S. Businger: Stille Hilfe und tatkräftige Mitarbeit

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Titel
Stille Hilfe und tatkräftige Mitarbeit. Schweizer Frauen und die Unterstützung jüdischer Flüchtlinge, 1938–1947


Autor(en)
Businger, Susanne
Erschienen
Zürich 2015: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
367 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Helena Kanyar Becker

Die Autorin paraphrasiert im Titel ihrer Dissertation das helvetische Frauenideal der schlichten und opferbereiten Helferinnen, die sich während der 1930er und 1940er Jahre für die Flüchtlinge engagiert haben. Susanne Businger untersucht die Tätigkeiten der deutschschweizerischen Frauenorganisationen und Hilfswerke im Rahmen der offiziellen Flüchtlingspolitik, die nach dem Anschluss von Österreich im März 1938 und den folgenden Grenzschliessungen kontinuierlich restriktiver wurde. Die «Flüchtlinge nur aus Rassengründen», Jüdinnen und Juden, aber auch Sinti, Roma und Homosexuelle durften erst ab Juli 1944 als «an Leib und Leben Bedrohte» die Schweizer Grenze passieren.

Susanne Businger recherchiert die Strukturen der in Vergessenheit geratenen Frauenvereine, wertet deren Jahresberichte, interne Zirkulare und Korrespondenzen aus. Sie berücksichtigt auch Personennachlässe, Memoiren sowie Prozessakten und Verhörprotokolle der bestraften Fluchthelferinnen. Als eine ausgiebige Informationsquelle dienen ihr die Vereinszeitschriften.

Das Schweizer Frauenblatt war das Organ des Bundes Schweizerischer Frauenvereine, der als ein Dachverband der neutralen Frauenorganisationen 1900 gegründet wurde. Die Pazifistin Clara Nef präsidierte diesen bürgerlichen Verein, der sich nach Kriegsausbruch – wie die meisten Frauenorganisationen – an der geistigen Landesverteidigung orientierte. Clara Nef setzte sich in Briefen an die Politiker für die jüdischen Flüchtlinge ein.

Den sprechenden Titel Die Frau in Leben und Arbeit wählten die Sozialdemokratinnen für ihre Tribüne aus. Einen prägenden Einfluss übte in dieser Zeitschrift Regina Kägi-Fuchsmann aus, die das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (1936 gegründet) leitete und in einigen Gremien für die Flüchtlingshilfe aktiv war. Die Sozialdemokratinnen halfen den politischen Flüchtlingen und kritisierten die antihumanitäre Spirale der Flüchtlingspolitik. Sie berichteten schon im Dezember 1942 von den Todestransporten von Jüdinnen und Juden nach Osten.

Die katholische Schweizerin und Die Katholische Familie repräsentierten den konservativen Schweizerischen Katholischen Frauenbund. Zu den religiösen Zeitschriften gehörte auch das Unser Blatt, Monatsblatt für die Schweizer Frau und Mutter, das vom evangelischen Schweizerischen Verband Frauenhilfe herausgegeben wurde. Die Katholikinnen unterstützten die katholischen Flüchtlinge und die Konvertiten. Sie pflegten jedoch bis 1945 antisemitische Ansichten und bedienten sich der diffamierenden rassistischen Terminologie, die sich auch in den Medien durchgesetzt hatte. Die evangelischen Frauen waren vom Flüchtlingspfarrer Paul Vogt beeinflusst, der den Judenhass bekämpfte und den sogenannten «Flüchtlingsbatzen» und die «Freiplatzaktion» initiierte.

Die Schweizer Sektion der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit wurde 1915 von der Frauenrechtlerin Clara Ragaz gegründet und auch im Zweiten Weltkrieg geführt. Sie vertrat die Ideen des religiösen Sozialismus wie auch ihr Mann, Leonhard Ragaz, der in seinem Periodikum Neue Wege gegen den Antisemitismus kämpfte.

Der Bund Schweizerischer Jüdischer Frauenorganisationen protestierte moderat gegen die antisemitischen Massnahmen und setzte sich für die Rechte der ausgebürgerten Frauen ein, die Ausländer geheiratet hatten. Weil sich die Schweiz als ein Transitland verstand, finanzierten die Frauenorganisationen zusammen mit dem Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen (bis 1943 Verband Schweizerischer Israelitischer Armenpflegen) und dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund die Weiterreise der jüdischen Flüchtlinge. Ab 1940 bezahlte die kleine jüdische Minderheit den Aufenthalt der etwa 21’000 internierten Männer in den Arbeitslagern sowie der Frauen, Kinder und älteren Menschen in den Heimen. Ohne die Hilfe der internationalen jüdischen Organisationen hätte die Existenz der Internierten nicht gesichert werden können.

Als Antwort auf die Verfolgungspolitik im Dritten Reich und die Flüchtlingswellen sind mehrere Organisationen und Hilfswerke entstanden. Unter anderem die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft Frau und Demokratie (1933), der alle Frauenverbände – bis auf die Katholikinnen – beitraten. Im gleichen Jahr wurde die Schweizerische Flüchtlingshilfe gegründet und 1936 vereinigten sich 16 Hilfswerke in der Schweizerischen Zentralstelle für Flüchtlingshilfe, die einen Gesprächspartner für die Behörden bildete. Alle Frauenvereine organisierten Sammlungen für die Flüchtlings- und Kinderhilfe, ab 1940 unterstützten sie auch die Flüchtlinge in den Internierungslagern. Nach Kriegsende arbeiteten sie mit der Schweizer Spende für Kriegsgeschädigte zusammen, die sich bis 1947 in 18 Ländern engagierte.

Susanne Businger verarbeitet in fünf thematisch und chronologisch gegliederten Kapiteln die Flüchtlingsarbeit der Frauenvereine zwischen Solidarität, Anpassung und Kritik. In detailreichen Analysen setzt sie sich mit der strategischen und spontanen Hilfe von Frauenorganisationen und Einzelpersonen in der Schweiz und im Ausland auseinander. Als eine erfahrene Genderforscherin leistet sie einen bedeutenden Beitrag zur Auswertung der jahrzehntelang verdrängten Frauenrolle während der Kriegs- und Nachkriegszeit.

Zitierweise:
Helena Kanyar Becker: Rezension zu: Susanne Businger, Stille Hilfe und tatkräftige Mitarbeit. Schweizer Frauen und die Unterstützung jüdischer Flüchtlinge, 1938–1947, Zürich: Chronos Verlag, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 1, 2017, S. 121-123.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 1, 2017, S. 121-123.

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