A. Knoepfli: Robert Gnehm

Cover
Titel
Robert Gnehm. Brückenbauer zwischen Hochschule und Industrie


Autor(en)
Knoepfli, Adrian
Reihe
Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik 102
Erschienen
Zürich 2014: Verein für wirtschaftshistorische Studien
Anzahl Seiten
120 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Manuel Dür

Seit der Bundesstaatsgründung zählt der enge Draht zwischen politischer und wirtschaftlicher Führungsebene zu den konstanten Elementen der schweizerisehen Politlandschaft. Dass dabei Einzelpersonen aufgrund ihrer Positionen und Kompetenzen in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Bildung eine gewichtige Rolle spielen konnten, zeigt die jüngste Publikation des Wirtschaftshistorikers Adrian Knoepfli. In seiner Studie, die 2014 im Rahmen der Reihe Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik (Band 102) erschienen ist, widmet sich Knoepfli dem in Stein am Rhein (SH) aufgewachsenen Robert Gnehm (1852-1926).

In insgesamt zehn Kapiteln werden die zahlreichen beruflichen und privaten Stationen im Leben Gnehms chronologisch dargestellt. Robert Gnehm, viertältestes von insgesamt sechs Kindern, entstammte dem kleinstädtischen Bürgertum. Nach der Matura in Schaffhausen zog es ihn nicht in den elterlichen Bierbrauerei- und Gastbetrieb, so dass er 1869 das Chemiestudium amEidgenössischen Polytechnikum in Zürich aufnahm. Bereits 1876 wurde Gnehm zum Professor (ohne Anstellung) ernannt. Sein Fokus lag auf dem ausserordentlich dynamisehen Gebiet der Farbstoffchemie. Trotz diesen vielversprechenden Wissenschaftliehen Aussichten verfolgte er keine rein akademische Karriere. Es schlössen sich Wanderjahre mit Stationen in Offenbach am Main (Anilinfabrik Oehler), Schwanden im Kanton Glarus (Batikdruckerei Blumer) und schliesslich Basel an, wo er im Jahr 1880 bei der Farbstofffabrik Bindschedler & Busch eine Anstellung fand. Nichtsdestotrotz blieb er mit seiner Wahl in den Eidgenössischen Schulrat im Jahr 1881 mit der ETH verbunden.

Nachdem Gnehm bei Bindschedler & Busch (ab 1882 als «Gesellschaft für chemische Industrie in Basel» [Ciba] geführt) bis zum Direktor aufgestiegen war, wechselte er aufgrund eines Zerwürfnisses mit dem Verwaltungsrat per 1. Januar 1895 zum kleineren Konkurrenzunternehmen Sandoz. Bei der ebenfalls 1895 vorgenommenen Umwandlung von Sandoz in eine Aktiengesellschaft beteiligte sich Gnehm mit eigenen finanziellen Mitteln und wurde Vizepräsident des Verwaltungsrats. Zur gleichen Zeit wurde Gnehm als Professor an die ETH berufen, was ihn aber 1896 nicht daran hinderte, das Präsidium des Sandoz-Verwaltungsrats zu übernehmen. Erst als er 1899 zum Direktor der ETH gewählt wurde, legte er seine Mandate in der Firma nieder. Als Berater und Vermittler vielversprechender Talente blieb er mit Sandoz in freundschaftlichem Kontakt. Neben seiner führenden Tätigkeit bei Ciba und Sandoz setzte sich Gnehm seit dessen Gründung im Jahr 1882 im chemischen Branchenverband, der Schweizerischen Gesellschaft für Chemische Industrie, für die industriepolitischen Interessen der Basler Farbenhersteller ein. Drängendes Thema zu dieser Zeit war unter anderem die Einführung des Patentschutzes. Für den Freisinn war er zudem von 1884 bis 1893 im Basler Grossen Rat politisch aktiv.

Gnehm bekam 1894 einen neu geschaffenen Lehrstuhl für den organischen Bereich der chemischen Technologie zugesprochen. 1905, als erster ETH-Professor, ernannte ihn der Bundesrat zum Präsidenten des eidgenössischen Schulrats. Unter seiner Ägide als Direktor und Schulratspräsident wurden wichtige Reformen des Curriculums vorgenommen sowie der infrastrukturelle Ausbau der ETH fortgeführt. Auch renommierte Professoren wie Richard Willstätter oder Albert Einstein konnten unter Gnehms Leitung für die ETH gewonnen werden.

Privat verlief das Leben Robert Gnehms in relativ ruhigen Bahnen. Nach der Heirat im September 1882 mit Marie Benz (1859-1917) folgten bald mit Marie (1883-1944) und Walter (1885-1919) zwei Kinder. Zeitlebens bewegte er sich in grossbürgerlichen Kreisen. Gnehm erlag 1926 schliesslich den Folgen einer Lungenentzündung. Doch sein Wirken überdauerte sein Leben. Die zu seinen Lebzeiten erwirtschafteten Mittel, darunter auch seine Sandoz-Aktien, gingen nach dem Tod von Tochter Marie in den Besitz von Jakob und Emma Windler über. Seit 1972 wird das finanzielle Erbe von der Windler-Stiftung (vormals Robert-Gnehm-Stiftung) verwaltet und für erschiedene karitative Zwecke in Stein am Rhein und im Kanton Schaffhausen eingesetzt.

Adrian Knoepfli gelang eine gut lesbare, sauber aufgearbeitete und sehr schön illustrierte Studie über eine zentrale Figur in der frühen Entwicklungsphase der schweizerischen Chemieindustrie. Die einzelnen biografischen Fäden werden mit kurzen Ausführungen zur Entwicklung der Farbstoffindustrie und Geschichte der ETH ergänzt. Leider wird aber das Potential von Gnehms Biografie für eine systematische Analyse als 'Brückenbauer' nicht ganz ausgeschöpft. Bereits vor Gnehms Tätigkeit als Professor an der ETH war der Weg zwischen Akademie und Industrie in der Chemie verhältnismässig kurz, eine Anstellung in der Industrie bedeutete keineswegs eine Sackgasse für die weitere universitäre Karriere. Sicherlich zeichnete Gnehm aus, dass es ihm gelang, sowohl in der chemischen Industrie, an der ETH als auch im Branchenverband bis in die höchsten Ämter vorzustossen, weshalb er über ein breites Netzwerk verfügte. Dennoch bleibt gerade die (hochschul-)politische Verknüpfung dieser potentiell einflussreichen Positionen empirisch etwas unterbelichtet und die Gestaltungskraft von Gnehm im Einzelnen unklar. Gerne hätte man beispielsweise über sein Wirken im Schulrat in den 1880er Jahren mehr erfahren und wie sich die Einrichtung des eigens für Gnehm geschaffenen Lehrstuhls auf die Ausbildung der technischen Chemiker ausgewirkt hatte. Dies schmälert den insgesamt soliden Eindruck der Studie ber nur geringfügig.

Zitierweise:
Manuel Dür: Rezension zu: Adrian Knoepfli, Robert Gnehm. Brückenbauer zwischen Hochschule und Industrie, Zürich: Verein für wirtschaftshistorische Studien, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 2, 2016, S. 323-324.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 2, 2016, S. 323-324.

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