M. Genna-Stalder u.a.: Die Patriotische Gesellschaft in Bern

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Titel
Die Patriotische Gesellschaft in Bern und Isaak Iselins Anteil an der europäischen Geschichtsphilosophie.


Autor(en)
Genna-Stalder, Margret; Lambrecht, Lars
Reihe
Forschungen zum Junghegelianismus. Quellenkunde, Umkreisforschung, Theorie, Wirkungsgeschichte. Herausgegeben von Konrad Feilchenfeldt und Lars Lambrecht, 21
Erschienen
Frankfurt am Main 2015: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
333 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Emil Erne

Das vorliegende Buch enthält zwei Abhandlungen, die unabhängig voneinander entstanden sind. Allerdings stützt sich die zweite – eine «vorläufige Dokumentation» über «Isaak Iselins Anteil an der Gründungsgeschichte der europäischen Geschichtsphilosophie » (S. 129–323) des emeritierten Hamburger Professors Lars Lambrecht – vielfach auf die erste, hat aber ansonsten keinen direkten Bezug zur Geschichte Berns und fällt daher in diesem bernischen Rezensionsorgan nicht weiter in Betracht. Eine Besonderheit ist dagegen der erste Beitrag von Margret Genna-Stalder über Die Patriotische Gesellschaft in Bern, 1762–1766 (S. 13–128): Es dürfte nicht häufig vorkommen, dass eine studentische Seminararbeit nach über 40 Jahren im Druck erscheint. Die von Ulrich Im Hof 1974 in Auftrag gegebene quellenkundliche Arbeit wurde von ihm selber in seinen Werken wie auch in der nachfolgenden Forschung zur Sozietätsbewegung des 18. Jahrhunderts immer wieder zitiert. Die zeitliche Parallelität des Wirkens der Patriotischen Gesellschaft in Bern und der Abfassung von Isaak Iselins geschichtsphilosophischem Hauptwerk über «Die Geschichte der Menschheit» 1764 in Basel haben die gemeinsame Veröffentlichung der beiden Beiträge nahegelegt. Margret Genna-Stalder hat ihren Text nur geringfügig überarbeitet. Vor allem hat sie die vielen französischen Quellenzitate ins Deutsche übersetzt – wohl weil die Publikation in einer deutschen Reihe erscheint –, nicht aber drei lateinische Textstellen (S. 72).

Die Patriotische Gesellschaft in Bern (auch Société des Citoyens) entstand im Umkreis der Helvetischen Gesellschaft, die der Basler Ratsschreiber und Geschichtsphilosoph Isaak Iselin (1728–1782) 1761/62 in Schinznach ins Leben rief. Nachdem Daniel Fellenbergs (1736–1801) Vorschläge für die Ziele dieser bedeutendsten gesamtschweizerischen Gesellschaft offenbar nicht aufgenommen worden waren, gründete er vermutlich Anfang 1762 mit Gleichgesinnten in Bern eine analoge Sozietät, die nach seinen Ideen tätig werden sollte. Ihr Ziel war es, empirisch jene Gesetze für die menschliche Gesellschaft zusammenzutragen, deren Anwendung den Menschen unter den Bedingungen, in denen sie lebten, das grösstmögliche Glück gewährleisten konnte. Nach dem Beispiel ausländischer Akademien sollten jährlich Abhandlungen der Mitglieder publiziert werden sowie die besten Beiträge, die zu jährlich vier Preisausschreiben eingereicht würden. Um die freie Meinungsäusserung zu wahren, gedachte die Gesellschaft im Geheimen zu arbeiten.

Die ersten «unterzeichnenden Mitglieder», welche die Gesellschaft gründeten und leiteten, waren neben Iselin Fellenbergs Professorenkollegen an der Berner Akademie Johann Stapfer (1719 –1801) und Samuel Wilhelmi (1730–1796) sowie der Patrizier Vinzenz Bernhard Tscharner (1728 –1778). Zwecks überregionaler Vernetzung lud die Gesellschaft berühmte Wissenschaftler und Publizisten aus Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und der Schweiz als «korrespondierende Mitglieder» zur Mitarbeit ein. Doch die Hälfte der Angefragten antwortete gar nicht und nur einer lieferte binnen Jahresfrist eine Abhandlung.

Die Vorstösse der Berner, ihre Gesellschaft mit der Helvetischen Gesellschaft zu vereinen, scheiterten an deren Unwillen, sich auf eine akademisch-gelehrte Zweckbestimmung festlegen zu lassen. Die eingegangenen Antworten auf ihre Preisfragen von 1762 und 1763 befriedigten die Patriotische Gesellschaft nicht, sodass sie beide Male je ein Werk auszeichnete, das unabhängig davon entstanden war. Im zweiten Fall erregte sie mit der epochemachenden Schrift des italienischen Aufklärers Cesare Beccaria Dei delitti e delle pene (1764), in welcher er sich gegen Todesstrafe und Folter wandte, europaweites Aufsehen. Jedoch kurze Zeit später hörte ihre Tätigkeit auf. Die bernische Regierung bekundete 1766 ihr Misstrauen gegenüber bestehenden Sozietäten, die sie als gefährliche Sammelbecken kritischer Geister betrachtete. Offenbar infolge einer obrigkeitlichen Intervention wurde die Patriotische Gesellschaft aufgelöst.

Die Monografie von Margret Genna-Stalder ist intensiv aus den Quellen erarbeitet, hauptsächlich aufgrund der Briefe Fellenbergs an Iselin sowie weiterer Briefwechsel und Dokumente in der Burgerbibliothek Bern respektive aus dem Isaak-Iselin-Archiv im Staatsarchiv Basel-Stadt. Hinzu kommen gedruckte Briefwechsel und zeitgenössische Schriften nebst der damals vorhandenen einschlägigen Sekundärliteratur. Dank der seriösen Arbeitsweise hat die Darstellung über all die Jahrzehnte hinweg ihren Wert behalten als Beitrag über eine «Gesellschaft, gegründet von intellektuellen, kritischen jungen Patriziern in der Schweiz des 18. Jahrhunderts, der nur eine kurze Blütezeit beschieden war, weil ihr Ziel hochgesteckt und politisch brisant war» (S. 18).

Zitierweise:
Emil Erne: Rezension zu: Genna-Stalder, Margret; Lambrecht, Lars: Die Patriotische Gesellschaft in Bern und Isaak Iselins Anteil an der europäischen Geschichtsphilosophie. Forschungen zum Junghegelianismus. Quellenkunde, Umkreisforschung, Theorie, Wirkungsgeschichte. Hrsg. von Konrad Feilchenfeldt und Lars Lambrecht, Bd. 21. Frankfurt am Main: Peter Lang 2015. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 2, 2016, S. 54-55.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 2, 2016, S. 54-55.

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