W. Loepfe: Aufstieg und Untergang der Thurgauischen Hypothekenbank

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Titel
Aufstieg und Untergang der Thurgauischen Hypothekenbank (1851–1914).


Autor(en)
Loepfe, Willi
Reihe
Thurgauer Beiträge zur Geschichte 151
Erschienen
Frauenfeld 2014: Verlag des Historischen Vereins des Kantons Thurgau
Anzahl Seiten
266 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Tobias Straumann, Department of Economics / Economic History, ETH Zürich

Die schweizerische Bankengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ist, man glaubt es kaum, bis anhin kaum erforscht worden. Die grossen Züge kennen wir zwar von Jubiläumsschriften, Sammelbänden und einzelnen Dissertationen. Aber viele wichtige Fragen sind nach wie vor unbeantwortet geblieben. Die Situation wäre noch desolater ohne die Beiträge des freischaffenden Historikers Willi Loepfe, der bis 2002 in den Diensten einer Schweizer Grossbank gestanden hat. 2006 und 2011 publizierte er zwei Bände zur Geschichte des schweizerischen Finanzplatzes von 1923 bis 1975, die dank seinem privilegierten Zugang zu den Bankarchiven viel neues Material enthalten. Nun hat er ein Buch zur Geschichte der Thurgauer Hypothekenbank von der Gründung 1851 bis zum Untergang 1914 geschrieben, das wiederum neue Massstäbe setzt und als Standardwerk längere Zeit Bestand haben dürfte. Loepfe pflegt einen präzisen und unaufgeregten Stil, erklärt das Bankgeschäft mit grosser Sachkenntnis und lässt bei der Interpretation der Quellen grosse Vorsicht walten. Der Autor versteht sein Handwerk.

Der Untergang der Thurgauer Hypothekenbank lässt sich durchaus mit den jüngsten Bankenkatastrophen vergleichen. 1911 war sie die drittgrösste Hypothekenbank der Schweiz, ihr Scheitern bedrohte das gesamte schweizerische Finanzsystem. Zudem war sie keineswegs das einzige Finanzinstitut, die damals in Schwierigkeiten geriet. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg verschwanden Dutzende von Regional- und Hypothekarbanken, viele Kunden verloren ihre Ersparnisse. Die Krise war so bedrohlich, dass sie die ersten Bemühungen um eine Bankenregulierung auf Bundesebene auslöste. Es brauchte allerdings eine zweite Finanzkrise, bis das Parlament einen Beschluss fasste. Erst 1935 trat das erste eidgenössische Bankengesetz in Kraft.

Loepfe erzählt Aufstieg und Niedergang der Thurgauer Hypothekenbank in fünf Teilen. Er schildert, wie die kleine, vom Staat protegierte Bank zu einem grossen Kreditinstitut mutierte, das nicht nur im Kanton Thurgau, sondern auch in Zürich und in Deutschland tätig war. Ein wichtiger Grund für die forsche Expansion über die Kantonsgrenzen hinaus war der erhöhte Wettbewerbsdruck im Heimmarkt, der 1871 durch die Gründung der Thurgauer Kantonalbank entstand. Die 1880er-Jahre waren diesbezüglich eine Schlüsselzeit. Während die Kantonalbank kontinuierlich wuchs, bekundete die Hypothekenbank grösste Mühe, ihren Marktanteil zu halten. Eine solche Konstellation ist für die Entstehung von Finanzkrisen geradezu klassisch. Eine Bank fühlt sich durch den Wettbewerb an den Rand gedrängt und kompensiert die eigenen Schwächen durch eine riskante Expansionsstrategie, die zu hohen Verlusten führt. Loepfe vermag die Motive und Entscheidungsprozesse während dieser Schlüsselphase gut zu rekonstruieren, obwohl die Protokolle nur selten die Diskussionen in den Leitungsgremien abbilden. Er kann ferner überzeugend nachweisen, wie die teilweise fragwürdige Rekrutierung zu Fehlbesetzungen führte. Die Bank war fest in den Händen der Thurgauer Freisinnigen, die meisten Verwaltungsratsmitglieder waren Politiker, Richter oder Offiziere, denen das nötige Fachwissen fehlte. Die interne Aufsicht war mangelhaft, was wiederum an die jüngste Finanzkrise erinnert.

Erste Schritte über die Grenzen des Thurgaus hinaus machte die Hypothekenbank Ende der 1880er-Jahre, als sie ins Geschäft mit Kaufschuldbriefen einstieg. Die Kunden lebten im Badischen, die Objekte befanden sich hauptsächlich im Kanton Zürich – es formierte sich eine Art Dreiecksgeschäft mit stetig steigenden Einsätzen. Allein im Jahr 1895 stieg die Bilanzsumme der Hypothekenbank um 36 Prozent, was hauptsächlich auf diese ausserkantonalen Kredite zurückzuführen war. 1899 begannen die Liegenschaftspreise in Zürich nachzugeben, was die Solvenz der badischen Schuldner schwächte, was wiederum voll auf die Bilanz der Hypothekenbank durchschlug. Um das Bilanzwachstum aufrecht zu erhalten, stieg die Bank nun in das Geschäft mit Grosskrediten in Deutschland ein. Sie beteiligte sich an der Finanzierung von Prestigebauten in Köln, Düsseldorf und Berlin und unterstützte Firmen in Süddeutschland. 1910 erreichte die Bilanzsumme der Hypothekenbank 207 Millionen Franken – 1880 hatte sie noch 40 Millionen betragen.

Der Untergang der Hypothekenbank begann sich im Frühling 1912 abzuzeichnen. Es kursierten Gerüchte, wonach die Bank mit Verlusten wegen der bankrotten Leih- und Sparkasse Steckborn rechnen müsse. Der Aktienkurs gab stark nach. Im Mai drohte eine Liquiditätskrise, worauf sich die Bankleitung an die Basler Handelsbank und die SNB wandte. Die SNB drängte auf schnelle Hilfe und stellte zusammen mit der Handelsbank zehn Millionen Franken zur Verfügung, um einen Bankrun abzuwenden. Die Begründung der SNB klingt sehr modern: Es gehe darum, eine regionale Wirtschaftskrise, die über die Kantonsgrenzen hinaus wirken würde, zu verhindern. Die Hypothekenbank wurde als «too big to fail» eingestuft. Ende Juni wurde die Insolvenz der Leih- und Sparkasse Eschlikon bekannt, was das Misstrauen gegenüber der Hypothekenbank verstärkte. Der baldige Konkurs drohte. Im Juli fand in Zürich eine Sitzung mit hochrangigen Bankenvertretern unter Führung der SNB statt. Es wurde entschieden, ein Hilfspaket von 47 Millionen Franken zu schnüren, um eine grössere Bankenkrise zu verhindern. Die Situation beruhigte sich wieder. 1913 destabilisierten erneut grössere Verluste die Bank, worauf die Kunden begannen, ihre Spargelder abzuziehen. Ende Dezember sah der Verwaltungsrat keine andere Lösung als in die Fusion mit der Schweizerischen Bodenkredit-Anstalt in Zürich einzuwilligen. Im Februar 1914 wurde der Schritt von den Generalversammlungen der beiden Banken beschlossen. Die grössten Verlierer der Fusion waren die Aktionäre, während die Gläubiger keine Verluste verkraften mussten. Ungeschoren kamen auch die Verantwortlichen der Bank davon. Ihnen konnten keine strafbaren Handlungen nachgewiesen werden. Auch das kommt einem sehr bekannt vor.

Zitierweise:
Tobias Straumann: Rezension zu: Willi Loepfe, Aufstieg und Untergang der Thurgauischen Hypothekenbank (1851–1914), Frauenfeld: Verlag des Historischen Vereins des Kantons Thurgau, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 65 Nr. 3, 2015, S. 487-489.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 65 Nr. 3, 2015, S. 487-489.

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