N. Kogler: GeschlechterGeschichte

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Titel
GeschlechterGeschichte der Katholischen Aktion im Austrofaschismus. Diskurse – Strukturen – Relationen


Autor(en)
Kogler, Nina
Erschienen
Berlin 2014: LIT Verlag
Anzahl Seiten
512 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Rebecca Loder-Neuhold, Theologische Fakultät, University of Fribourg

Mit ihrer 2011 verteidigten Dissertation legt Nina Kogler nun eine Geschlechter-Geschichte der Katholischen Aktion (KA) im Austrofaschismus vor, die sich vor allem auf die Pfarrebene fokussiert, um die «konkreten Auswirkungen der ideologischen und strukturellen Veränderungen an der unmittelbaren Kontaktstelle mit den Gläubigen» darzustellen. Ihre Arbeit ist ein Hinblicken auf zahlreiche beachtenswerte Aspekte des Zeitraumes zwischen 1933/34 und 1938. Der dominante Aspekt, die GeschlechterGeschichte, entspringt dem Objekt der Betrachtung selbst, denn in der KA wurden die Gläubigen nach Alter und Geschlecht in vier sogenannte Naturstände eingeteilt: Jungmänner, Jungfrauen, Männer, Frauen (letztere zwei Kategorien sind vor allem durch Elternschaft charakterisiert). «Die naturständische Gliederung der Pfarrbevölkerung bedeutete eine Fortschreibung der im kirchlichen Raum ohnehin schon stark vorhandenen geschlechtlichen Dichotomisierung, die immer auch eine hierarchische Relation implizierte» (425). Doch auch abseits dieser Naturstände bringt die Autorin zahlreiche Belege für die Signifikanz des Geschlechterverhältnisses in der KA: Diese sei zunächst als eine «Rückgewinnung der männlichen Gläubigen hinsichtlich ihrer Quantität und Qualität» (149) verstanden worden. Sie zitiert damit Franz Zimmermann, 1936: «Das Geschlechterverhältnis sollte dabei so aussehen, ‹daß die Männer die zur Aktion Berufenen, die Frauen hingegen die Mitberufenen, zur Mithilfe an der Aktion Mitberufenen [Hervorhebungen im Original]› seien» (149). Doch diese ideale Vorstellung sah in der Realität anders aus. Nina Kogler errechnet für die KA in den Pfarren der Steiermark ein – wohlgemerkt ungefähres – Frauen-zu-Männer-Verhältnis von 100 zu 56 (310, ohne Jugend). Die als bloss mithelfend intendierten Frauen trugen damit die KA, deren Leitung bei den Lai_innen mehrheitlich, beim Klerus ausschliesslich in männlicher Hand blieb.

Hinsichtlich dieses Fokusʼ auf die historischen Geschlechterverhältnisse weist die Autorin, wie andere auch, auf eine Lücken in der − katholischen wie protestantischen − Kirchengeschichtsschreibung hin. Die Periode des Ständestaates ist dabei keine Ausnahme. Diese Lücke betrifft das Bewusstsein, Kirchengeschichte als eine Geschichte von Männern für Männer zu präsentieren, ohne sich der Geschlechtlichkeit bewusst zu sein: «Speziell die Theologie war unter den akademischen Disziplinen lange Zeit eine Männerwissenschaft, betrieben von Männern, die mit heiligen und weniger heiligen Männern der Kirchentradition rangen» (127). Die «GeschlechterGeschichte der Katholischen Aktion» nun tatsächlich als beide Geschlechter betreffend zu schreiben, inklusive die «verhängnisvolle Gleichsetzung von Mensch und Mann [zu] dekonsturier[en]» (127), ist der Autorin gelungen, auch mit der Anwendung des Konzeptes der Hegemonialen Männlichkeit. Mehrheitlich populär vorgebrachte Kritik, Geschlechterforschung sei – hinterlistig – reine Frauenforschung, läuft bei Koglers Arbeit weitgehend ins Leere. Lediglich weitgehend, weil ihre Ausführungen über Männlichkeit und Weiblichkeit anfangs konsequent eingehalten sind, bis dann im letzten Kapitel über die Kirchlich-staatlichen Verbindungen nur mehr die Frauenorganisationen analysiert werden. Die Beweggründe, die die Autorin für diese Auswahl nennt (4f; 338), sind nicht vollständig nachvollziehbar. Die Ausführungen zu diesem Thema sind zwar interessant, jedoch hinterlassen sie ob dieser Einschränkung einen unvollständigen Nachgeschmack.

Kritisch ist anzumerken, dass eine ausführliche Diskussion der Begrifflichkeit «Katholische Aktion» (419) an den Anfang gehört hätte. Gerade weil der Terminus vielschichtig und uneindeutig, auch über längere Zeitabschnitte hinweg, verwendet wurde, wäre statt eines kurzen Hinweises (3) eine Klarstellung, wie der Begriff in dieser Arbeit verwendet wird, wünschenswert gewesen.

Neben dem flüssig zu lesenden, niemals platten Schreibstil muss hervorgehoben werden, dass die Autorin sich für den «Gender_gap» entschieden hat. Das heisst, um das generische Maskulinum zu vermeiden verwendet sie Lai_innen, wenn Männer und Frauen im Laienstand gemeint sind, Katholiken, wenn ausschliesslich katholische Männer gemeint sind, und Österreicherinnen, wenn nur österreichische Frauen gemeint sind. Die wissenschaftlich notwendige eindeutige Sprache ist damit erreicht. Oft wird der geschlechtergerechten Sprache vorgeworfen, Texte zu verkomplizieren oder zu verlängern. An Nina Koglers Text kann dies widerlegt werden, da ihr Schreibstil pro Seite nur selten mehrere Gender_gap-Begriffe aufweist, jedoch stets eindeutig erkennbar ist, über welche Personen geschrieben wird. Sowenig Frauen in der KA nur mithalfen, sowenig sind sie in dieser GeschlechterGeschichte nicht nur «mitgemeint».

Das Werk enthält zahlreiche Abbildungen von Quellen, etwa Pfarrberichte oder Werbematerial wie Broschüren oder Mitteilungsblätter. Leider geht die Autorin auf diese Abbildungen nicht ein (Ausnahme auf Seite 221), obwohl die Bezüge zwischen ihren Deutungen und diesem Bildmaterial sehr gewinnbringend wären. So schreibt sie zwar über die Bildsprache (Kapitel 4.2.4, 81−83) und erwähnt die «kriegerische Metaphorik [...], deren sich die KA bediente, einerseits um in dieser Analogie ihre Ziele zu vermitteln, andererseits um sich in einer faschistisch beeinflussten, militarisierten Gesellschaft zu behaupten» (81). Ein dazu passendes Mitteilungsblatt aus dem Jahr 1936 ist jedoch bezugslos angefügt. Dabei wäre es interessant zu erfahren, wie die Autorin die Bildinschrift «Wir stürmen! Für Christi Reich. Für unser Jugendreich. Für Österreich» mit ihren schriftlichen Quellen abgeglichen hätte. Immerhin sind ihre Ausführungen zu gedruckten Dokumenten etwa im Absatz «Maskulinisierung der Sprache» (142−144) sehr erhellend. Wer hätte sich gedacht, dass durch eine Zeitschrift dem Klerus «‹der doch leider allzu-viel (sic) in der Kirche unter den Frauen leben und predigen muß, aus diesem Blatte wieder die kraftvolle, packende Mannessprache›» (143) beigebracht werden musste?

Die grösste Stärke des vorliegenden Werkes ist sicherlich der mehr als 100 Seiten starke Teil über die Seckauer Pfarren, sprich über die Steiermark. Kogler begründet die Auswahl der heutigen Diözese Graz-Seckau mit hervorragendem Quellenmaterial. Mit diesem Teil wird die tatsächliche Arbeit der KA konkret, plastisch. Koglers Spurensuche bis hinein in die kleinsten Pfarren mit lediglich 500 Gläubigen und deren Engagement für die KA machen diese Arbeit relevant, auch über die Fragestellungen rund um die KA hinausgehend. Lebens- und Glaubensvorstellungen des Beobachtungszeitraumes werden dabei rekonstruiert. Und zugegeben auch auf unterhaltsame Weise, da stereotypische Vorstellungen über «die Provinz» das eine oder andere mal auftauchen, wenn etwa der Stand der Jungmänner eigentlich nicht gebildet werden kann, da die meisten der jungen Männer des Dorfes schon Vater geworden sind, und somit eigentlich zu den Männern gezählt werden müssten oder wenn das besonders fleissige Putzen und Schmücken der Kirche vom Pfarrer lobend erwähnt wird. Hier jedenfalls kann Kogler ihr Versprechen der Betonung der Pfarrebene einlösen und dieses Kapitel, weitgehend nur auf ihrer eigenen Quel¬len¬studie beruhend, ist sicherlich ein grosser Gewinn, der von der Eingrenzung auf diese geografische Einheit eines Bundeslandes nicht geschmälert wird.

Nach der Lektüre des Werkes ist man sich der vielfältigen Praxis, vor allem abseits der episkopalen Ebene, in der KA bewusst, auch wenn – dank des Kuriositäts-wertes – vor allem die Bemühungen um männlichere religiöse Sprache und «sanierte», d.h. schlussendlich verheiratete, «Konkubinate» im Gedächtnis bleiben könnten.

Zitierweise:
Rebecca Loder-Neuhold: Rezension zu: Nina Kogler, GeschlechterGeschichte der Katholischen Aktion im Austrofaschismus. Diskurse – Strukturen – Relationen, Berlin, LIT, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 416-418.

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