F. Abbott: Des comptes d’apothicaires

Cover
Titel
Des comptes d’apothicaires. Les épices dans la comptabilité de la Maison de Savoie (XIVe et XVe siècles


Autor(en)
Abbott, Fanny
Reihe
Cahiers Lausannois d’Histoire Médiévale 51
Erschienen
Lausanne 2012: Cahiers lausannois d'histoire médiévale
Anzahl Seiten
210 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Dorothee Rippmann

Das in der von Agostino Paravicini-Bagliani und Bernard Andenmatten betreuten Reihe der Cahiers lausannois d’histoire médiévale herausgegebene Buch ist den Gewürzen und dem Gewürzhandel im Spiegel von Aufzeichnungen am savoyischen Hof gewidmet. Sie befinden sich heute im Staatsarchiv in Turin. Als pragmatisches Schriftgut halten sie für jeweils ein bis vier Jahre fest, in welcher Weise sich der gräfliche und dann seit 1416 herzogliche Hof mit Gewürzen alimentieren konnte. Dem jedem Gericht und jedem Aroma eigenen Wesen des Flüchtigen steht der bewahrende Charakter des Schriftguts gegenüber, aus dem die Nachwelt Schlüsse über die einstige Kultur der Ernährung zu ziehen vermag – seien es Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben, seien es Kochrezepte oder Rezeptsammlungen wie jene berühmte Schrift des am Hofe Herzog Amadeus VIII. (1383–1451) beschäftigten Kochs maître Chiquart.

Festmähler galten als Zeichen höfischer Prachtentfaltung und Luxusdemonstration, mittels der paradiesischen Verheissungen orientalischer Gewürze, mit den fein nuancierten Geschmäckern und Aromen erlesener Gerichte und Weine trugen sie sinnlich erfahrbar zur fürstlichen Repräsentation bei. Bewusst stellte Herzog Amadeus – der spätere Papst Felix V. – die «Sprache des Essens» (Massimo Montanari) in den Dienst savoyischer Machtentfaltung und Geschichtserinnerung. Wie anders wäre zu erklären, dass er (den schreibunkundigen) maître queux Chiquart förmlich bedrängte, seine besten Rezepte einem Schreiber zu diktieren,
um sie bleibend auf Papier zu bannen? 1]

Wie die von Abbott im Anhang edierte Aufzeichnung aus dem 14. Jahrhundert zeigt, war hingegen der am savoyischen Hof tätige und schreibkundige Apothecarius und familiaris Jean Marci selbstverständlich verpflichtet, über seine Transaktionen Zeugnis abzulegen – auf 15 Pergamenten, die er zu langen Rödeln zusammennähen liess. Er trat im Auftrag des gräflichen Hofes einerseits auf dem Markt als Einkäufer auf, andererseits oblag ihm die Verwaltung der feudalen Einkünfte von Wachs und Spezereien, welche die Kastellane und Vögte einiger Vogteien dem Grafen abliefern mussten. Demnach unterscheidet Abbott die interne, feudale Versorgungsquelle von der externen Beschaffung auf den lokalen Märkten. Sie untersucht dies anhand von Aufzeichnungen des Apothecarius aus den Jahren 1338–1342, dem ältesten von insgesamt 18 überlieferten Rödeln, die bis zum Jahr 1404 reichen, aber dann nur noch Pfeffer, Ingwer, Kümmel und Safran verzeichnen. Den Rodel (computus) von 1338–1342 hält Abbott für den ersten seiner Art, hier wurde offenbar eine neue Verwaltungspraxis erprobt und ein neues Amt geschaffen. Die Pergamentrolle diente dem Apotheker dazu, in Anwesenheit der Gräfin Yolanda und zweier Kleriker eines Tages Ende 1342 Rechnung beziehungsweise Rechenschaft abzulegen. Allerdings wird der Begriff «Rechnung» dem nach Gewürzen bzw. Warengruppen gegliederten Inhalt quellentypologisch nur begrenzt gerecht, ist seine Funktion doch ein «zinsbuchartiges » Verzeichnis feudaler Ansprüche von Wachs und Gewürzen einerseits sowie zum andern eine Arbeitsgrundlage für Kostenabrechnungen mit Kaufleuten, Apothekern und der Apothekersgattin Bona Res von Chambéry, die Gewürze geliefert hatten. Preise sind nicht angegeben, während die Mengenangaben dann im Folgenden als Grundlage für die Bezahlung der Lieferungen dienten. Das ausgewertete Schriftstück muss also ursprünglich ergänzend zu anderen (auf Zetteln oder Kerbhölzern festgehaltenen?) Listen, Rechnungen und Schuldverzeichnissen hergestellt und benützt worden sein. Inwiefern der von Jean Marci beschriebene Pergamentrodel der äusseren Form wie auch der Funktion nach mit den jüngeren (auf Papier[?] geschriebenen und als Reinschrift erkannten) Rechnungen vergleichbar ist, darauf hätte die Autorin noch genauer eingehen dürfen.

Für das 15. Jahrhundert stehen Abbott zwei Rechnungen (mit nach Eingaben und Ausgaben getrennten Rubriken) aus der Zeit von Amadeus VIII. von Savoyen zur Verfügung, dem Kaiser Sigismund 1416 den Herzogstitel verliehen hatte: die täglichen Aufzeichnungen des Hofes von Amadeus VIII. (für 1422/23) einerseits sowie jene der Hofhaltung seiner beiden Söhne (für 1425/26).

Im 15. Jahrhundert übernahmen namentlich genannte externe Händler sowie am Hof ein epicerius domini die Funktion der Gewürzbeschaffung. Dank der Rechnungen der Verantwortlichen am Hof ist es möglich, die Daten der jährlich etwa 30 Einkäufe, die gelieferten Quantitäten und die Qualitäten der Ware zu bestimmen. Nicht immer ist ihr Preis angegeben, was mit der jeweiligen Funktion des Schriftguts zusammenhängt: In der komplexen fürstlichen Administration ging es sowohl um die Dokumentation von Handelsbeziehungen etwa zu den Städten Genf, Bourg-en-Bresse, Chambéry, Mâcon, Montpellier, Avignon und Genua als auch um die interne Verteilung der Güter in die verschiedenen Residenzen. Denn die Aufzeichnungen waren notwendig, um die Übersicht über die Verwendung der Ressourcen zu behalten, waren sie doch für die fürstliche Kammer, die Kammer beziehungsweise das Hôtel (hospitium) der Herzogin sowie auch die Hôtels der Söhne, bestimmt. Manchmal ging es um die Versorgung der savoyischen Truppen, die in den Hundertjährigen Krieg involviert waren: «Recepit a domino ex empto facto per manum Guillermi Boni ad provisionem hospicii domini pro cavalcata regis Francie... I lb grane paradisi» (S. 146).

Abbott leistet einen Beitrag zur Geschichte des Handels und der Versorgung der Küchen am Hof der Savoyer. Zudem fördert sie Details über die materielle Kultur in fürstlichen Küchen zutage, etwa den Erwerb von Seihtüchern und textilem Gebinde für die Aufbewahrung von Spezereien. Es ging nicht nur um den Ankauf von Spezereien allein, sondern auch um Mandeln und Reis (neben Brot handelte es sich um die Grundkomponenten der auf Basis von Verjus, Essig oder Wein komponierten Saucen) ebenso wie um Feigen und Meertrauben. Was die wichtigsten Gewürze betrifft, so wurde beim Ingwer zwischen zinziber album und zinziber mequinum, Ingwer aus Mekka, unterschieden, die unterschiedliche Handelsform begründete auch Preisdifferenzen, so bei den Zuckerhüten (panis) und dem teureren, gemahlenen Zucker. Auch Pfeffer wurde teils schon in Pulverform geliefert (pulver piperis), belegt sind auch Ankäufe der klassischen Mischungen des pulver finus und pulver communis, in denen die Zimtnote vorherrschte. Gewürze, wie auch Zucker und Konfekt (confectiones; cotignac, eine Paste aus in Wein mit Honig oder Zucker gekochten Quitten; ein Gebäck namens mains du Christ) wurden in Abständen auf Vorrat gekauft, mitunter in Hinblick auf den Umzug von einer Residenz zur anderen. Jean Marci notiert gelegentlich den Verwendungszweck der Gewürze, so von Cardamom, Kubebenpfeffer und Paradieskörnern «ad faciendum claretum, dragias, pulveres finas et communes». Während Chiquart sich nicht über den Claretwein äussert, finden sich hier Angaben zur Würzung von Claret.

Beeindruckend sind insbesondere die Vorbereitungen für die zweiten Bestattungsfeierlichkeiten der Herzogin Maria von Burgund in der Abtei Hautecombe im März 1423. Sie werden buchhaltungstechnisch über die Kammer der ein halbes Jahr zuvor Verstorbenen abgerechnet. Für das Trauer-Bankett wurden keine Kosten gescheut, wie der Ankauf von mindestens 64 Kilogramm Gewürzen für diesen Anlass eindrücklich bezeugt. Leider ist die Anzahl beköstigter Conviven unbekannt.

Abbott erarbeitete Tabellen mit Aufstellungen über die beschafften Mengen, aus denen die Rangfolge der Gewürze ablesbar ist. Die Liste der Spezereien hier entspricht dem Sortiment, das der savoyische Küchenmeister Chiquart in seinem Du fait de cuisine angibt. Somit sind Schlüsse auf die kulinarischen Kombinationen der Gerichte zulässig. Warum allerdings im 15. Jahrhundert einige Gewürze wie Kubebenpfeffer, Kümmel, Macis und Zédoaire fehlen, bleibt ungeklärt. Nach wie vor die wichtigsten Gewürze waren Pfeffer, dessen Konsum sich im Laufe des Mittelalters verallgemeinert hatte, weil er erschwinglich geworden war, Ingwer, Zimt und last but not least Zucker. Mit Abstand am teuersten war Safran, gefolgt von Nelke, Paradieskorn (Meleguetapfeffer, ein afrikanisches Gewächs), Zimt und Galangawurzel. Safran war dreimal teurer als Zimt und fünfmal teurer als weisser Ingwer (1422/23 wurden allein am Hof des Herzogs 116,5 Pfund weisser Ingwer und 94,5 Pfund Mekkaingwer verbraucht.). Demgegenüber waren die Preise von Pfeffer, Zucker, Mekkaingwer und Anis in der genannten Reihenfolge günstiger. Zucker scheint seit dem 14. Jahrhundert in den betreffenden Kreisen nahezu ein Massengut gewesen zu sein. So summierten sich die Einkäufe von Zucker laut dem ältesten Dokument (14. Jahrhundert) allein für den Hof des Grafen auf 1594 Pfund, für den Hof seiner Kinder auf 15,25 Pfund. Indes wundert man sich, warum Honig überhaupt nicht vorkommt, und insbesondere, dass er in den Aufzeichnungen des 14. Jahrhunderts fehlt, wo doch unter den feudalen Einkünften das Wachs wichtig ist. War der Bienenhonig den herrschaftlichen Zinsansprüchen entzogen, behielten ihn die Bauern als Ertrag aus der Pflege ihrer Bienenstöcke für sich? Lässt die Nichtpräsenz von Honig in den herrschaftlichen Verwaltungsschriften die Hypothese zu, dass die ländliche Bevölkerung weiterhin mit Honig süsste, während Zucker die Gerichte der obersten Sozialschicht veredelte?

Das von Abbott untersuchte pragmatische Schriftgut unterstreicht ausser dem Luxusaufwand am fürstlichen Hof dessen Umgang mit Schriftlichkeit. Abbotts Arbeit umfasst zahlreiche Tabellen, ein Glossar sowie eine sorgfältige Edition der Aufzeichnungen im Pergamentrodel von 1338–1342. Da heute in der Forschung zu pragmatischer Schriftlichkeit der Materialität von Schriftstücken und ihrer äusseren Form verstärkt Aufmerksamkeit gilt, würde man sich von den Dokumenten beider Epochen auch Abbildungen wünschen, wofür heute das Medium einer CD geeignet wäre. Eine Transkription zumindest eines der untersuchten Dokumente der 1420er-Jahre hätte den Vergleich mit dem Rodel aus dem 14. Jahrhundert erleichtert. Mit ihrer Studie ergänzt die Autorin die ernährungsgeschichtlichen Studien von Irma Naso, Anna Maria Nada Patrone und die medizinhistorischen Studien Giovanni Carbonellis. Es wäre reizvoll, die in den savoyischen Rechnungen bezeugten fürstlichen Konsumgewohnheiten mit jenen des Lausanner Bischofs Guillaume de Challant zu vergleichen. Was dieser und sein Hofstaat auf ihrer Reise zum Hoftag in Regensburg konsumierten, ist durch die Publikation von Françoise Badel dokumentiert.2

[1] Vgl. Terence Scully (éd.), Du fait de cuisine par Maistre Chiquart, Sion 1985; Philippe Gillet, Le Goût et les mots. Littérature et gastronomie 14e–20e siècles, Paris 1987, S. 45–61.
2 Françoise Badel, Un évèque à la Diète. Le voyage de Guillaume de Challant auprès de l’empereur Sigismond (1422), Lausanne 1991 (Cahiers Lausannois d’Histoire Médiévale, vol. 3).

Zitierweise:
Dorothee Rippmann: Rezension zu: Fanny Abbott, Des comptes d’apothicaires. Les épices dans la comptabilité de la Maison de Savoie (XIVe et XVe siècles), Université de Lausanne Faculté des lettres, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 65 Nr. 3, 2015, S. 497-500.

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Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 65 Nr. 3, 2015, S. 497-500.

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