiter Teil: Strategische Pfeiler

In einem Zweiten Teil werden die "Strategischen Pfeiler" der heutigen CSG einzeln in ihrer historischen Entwicklung aufgezeigt. Es sind dies der Stammmarkt Schweiz, das globale Investment-Banking und die Allfinanz. Vor allem im ersten Abschnitt wird die Abgrenzung zum vorgehenden Kapitel über die SKA nicht ganz klar. Geschildert werden die Anstrengungen in der Passivgeldbeschaffung im Rahmen einer expansiven Strategie ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Die Geschichten rund um die Integration der Bondenkredit-Anstalt, der Bank Leu, der Schweizerischen Volksbank (SVB) und der Neuen Aargauer Bank (NAB) werden - ebenso wie die 1996 gescheiterte Fusion mit der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) - anekdotisch geschildert. Dieser Abschnitt ist durchaus lesenswert, handelt es sich doch dabei um den Stoff, aus dem spannende und populäre Bankengeschichten geschrieben werden: Theater- und Überraschungscoups werden gelandet, Konkurrenten überrascht und übertölpelt. Es stellt sich jedoch auch hier die Frage, wie sehr Jung einer teleologischen Optik verhaftet bleibt, da abgesehen von der oben erwähnten Ausnahme auf gescheiterte Übernahmeversuche nicht eingegangen wird.

Relativ ausführlich - und anscheinend "erstmals in der internatonalen Bankgeschichtsforschung" (Kasten auf Seite 183) wird im Rahmen des Kapitels über das globale Investment-Banking die Geschäftsentwicklung einzelner Investmentbanken dargestellt. Die Darstellung beschränkt sich auf übersichtliche Grafiken, die jedoch nicht eingehend analysiert werden. Die SKA/CSG spielt hier mit ihrem Partner First Boston (heute CSFB) seit den späten 1970er Jahren eine wichtige Rolle.

Das Kapitel über die Allfinanz beschränkt sich wiederum weitgehend auf das Erzählen der Gründung einer Tochtergesellschaft im Lebensversicherungsbereich (CS Life) und der Übernahme der Winterthur-Versicherung.

Dritter Teil: Paradigmenwechsel

Im dritten Teil schliesslich werden unter dem Stichwort "Paradigmenwechsel" Einzelaspekte abgehandelt, die für den Wandel zur aktuellen CSG massgebend waren. Grosses Gewicht wird dem "Fall Chiasso" beigemessen. In einem ausführlichen Kapitel wird geschildert, wie die SKA 1977 durch das Bekanntwerden krimineller Machenschaften ihrer Filiale in Chiasso an den Rand des Abgrunds getrieben wurde. Zweifellos war dieses Ereignis nicht nur für die SKA, sondern für die ganze Schweizer Bankenbranche zentral. Die Krise erschütterte die Bank in ihren Grundfesten. Sie ermöglichte einen teilweisen Wechsel an der Konzernspitze und trug somit indirekt zum Strategie- und Kulturwechsel bei. Diesen Veränderungen widmet sich Jung in den folgenden Kapiteln. Die zeitliche und räumliche Tragweite der einzelnen Kapitel sind dabei ebenso unterschiedlich wie der methodische Zugang zu den gestellten - oder teilweise eben nicht gestellten - Fragen. In diesem Teil wechseln sich stark ereignisgeschichtlich-aufzählende Kapitel ohne grossen analytischen Anspruch (etwa zur Personalpolitik, zur Organisations- und Führungsstruktur, zur Optimierung) ab mit Kapiteln zu mentalitäts- und sozialgeschichtlichen Themen. Diese können als die Höhepunkte des Buches angesehen werden, liefern sie doch nicht nur neue Erkenntnisse, sondern berücksichtigen auch vor dem Hintergrund einer klar umrissenen Thematik den - wenn auch oft nur nationalen - Kontext. So etwa geht das Kapitel "Mentalitäten und Images" (235-243) der Frage nach, warum andere Schweizer Grossbanken in der Nachkriegszeit erfolgreicher waren als die SKA. Dies war nicht nur wegen des Verkennens der Nachkriegsdynamik der Fall, sondern auch, weil der Bank immer noch das aus dem 19. Jahrhundert stammende Image der Zürcher Bank für Grosskunden anhaftete und man sich zu wenig um neue Kunden bemühte. Auch selbstkritische Worte zur Kultur und Führungsstruktur der SKA fehlen in diesem Kapitel nicht. Aufgezeigt wird zudem der Widerspruch zwischen einem mangelhaften Management und dem gleichzeitig stattfindenden, geradezu visionären Engagement der Bank in den USA und in Grossbritannien. Die entscheidende Frage, wie ein solcher Widerspruch überhaupt zu erklären sei, wird jedoch nicht gestellt.

Ein anderes kurzes Kapitel widmet sich den "Prüfsteinen für den Finanzplatz Schweiz" (289-301). Darunter wird in erster Linie der Umgang mit Geldwäscherei und Insidergeschäften verstanden. Auch diesbezüglich wirkte die Chiasso-Affäre als Katalysator, nicht nur innerhalb der SKA, sondern für den ganzen Schweizer Bankenbereich. Dies führte letztlich zur Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken (VSB). Die VSB als selbstregulierendes Instrument der Schweizer Banken machte nicht nur staatliche Normen entbehrlich - obwohl diese in der Zwischenzeit auch existieren -, sie enthält auch eine ethische Stossrichtung, was bei einem Gesetz nur schwer durchsetzbar wäre.

Eines der herausragenden Kapitel des Buches beschreibt die Sozialprofile der Generaldirektion in der Nachkriegszeit (303-315). Hier zeigt sich nicht nur die Herauskristallisierung eines idealtypischen Karriereverlaufs in den 1960er Jahren, sondern ebenso die Öffnung der Geschäftsleitung in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. In eine bezüglich der formalen Kriterien der Herkunft (Stadt Zürich), der Konfession (protestantisch), des Studiums (Rechtswissenschaft) und des bankinternen Werdegangs (Karriere am Hauptsitz) homogenes Gremium werden fortan auch Nichtakademiker, Nichtreformierte, nicht in der Stadt Zürich aufgewachsene und von ausserhalb des Hauptsitzes kommende Männer aufgenommen.

Fazit: Zwischen Stuhl und Bank

Am Schluss der Lektüre stellt sich noch einmal die Frage nach dem Charakter, und damit nach dem Zielpublikum, einer solchen Arbeit. Hat man aufgrund des Layouts doch eher das Gefühl, das Buch richte sich mit einer populären Aufmachung an ein breites Publikum, so ist der komplexe Aufbau wenig leserfreundlich. Einzelne Kapitel setzen zudem viel Vorwissen und Vertrautheit mit dem Fachjargon voraus. Für eine Publikation, die sich an ein Fachpublikum richtet, fehlt wiederum den meisten Kapiteln ein analytischer Ansatz. Der Autor bleibt nicht nur zu sehr in einer ereignisgeschichtlichen Erzählweise verhaftet, auch wird die Kontextualisierung ebenso vernachlässigt wie der explizite Bezug auf aktuelle Forschungsdebatten, Modelle oder Fragestellungen. Hier verhindert vermutlich die quellennahe Arbeitsweise das Ausweiten des Blickfeldes. Auch werden in der Bibliografie die wissenschaftlichen Standards teilweise etwas allzu grosszügig ausgelegt. Nicht nur sind die Titel schwer auffindbar, auch finden sich dort Publikationen, die weder zitiert werden, deren Auswahl aber auch nicht Repräsentativität beanspruchen kann.

Somit bleibt der Charakter und damit das Zielpublikum des Buches bis zum Schluss unklar, es fällt gewissermassen zwischen Stuhl und Bank.

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Veröffentlicht am
22.08.2001
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