S. Fehr: Die Erschliessung der dritten Dimension

Cover
Titel
Die Erschliessung der dritten Dimension. Entstehung und Entwicklung der zivilen Luftfahrtinfrastruktur in der Schweiz, 1919 – 1990


Autor(en)
Fehr, Sandro
Reihe
Verkehrsgeschiche der Schweiz 1
Erschienen
Zürich 2014: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
342 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Damian Amstutz

«Hier könnte man einen schönen Flughafen bauen» – wer heute durch das Gebiet südlich von Utzenstorf im Kanton Bern fährt, mag angesichts der in jeder Richtung kilometerweit freien Ebene auf diese Idee kommen, ohne zu wissen, dass hier tatsächlich einmal der Bau eines grossen Schweizer Zentralflughafens geplant war.

Die Geschichte der zivilen Luftfahrtinfrastruktur in der Schweiz bis 1990 auszuleuchten, nicht nur jene der Flughäfen und Flugplätze, sondern auch jene der Lufträume und Flugsicherungsanlagen, nicht nur von dem, was war und ist, sondern auch von dem, was hätte sein können: Dies ist der Anspruch der 342-seitigen Arbeit Die Erschliessung der dritten Dimension von Sandro Fehr. Entstanden als Dissertation im Rahmen des Nationalfondsprojektes Geschichte der Schweizer Luftfahrt, ist die Arbeit im Jahr 2014 in gekürzter und bearbeiteter Form als Band 1 der Schriftenreihe Verkehrsgeschichte Schweiz erschienen.

In der öffentlichen Wahrnehmung steht nicht die Infrastruktur im Vordergrund: Schaulustige pilgern zum Flughafen, um Flugzeuge zu sehen, nicht die Pisten. Dabei ist die Infrastruktur unverzichtbar und eine notwendige Voraussetzung für den Betrieb von Fluggeräten. Der historische Abriss entfaltet sich in einer Struktur, die sechs distinkte Epochen unterscheidet.

Eine Art Prolog ist die Darstellung der Pionierzeit, die der Autor von den Anfängen der Luftfahrt bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ansetzt. Gasballone, Luftschiffe und Flächenflugzeuge dienten zumeist touristischen Zwecken, die notwendige Infrastruktur wurde privat finanziert und rentierte kaum. Ein Beispiel einer bereits sehr raumgreifenden Installation war die 1910 eröffnete Luftschiffstation in Luzern mit einer riesigen Halle, die zunächst einem französischen Rundfahrten-Luftschiff Schutz vor Wind und Wetter bot, bevor dieses durch ein deutsches Fabrikat ersetzt – nicht wie vom Autor behauptet: ergänzt – wurde. Zwei Luftschiffe gleichzeitig beherbergte die Halle nie, obwohl sie genau dafür gebaut worden war. Bereits im Jahr 1912 wurde der Luftschiffbetrieb wieder eingestellt. Erst als die nach Ausbruch des Krieges gegründete Fliegertruppe eine Heimatbasis benötigte, investierte auch der Bund in Luftfahrtinfrastruktur, indem er den privaten Flugplatz Dübendorf pachtete.

Ein regelmässiger Luftverkehr entstand in der Zwischenkriegszeit. Treibende Kräfte beim Ausbau der Flugplätze waren jetzt die Städte, die sich nicht zuletzt aus Prestigegründen einen Anschluss ans Luftfahrtnetz sichern wollten. Da dies den wirtschaftsstarken Grossstädten Zürich, Basel und Genf am besten gelang, geht das heutige, von den Landesflughäfen gebildete Dreieck schon auf diese Zeit zurück.

Der Zweite Weltkrieg brachte die Planung der Luftfahrtinfrastruktur nicht etwa zum Stillstand. Im Gegenteil: Der an Militärflugzeugen sichtbare technische Fortschritt liess erkennen, dass nach dem Krieg ein interkontinentaler Luftverkehr möglich werden würde. Dies beflügelte nicht nur den Flugplatz Genf noch während des Krieges zu einem Ausbau, sondern auch den Bund zu dem Versuch, regionalem Konkurrenzdenken mit einer gesamtschweizerischen Flugplatzkonzeption zu begegnen. Der in diesem Sinn vorgeschlagene, eingangs erwähnte Zentralflughafen bei Utzenstorf scheiterte jedoch am Widerstand der örtlichen Bevölkerung. Stattdessen setzte sich das Projekt eines von Dübendorf nach Kloten verlagerten, ebenfalls für interkontinentalen Verkehr tauglichen Flughafens Zürich durch.

Das neue globale Luftverkehrssystem in der Zeit von 1945 bis 1960 war gekennzeichnet durch eine starke Zunahme des Weltluftverkehrs. Auch die Flughäfen Basel und Genf erlangten einen interkontinentalen Status. Die Einführung von Luftstrassen und neue Techniken wie Radar erlaubten es, den wachsenden Verkehr weiterhin sicher abzuwickeln.

Mit dem « Jet-Age» ab 1960 wurden längere Pisten und grössere Abfertigungsgebäude notwendig. Die höheren Geschwindigkeiten der Düsenflugzeuge bedingten zudem die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung in der Flugsicherung. Eine zunehmend kritische Öffentlichkeit musste mit teuren Lärmschutzmassnahmen und Nachtflugverboten besänftigt werden. Trotzdem oder gerade deshalb wurde 1970 ein Ein-Milliarden-Ausbauprojekt des Flughafens Zürich vom Volk gutgeheissen.

Ein Kapitel zu der ab 1980 zu beobachtenden Regionalisierung des Luftverkehrs, etwa durch das Aufkommen der Fluggesellschaft, die sekundäre Flugplätze wie Lugano- Agno für den Linienverkehr erschloss, beendet den umfassenden und gelungenen historischen Abriss.

Die spärliche und wenig attraktive Schwarzweissbebilderung des Buches kann man etwas enttäuschend finden und als Indiz dafür sehen, dass das Publizieren der Dissertation in Buchform doch eher akademische Pflichterfüllung denn der Versuch ist, das Thema auf ansprechende Weise einem grösseren Publikum näherzubringen. Eine kühne Vision wie die Skizze eines 1970 vorgeschlagenen Zentralflughafens mit zwei weit in den Neuenburgersee hinausragenden Pisten hätte es durchaus verdient, besser zur Geltung zu kommen als auf einer halben Seite.

Für alle, die sich jenseits einer banalen Fan-Ebene mit der Schweizer Luftfahrt befassen, lohnt es sich aber auf jeden Fall, dieses Buch zu lesen, das wahrscheinlich auf lange Zeit das Standardwerk zum Thema bleiben wird. Deshalb – und nicht nur, damit das etwas nachlässige Korrektorat die Chance bekommt, ein knappes Dutzend übersehene Fehler doch noch zu beseitigen – wünscht man dem Buch weitere Auflagen und für die mittelfristige Zukunft eine Nachfolgepublikation, die die Zeit seit 1990 auf ebenso kompetente Weise aufarbeitet.

Zitierweise:
Damian Amstutz: Rezension zu: Fehr, Sandro: Die Erschliessung der dritten Dimension. Entstehung und Entwicklung der zivilen Luftfahrtinfrastruktur in der Schweiz, 1919 – 1990. Zürich: Chronos 2014. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 3, 2016, S. 62-64.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 3, 2016, S. 62-64.

Weitere Informationen
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit