A. Borter u.a.: Katholiken im Kanton Zürich

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Titel
Katholiken im Kanton Zürich – eingewandert, anerkannt, gefordert.


Autor(en)
Borter, Alfred; Urban, Fink; Max, Stierlin; René, Zihlmann
Erschienen
Zürich 2014: Theologischer Verlag Zürich
Anzahl Seiten
292 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Esther Schmid Heer

Die Publikation, die «als Rückblick und Ausblick anlässlich der Feierlichkeiten 50 Jahre öffentlichrechtliche Anerkennung der Römisch-katholischen Kirche im Kanton Zürich» erschienen ist, führt im Zusammenspiel von historischen Einführungstexten und Zitaten, Zeittafeln, Bildern, Statistiken und Statements in der Tradition der Oral History durch die Geschichte der katholischen Kirche im Kanton Zürich in den letzten 200 Jahren. Die anschauliche und gut lesbare Geschichte ist in drei historische Etappen aufgeteilt: Im ersten Teil wird deutlich, wie die katholische Kirche im Kanton Zürich bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962−1965) und dem Kirchengesetz von 1963 vor allem geprägt war durch Einwanderung und Diaspora-Situation. Im zweiten Teil steht die Einbindung der katholischen Kirche als öffentlich-rechtlich anerkannte Körperschaft in Staat und Gesellschaft im Kanton Zürich im Vordergrund. Im dritten Teil schliesslich wird Rückschau auf die Festivitäten im Jahr 2013 gehalten und vorausgeschaut auf Themen, Fragen und Aufgaben, mit welchen sich die Römisch-katholische Kirche in den kommenden Jahren beschäftigen will.

Ausgangspunkt für die Entstehung eines katholischen Kirchenlebens im reformierten Kanton Zürich bildete die Neuordnung von Europa Ende des 18. Jahrhunderts. Während der Tagsatzung 1807 in Zürich wurde ein katholischer Gottesdienst erlaubt, was den Anstoss zur Gründung einer katholischen Genossenschaft gab. Fortan suchte die Obrigkeit den konfessionellen Frieden zu wahren und teilte der katholischen Genossenschaft in Zürich zunächst die auch von der reformierten St. Peter-Gemeinde genutzte Friedhofskapelle St. Anna zu. Mit und nach der Napoleonischen Mediation und dem Wiener Kongress von 1803 respektive 1815 wurden die schweizerischen Gebiete des Bistums Konstanz abgetrennt und die beiden katholischen Gemeinden Dietikon und Rheinau dem Kanton Zürich zugeteilt. Die Administration der ehemals Konstanz zugehörigen Diözesanteile ging 1819 mehrheitlich an den Churer Bischof.

Bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts prägten im Zuge der Industrialisierung die Zuwanderung von Arbeiterinnen und Arbeitern aus katholischen Gebieten und die Auseinandersetzung zwischen Liberalen und Konservativen die Entwicklung der katholischen Pfarreien. Insbesondere die mit der neuen Bundesverfassung von 1848 garantierte Niederlassungsfreiheit ermöglichte einen Zustrom von neuen Arbeitskräften. Die stark gewachsene katholische Bevölkerung erhielt in Zürich neu die Augustinerkirche zugeteilt und konnte in der Folge in die Landgemeinden expandieren. Das katholische Kirchengesetz von 1863 anerkannte neben Dietikon und Rheinau auch Zürich und Winterthur als Kirchgemeinden.

In den Landgemeinden wurden zunächst Missionsstationen gegründet, betreut von einem Vikar oder Ordensgeistlichen und eingerichtet in einem Schulhaus, einer Fabrikhalle oder einem Wirtshaus-Saal. Spannungen zwischen liberalen Gläubigen, welche vermehrt Mitspracherechte forderten, und konservativen Kräften, welche die hierarchischen Strukturen und das in Rom verkündete Unfehlbarkeitsdogma unterstützten, führten 1873 zur Abspaltung der fortan «Römischkatholisch» genannten Pfarrei von der «Altkatholischen» Kirchgemeinde, welche in der Augustinerkirche verblieb. In der Folge kam es von der neuen, römisch-katholischen «Mutterkirche» St. Peter und Paul in Aussersihl aus zu vermehrten Pfarreigründungen in den Zürcher Quartieren. Aus den ersten Missionsstationen entstanden Pfarreien am Zürichsee und in den Industriegemeinden des Zürcher Oberlandes.

Zentral für die Entwicklung der katholischen Gemeinden im Kanton Zürich, gerade aufgrund der Diaspora-Situation, waren die zahlreichen, sich nach dem Ersten Weltkrieg bildenden Vereine. Diese formierten sich zunächst mit dem Ziel, Arbeiterinnen und Arbeiter zu unterstützen, welche häufig von schlechten Arbeitsbedingungen, Krankheit und Hunger betroffen waren. Krankenfürsorge, Versicherungen, Kinderbetreuungsstätten oder Suppenküchen wurden vornehmlich von Ordensschwestern geführt. Dienstmädchen und Gesellen erhielten die Möglichkeit, sich in Vereinigungen zusammenzuschliessen; Kinder und Jugendliche trafen sich in der Freizeit in Jungwacht und Blauring. Mit der Einrichtung der Sozialwerke nach dem Zweiten Weltkrieg wandelten sich die stark sozialpolitisch ausgerichteten katholischen Vereine in «Freizeitvereine», welche neben den diakonischen Einrichtungen für den sozialen Zusammenhalt der katholischen Diaspora-Gemeinden eine hervorragende Bedeutung hatten. Weiter von Gewicht in der Öffentlichkeit waren die 1906 gegründete Christlich-soziale Partei (CSP) und die ab 1904 erscheinende Tageszeitung «Neue Zürcher Nachrichten» sowie die Katholische Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), die heute unter anderem auch ein Sozialinstitut führt.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962− 1965) bewirkt eine Öffnung der Kirche. 1963 stimmen die Zürcher Stimmberechtigten der Gesetzesvorlage über das Katholische Kirchenwesen zu, und in der Folge können sich die katholischen Gläubigen als öffentlich-rechtlich anerkannte Körperschaft und als Kirchgemeinden etablieren. Zentralkommission und Kirchgemeinden konstituieren sich neu. 1966 kann in Zürich die Paulus-Akademie als erste katholische Akademie der Schweiz eröffnet werden. 1977 und 1980 gelangen zwei Vorlagen zur Trennung von Kirche und Staat zur Abstimmung. Beide werden abgelehnt, setzen aber Reformen in Gang. So nimmt zum Beispiel 1983 die Synode ihre Tätigkeit auf. Die Kirchgemeinden, die für die Gestaltung ihres kirchlichen Lebens nun Steuereinnahmen zur Verfügung haben, entfalten ein breites sozialdiakonisches, seelsorgerliches und ökumenisches Wirken. Aufgrund der Erfahrung mit der Zürcher Augustinerkirche organisierten sich die meisten Pfarreien, indem sie Kirchgemeinden und Pfarrkirchenstiftungen trennten. Laien wurden in Kirchenpflegen oder Pfarreiräten eingebunden. Die Fremdsprachigenseelsorge und die Ökumene wurden wichtige Pfeiler der katholischen Gemeindeentwicklung. Katechese, Mittelschul und Hochschulseelsorge sowie die Katholischen Schulen sicherten die christlich-katholische Bildungsarbeit. Das Pfarrblatt «Forum» wurde gegenüber der 1991 eingestellten «Neuen Zürcher Nachrichten» ausgebaut. Es wurden auch überkantonale Gremien geschaffen, so die «Römisch-katholische Zentralkonferenz der Schweiz», welcher die öffentlich-rechtlich anerkannten römisch-katholischen Organe der Kantone angehören.

Die 80er und 90er Jahre schliesslich sind geprägt einerseits durch eine weitere Öffnung und Demokratisierung der katholischen Kirchenorganisation, etwa mit der Aufnahme der Synodentätigkeit oder der Einrichtung von sogenannten «GehhinKirchen» und Spezialseelsorgebereichen im Flughafen, im Hauptbahnhof, in Spitälern sowie in der Sihl-City und in den Viaduktbögen im Zürcher Kreis 5. Von Bedeutung ist zudem die Verschiebung des Engagements von Frauen im katholischen Kirchenalltag: Prägten Ordensschwestern und Frauen als tatkräftige Mitglieder in sozialdiakonischen Vereinen sowie Pfarrhaushälterinnen über Jahrzehnte das Bild der Frauen im katholischen Gemeindeleben, so leisten nun Frauen in der Funktion einer Polizeiseelsorgerin, Katechetin, Gemeindeleiterin, Pfarreibeauftragten, Präsidentin eines Seelsorgerates oder einer Kirchenpflege ihren Beitrag für eine sich den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angepasste «Kirche». Das Vereinsleben nimmt darin eine oft nur noch marginale Stellung ein. Stark geprägt sind diese Jahre sodann auch durch den tiefgreifenden Konflikt zwischen Gläubigen und Bischof Haas, der schliesslich durch die Einsetzung der zwei Weihbischöfe Peter Henrici SJ und Paul Vollmar SM und die Versetzung des Bischofs nach Liechenstein entschärft werden konnte.

Statistiken geben einerseits Auskunft über Veränderungen der katholischen Kirche im Hinblick auf Finanzen, Personal und Mitglieder. Die Menschen, die in diesem Buch eindrücklich zu Wort kommen, sowie auch die aufschlussreichen Kurzportraits von prägenden historischen Persönlichkeiten geben andererseits für interessierte Leserinnen und Leser Einblicke in die vielfältige Mitgestaltung von konkretem Kirchenleben im Laufe der rund 200jährigen Geschichte der Römisch-katholischen Kirche im Kanton Zürich.

Zitierweise:
Esther Schmid Heer: Rezension zu: Alfred Borter/Urban Fink/Max Stierlin/René Zihlmann, Katholiken im Kanton Zürich – eingewandert, anerkannt, gefordert, Zürich, TVZ, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 445-448.

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