A. Holenstein u.a. (Hrsg.): Scholars in Action

Cover
Titel
Scholars in Action. The Practice of Knowledge and the Figure of the Savant in the 18th Century


Herausgeber
Holenstein, André; Steinke, Hubert; Stuber, Martin
Erschienen
Leiden 2016: Brill Academic Publishers
Anzahl Seiten
932 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Dominik Hünniger, Lichtenberg-Kolleg / Historische Sternwarte, Georg-August-Universität Göttingen

Albrecht von Hallers etwa 9 000 Rezensionen in den Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen sind legendär und rufen eine gewisse Ehrfurcht vor diesem «quintessential scholar», wie ihn die Herausgeber nennen, hervor. Die hier vorliegenden Sammelbände nehmen Haller zum Ausgangspunkt, um nahezu das gesamte Spektrum der Gelehrsamkeit im 18. Jahrhundert zu beleuchten. Die Nützlichkeit, Gelehrtheit und das Panorama dieser hier besprochenen Publikation sind durchaus vergleichbar mit dem vielfältigen Oeuvre Hallers. Die Liste der Bezeichnungen, die Haller charakterisieren können, ist lang. Die Herausgeber bezeichnen Haller als Dichter, Gelehrten, Sammler, Experimentator, Enzyklopädist, Spezialforscher, Universitätsprofessor, Beamten, Sozietätspräsidenten, gerühmten Autoren, einflussreichen Rezensenten, modernen Wissenschaftler und orthodoxen Christen (alle Bezeichnungen auf S. 23). Dementsprechend wird Haller als paradigmatische Figur verstanden, anhand derer die Problematiken und Entwicklungen der Kulturen des Wissens im 18. Jahrhundert reflektiert werden können. In der Tat haben André Holenstein, Hubert Steinke und Martin Stuber eine illustre und vielfältige Schar an Beitragenden versammelt, die, ausgehend von Haller, Personen, Werke, Interessen und Lebenswelten der Gelehrsamkeit analysieren. Person und Werk Hallers sind es auch, die die Bände, die auf eine Tagung in Bern im Jahre 2008 zurückgehen, sehr gut zusammenhalten. Sie zeigen die ganze Bandbreite an möglichen Themen auf, die Wissen(schaft)sgeschichte heute kennzeichnen. Immer ist klar, dass es die vielfältigen sozialen, kulturellen, kommunikativen, ökonomischen und politischen Kontexte (S. 39) sind, die diese Kultur- und Sozialgeschichten des Wissens so interessant machen. Personen und Praktiken stehen immer im Mittelpunkt der Analysen.

Die präzise und umfassende Einleitung der Herausgeber allein verdient es, gelobt und oft gelesen zu werden. Hier werden nicht nur die Themen der Bände benannt, sondern die Einleitung ist zudem eine ausgezeichnete Einführung in die rezenten Entwicklungen in der Geschichtsschreibung des Wissens und der umfangreiche Fussnotenapparat ist eine nützliche Bibliografie. Das zweibändige Werk versammelt 37 Bei- träge von 38 Autorinnen und Autoren aus zahlreichen europäischen Ländern und deckt somit auch einen grossen geografischen Rahmen und eine Vielfalt an Methoden und Zugängen ab.

Die Beiträge des ersten Teils werden unter dem Stichwort «Gelehrtenkarrieren» versammelt und widmen sich der Bedeutung von Gelehrtennetzwerken und der Mitgliedschaft in gelehrten Gesellschaften sowie der Rolle, die Ruhm, Patronage und Status im Ausdifferenzierungsprozess der neuzeitlichen Wissenschaften gespielt haben. Es geht hier auch um die Entstehung von professioneller Autorschaft und die sozialen Umstände von Gelehrten sowie um zeitgenössische anthropologische Perspektiven auf Gelehrsamkeit. Im zweiten Teil kommen die Prozesse des Wissenserwerbs und der Bewertung von Wissen zur Sprache. Hier stehen Fragen der Rezeption im Vordergrund und gelehrte Praktiken der Wissensorganisation und die Institutionalisierung der Fachdisziplinen wird beleuchtet. Weiterhin sind gelehrter Journalismus, das Rezensionswesen und Klassifikationspraktiken Themen. Teil drei ist mit «Wahrnehmung und Reagieren » überschrieben und behandelt mediale und kommunikationswissenschaftliche Aspekte gelehrten Austauschs. Ebenso werden gelehrte Kontroversen sowie Freimaurerei als soziale Aspekte von Gelehrsamkeit geschildert. Praktiken der Selbst-Repräsentation und des -Experiments runden diesen Teil ab. Abschnitt vier eröffnet den zweiten Band und widmet sich den Verbreitungsmechanismen von Wissen und gelehrter Kommunikation. Hier geht es vor allem um Austauschpraktiken zwischen Gelehrten innerhalb und ausserhalb von lokalen Bezugsrahmen. In Teil fünf stehen klassische Praktiken der Naturwissenschaften, wie Experiment, Beobachtung, Demonstration, Reisebeschreibung, Sammlung und Expedition im Vordergrund. Teil sechs dreht sich um die Figur des Experten und die Entstehung von Expertise. Dieser Teil ist sicher der interessanteste, wenn es um die Situierung von Gelehrsamkeit im grösseren politischen und sozialen Rahmen geht. Hier kommen die ökonomische Aufklärung, republikanische Identität, Bergbau als staatliches Unternehmen, Volksaufklärung und Nützlichkeitsrhetorik, Politikberatung sowie Schädlingsbekämpfung zur Sprache. Ein nützlicher Personenindex beschliesst den zweiten Band.

Das Panorama ist weit, die Ansätze breit und es bleibt kaum etwas zu wünschen übrig. Lediglich die materialen Aspekte der Wissensproduktion kommen etwas zu kurz und ein grösseres Spektrum an Akteuren, welches auch Mechaniker, Unternehmer, Indigene und go-betweens einschliessen sollte, wäre wünschenswert. Ebenso wäre der Blick über die europäische Gelehrtenwelt hinaus in einigen Fällen sicher noch erweiterbar.
Dass die Herausgeber sich entschieden haben, die Aufsätze auf Englisch zu veröffentlichen, ist sehr zu begrüssen, wird es doch der Rezeption ausserhalb des deutschen und französischen Wissenschaftssystems sehr zugutekommen. Leider merkt man einigen Übersetzungen aus dem Deutschen und Französischen jedoch allzu sehr das Original an und dies trübt den Lesegenuss. Sicher werden auch die Thesen oder Methoden des einen oder anderen Aufsatzes zu Widerspruch führen, aber dies kann ja durchaus anregend für weitere Wissensproduktion wirken. Entsprechend sind die eben gemachten Bemerkungen nur Marginalien. Die beiden Bände sind eine spannende Fundgrube und können geradezu als Lehrbuch dienen, für alle diejenigen, die sich mit der Geschichte des Wissens, der Gelehrten und dem Austausch darüber im 18. Jahrhundert beschäftigen möchten.

Zitierweise:
Dominik Hünniger: Rezension zu: Holenstein, André; Steinke, Hubert; Stuber, Martin (Hrsg.): Scholars in Action: The Practice of Knowledge and the Figure of the Savant in the 18th Century. Leiden und Boston: Brill 2013. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 3, 2016, S. 67-69.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 3, 2016, S. 67-69.

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