T. Brodbeck u.a.: Bewegte Geschichte

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Titel
Bewegte Geschichte. 175 Jahre Stiftung Bächtelen in Wabern bei Bern (1840 – 2015)


Autor(en)
Brodbeck, Thomas; Moser, Katharina
Erschienen
Wabern 2015: Stiftung Bächtelen
Anzahl Seiten
187 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Michèle Hofmann, Pädagogische Hochschule, Fachhochschule Nordwestschweiz

Thomas Brodbeck und Katharina Moser schliessen mit ihrer Publikation zur Erziehungs- und Arbeitsanstalt Bächtelen einerseits an die ins 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition an, dass Bildungsinstitutionen anlässlich eines Jubiläums gerne eine Festschrift herausgeben. So existiert «kaum ein Gymnasium, kaum eine Lehrerbildungsinstitution[,] die nicht ihre eigene Schulgeschichte in einer Broschüre oder in einem reich bebilderten Jubiläumsbuch festgehalten hätte».1 Zum Teil sind im Verlauf der Jahrzehnte an einer Institution sogar mehrere Festschriften entstanden, auch von der Bächtelen erschienen bereits anlässlich ihres 25., 50. und 100. Jubiläums entsprechende Veröffentlichungen. Andererseits reiht sich die vorliegende Publikation ein in eine grössere Anzahl Arbeiten zum Thema Fremdplatzierung, die in den vergangenen Jahren erschienen und auf breites öffentliches Interesse gestossen sind. 2

Das Buch ist chronologisch gegliedert und enthält zahlreiche grossflächige Abbildungen. In der Einleitung gibt Thomas Brodbeck einen kurzen Überblick über die Geschichte der Institution, geht auf die in den Akten verwendeten Bezeichnungen für die Kinder und Jugendlichen in der Bächtelen ein und erläutert das Konzept und die Quellengrundlage des Buches. An die Einleitung schliessen zwei umfangreiche Teile an, die sich mit der Entwicklung der Bächtelen im 19. respektive im 20. und 21. Jahrhundert befassen. Den Teil zum 19. Jahrhundert hat Thomas Brodbeck verfasst; er schildert darin die Anfänge der Institution, die 1840 von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft als eine Erziehungsanstalt zur Besserung «sittlich entarteter Knaben» gegründet wurde. In den ersten Jahrzehnten war eine Religion erweckter bzw. pietistischer Prägung konstitutiv für die Erziehungspraxis und das Leben in der Anstalt. «Die Kinder sollten durch Bekehrung auf dem Pfad des inneren Wandels zur Abkehr vom Bösen und Sündhaften hin zum guten Christen geführt werden» (S. 28). Der folgende Teil beginnt mit einem Kapitel zur Geschichte der Bächtelen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Geschrieben hat dieses Kapitel Katharina Moser; sie fokussiert darin die Umgestaltung der Erziehungsanstalt in ein Arbeitsheim für schulentlassene, «mindererwerbsfähige » männliche Jugendliche Mitte der 1930er-Jahre. Ein weiterer Wandel betraf die religiöse Prägung der Institution. Der streng religiöse Geist, der im 19. Jahrhundert vorgeherrscht hatte, verflüchtigte sich nach 1900 allgemein – gleichwohl spielte die Religion in der Bächtelen weiterhin eine Rolle. Etwas unvermittelt folgen auf das Kapitel zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vier Porträts von Personen, die einige Jahre ihres Lebens in der Bächtelen verbracht haben. Dieser Abschnitt enthält keine einleiten den Ausführungen dazu, wer in der Folge warum porträtiert wird. Den Abschluss des Buches bilden ein Kapitel von Thomas Brodbeck zur weiteren Entwicklung der Institution in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in dem die Einführung der Invalidenversicherung und der dadurch ausgelöste Reformprozess in der Bächtelen in den 1960er-Jahren im Mittelpunkt stehen, und ein Kapitel von Katharina Moser zur aktuellen Situation.

Das Verfassen einer Jubiläumsschrift beinhaltet die Schwierigkeit, dass – über einen längeren Zeitraum hinweg – die Geschichte einer einzelnen Institution erzählt wird, was oftmals eine sehr eng gefasste Perspektive zur Folge hat. Diesen Vorwurf kann man der vorliegenden Publikation allerdings nicht machen. Brodbeck und Moser schauen auch über den Tellerrand hinaus und reichern die Geschichte der Bächtelen mit vielen Kontextinformationen an, die geschilderte Entwicklung wird so nicht bloss «aus sich selbst heraus» erklärt. Des Weiteren werden auch dunkle Kapitel der Geschichte der Institutionen nicht ausgespart. Nebst finanziellen Schwierigkeiten betrifft dies vor allem die 1871 von einem ehemaligen Zögling erhobenen Anschuldigungen der Vernachlässigung der Kinder und des sexuellen Missbrauchs durch den damaligen Leiter der Anstalt, Johannes Kuratli. Diese Vorwürfe zogen nebst einer externen Untersuchung ein Gerichtsverfahren gegen Kuratli nach sich und mündeten in seiner Entlassung – der gerichtliche Schuldspruch erfolgte in Abwesenheit; Kuratli war inzwischen nach New York ausgewandert.

Brodbeck und Moser legen eine fundierte, facettenreiche Studie zur Geschichte der Bächtelen vor. Jede Institution, die über eine solche Jubiläumsschrift verfügt, kann sich glücklich schätzen.

1 Criblez, Lucien; Jenzer, Carlo: Zur Situation und Entwicklung der Schulgeschichte in der Schweiz. „Aber warum sprechen wir von der Vergangenheit und der Gegenwart? Die Realität ist ein unteilbares Ganzes“. In: Bildungsforschung und Bildungspraxis, 17 (1995), 210–238, hier 211.
2 Zum aktuellen Forschungsstand vgl. Huonker, Thomas: Zum Forschungsstand betreffend Fremdplatzierung in der Schweiz. In: Furrer, Markus et al. (Hrsg.): Fürsorge und Zwang. Fremdplatzierung von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz 1850–1980. Bern 2014, 39–50.

Zitierweise:
Michèle Hofmann: Rezension zu: Brodbeck, Thomas; Moser, Katharina: Bewegte Geschichte. 175 Jahre Stiftung Bächtelen in Wabern bei Bern (1840 – 2015). Wabern: Stiftung Bächtelen 2015. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 79 Nr. 1, 2017, S. 40-41.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 79 Nr. 1, 2017, S. 40-41.

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