P. Niederhäuser: Die Grafen von Kyburg

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Titel
Die Grafen von Kyburg. Eine Adelsgeschichte mit Brüchen


Herausgeber
Niederhäuser, Peter
Reihe
Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich 82
Erschienen
Zürich 2015: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Roland Gerber

Peter Niederhäuser nahm das Aussterben des im gesamten heutigen schweizerischen Mittelland begüterten Hochadelsgeschlechts der Grafen von Kyburg-Dillingen vor 750 Jahren zum Anlass, um neuere Forschungen zu dessen Geschichte sowie Beschreibungen der kyburgischen Erinnerungsorte herauszugeben. Seine Absicht war es, dem von der älteren Geschichtsschreibung seit der Monografie von Carl Brun 1913 gezeichneten «schönen Glanz eines über weite Teile der heutigen Deutschschweiz herrschenden Geschlechts» neue Erkenntnisse der Adelsforschung gegenüberzustellen. Die im reich bebilderten Band versammelten Aufsätze zeichnen denn auch ein eher ernüchterndes Bild einer «letztlich wenig erfolgreichen und wenig durchsetzungsfähigen Adelsfamilie », deren Erinnerung durch die in vieler Hinsicht erfolgreicheren Habsburger überlagert wurde. Graf Rudolf IV. von Habsburg (der spätere König Rudolf I.) riss bis 1273 nicht nur den grössten Teil des sogenannten kyburgischen Erbes an sich, sondern er verstand es auch, sich des «schönenen Glanzes» des um 1112 erstmals in den Schriftquellen auftauchenden Geschlechts zu bemächtigten, indem er 1265 den Titel eines Grafen von Kyburg annahm – einen Titel, den seine Nachfahren aus dem Hause Habsburg- Lothringen bis heute tragen.

Der Band gliedert sich in zwei Teile: Im ersten befassen sich zwölf Beiträge mit den Leitthemen «Herrschaft durch Heirat» (Fabrice Burlet), «Orte der Macht» (Erwin Eugster, Ernst Tremp, Renata Windler) sowie «Erbe und Erinnerung» (Erwin Eugster, Peter Niederhäuser, Rudolf Gamper, Nanina Egli, Ueli Stauffacher). Diese werden ergänzt durch Übersichtsdarstellungen von Thomas Zotz über Hochadel in Südwestdeutschland sowie von Benedikt Zäch über kyburgische Münzprägung im 12. und 13. Jahrhundert. Der zweite Teil beinhaltet zehn kürzere Beiträge, in denen vor allem Fachleute der Archäologie und Bauforschung zu Wort kommen und – so die Intension des Herausgebers – die Lesenden zu einer Reise an die heute noch erlebbaren Örtlichkeiten kyburgischer Herrschaft einladen. Dabei wird allein schon durch Verteilung der Beiträge auf die Leitthemen offensichtlich: «Die Geschichte der Grafen von Kyburg wird von ihrem Ende her geschrieben.»

Eine vergleichsweise gute, in einzelnen Punkten jedoch nicht abschliessend geklärte Überlieferungssituation (Erwin Eugster) kann dementsprechend vor allem für die langwierigen Auseinandersetzungen um das kyburgische Erbe nach dem Tod Graf Hartmanns IV. am 27. November 1264 konstatiert werden. Weitere Kristallisationspunkte für die historiografische Auseinandersetzung mit dem Dynastengeschlecht bilden die im 16. Jahrhundert einsetzende eidgenössische Chronistik von Johannes Stumpf und Aegidius Tschudi (Rudolf Gamper), der sogenannte Kyburger Sarkophag im ehemaligen Zisterzienserkloster Wettingen aus dem 13. Jahrhundert (Renata Windler) sowie die 1027 erstmals erwähnte Stammburg «Chuigeburch», wo 1865 das erste Burgenmuseum der Deutschschweiz eingerichtet wurde (Ueli Stauffacher). Die gut erhaltene Hochadelsburg, die Zürich nach 1424 zum repräsentativen Landvogteisitz ausbaute, gehört bis heute zu den bekanntesten mittelalterlichen Wehranlagen der Schweiz (Werner Wild).

Aus bernischer Sicht bedeutsam war die von Rudolf von Habsburg 1273 arrangierte Heirat der kyburgischen Erbtochter Anna mit dessen Vetter Graf Eberhard von Habsburg- Laufenburg. Aus dieser rein machtpolitisch motivierten «Zweckehe» entstand die burgundische Linie der Grafen von Neu-Kyburg (Peter Niederhäuser). Die spannungsgeladenen, zwischen Unterwerfung und militärischer Konfrontation lavierenden Beziehungen des Grafenhauses zu Bern gehören zu den prägenden Elementen der Stadtgeschichte bis zum Aussterben der Neu-Kyburger zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Für die Berner Bürgerschaft bedeutete der Machtkampf zwischen den rivalisierenden Grafen von Savoyen und Grafen von Kyburg beziehungsweise deren Erben, den Herzögen von Österreich, eine ständige Bedrohung ihrer seit dem Aussterben der Zähringer 1218 errungenen Autonomie. 1384 mussten die hoch verschuldeten Grafen von Neu-Kyburg ihre wichtigsten Herrschaftssitze Burgdorf und Thun schliesslich an die prosperierende Stadt verkaufen. Der Berner Rat wurde damit zum letzten und endgültigen Besitzer des umkämpften kyburgischen Erbes in der Landgrafschaft Burgund, 120 Jahre nach dem Tod Graf Hartmanns IV.

Die von Peter Niederhäuser herausgegebenen Beiträge bieten einen aufschlussreichen und gegenüber der älteren Forschung revidierten Einblick in Herkunft und Geschichte der Grafen von Kyburg-Dillingen und deren historiografisches Nachleben bis in die heutige Zeit. Die insgesamt 15 Autorinnen und Autoren erläutern den Aufstieg und Niedergang des Grafengeschlechts anhand für die Adelsforschung zentraler Fragen wie Verwandtschaftsbeziehungen, Erbschaftsregelungen und -streitigkeiten sowie Etablierung weltlicher und kirchlicher Herrschaftssitze. Sie bereiten dadurch den Weg für eine vergleichende Untersuchung der Kyburger mit anderen Adelsfamilien im oberdeutschen Raum und deren Bedeutung für die Ausbildung spätmittelalterlicher Landesherrschaft. Sie beleuchten aber auch die Problematik der Erforschung eines vor 750 Jahren ausgestorbenen Hochadelsgeschlechts, über das kaum zeitgenössische Quellen oder originale Überreste existieren. Aus Berner Sicht vermisst man zudem einen Beitrag über das Zisterzienserinnenkloster Fraubrunnen, das um 1246 von den beiden Grafen Hartmann IV. und V. von Kyburg zur Konsolidierung ihrer Herrschaft im westlichen Mittelland gestiftet wurde.

Zitierweise:
Roland Gerber: Rezension zu: Niederhäuser, Peter (Hrsg.): Die Grafen von Kyburg. Eine Adelsgeschichte mit Brüchen. Zürich: Chronos 2015. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 2, 2016, S. 60-62.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 2, 2016, S. 60-62.

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