S. Kracauer: Totalitäre Propaganda

Cover
Titel
Totalitäre Propaganda.


Autor(en)
Kracauer, Siegfried
Herausgeber
Stiegler, Bernd
Reihe
suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2083
Erschienen
Frankfurt am Main 2013: Suhrkamp Verlag
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Richard Albrecht, Bonn

Das Arbeitsjournal des 1933 exilierten und schließlich in Südkalifornien überlebenden Stückeschreibers Bertolt Brecht (1898–1957) enthält ein gutes Dutzend Einträge über die Frankfurtisten des Instituts für Sozialforschung aus den Jahren 1941–1944. Besonders interessierten Brecht im Zusammenhang mit seiner Intellektuellenkritik und seinem TUI-Romanprojekt die auch heute noch bekannten Ideologiekritiker des ebenfalls exilierten Instituts Max Horkheimer (1895–1973) und Theodor W. («Teddy») Adorno (1903–1969). Brechts erster die Frankfurtisten betreffender Eintrag vom August 1941 bezieht sich auf Horkheimer als Institutsleiter und merkt kritisch an: das Institut alimentiere durch Geldzahlungen «etwa ein dutzend intellektuelle, die dafür ihre arbeiten abliefern müssen ohne die gewähr, daß die Zeitschrift sie jemals druckt.» (Arbeitsjournal [1938–1956], hg. Werner Hecht, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1973, 295). Brechts letzter (ironischer) Eintrag vom 18.12. 1944 gilt Person und Gesicht Adornos, auf den «letztlich die Kritische Theorie konzentriert war» (Jürgen Habemas).

Um die Institutspraxis und Adornos Rolle geht es im Buch über Totalitäre Propaganda des sozialwissenschaftlich argumentierenden linken Feuilletonisten, Essayisten, Erzähler, Literatur-, Medien- und Kulturkritiker, Filmhistoriker und Geschichtsphilosophen Siegfried Kracauer (1889–1966). Es wurde 1936–1938 in Kracauers Pariser Exil (er konnte erst 1941 über Lisboa in die USA gelangen) im Auftrag des Instituts erarbeitet und erschien erst 2012 in der aufwändig textlich rekonstruierten und sachkundig edierten Kracauer-Werkausgabe im Band 2.2. Studien zu Massenmedien und Propaganda des Suhrkamp-Verlags.

Über diesen Fakt hinaus verweist die mir vorliegende zweite Buchausgabe von Totalitäre Propaganda auf besondere Merkwürdigkeiten. Diese betreffen das Institut im Allgemeinen und dessen Mitarbeiter Adorno im Speziellen. Es war vor allem Adorno, der einmal – und noch bevor das gesamte Kracauer-Manuskript vorlag – mittels seiner Gutachten genannten, Kracauer selbst vorenthaltenen, Kritik vom 5. März 1938 bewirkte, daß Kracauers Studie vom Institut grundsätzlich und in welcher Form auch immer nicht veröffentlicht wurde. Und der zum anderen unter dem Vorwand, vom Kracauer-Text zu retten, was zu retten ist, unterm Titel Zur Theorie der autoritären Propaganda eine so herunter gekürzte Zeitschriftenversion schrieb, daß Kracauer als Autor und trotz aller finanzieller Not einer Veröffentlichung nicht zustimmte: «Teddies Redigierung» – schrieb Institutsmitglied Leo Löwenthal (1900–1993) am 9. September 1938 dem befreundeten Kollegen Kracauer nach Paris – «stellt eine umgreifende Veränderung des ursprünglichen Textes dar.» Und Kracauer selbst schrieb an Adorno: «Ich muß Dir gestehen, daß mir eine Bearbeitung, die so jedem legitimen Usus zuwiderläuft, in meiner ganzen literarischen Laufbahn nicht zu Gesicht gekommen ist [...] Du hast in Wahrheit mein Manuskript nicht redigiert, sondern es als Unterlage für eine eigene Arbeit benutzt.»

Diese adornosche «Veränderung» plakatiert schon der Titel – aus zutreffender kracauer’scher totalitärer wurde schiefe adornitische autoritäre Propaganda. Damit erübrigt sich auch jeder weiterer filigranphilologischer Textvergleich. Nicht aber ein Blick ins Adorno-Gutachten, das passagenweise den Eindruck des Verdikts eines stalinisierten KP-ZKs vermittelt: etwa wenn Adorno seinem früheren Mentor und Freund vorwirft, den faschistischen Nationalsozialismus nicht marxistischökonomisch zu untersuchen, sondern diesen «aus outsiderhafter Position» nur amateurhaftphänomenologisch zu beschreiben (was freilich die Stärke von Kracauers 1930 in Buchform veröffentlichten Sozialreportagen Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland ausmachte). Als besonders abstoßend empfand ich die gönnerhaften Passagen über die «positiven Teile der Arbeit», in denen Kracauer – so Adorno – versucht, sich aus der «Sphäre der Warenschriftstellerei herauszuarbeiten» und über ein «Emigrationsopfer wie Kracauer, das [!] in einer immerhin anständigen Weise versucht, seinen geistigen Standard wiederzugewinnen.»

Der Materialband zu Kracauers Totalitärer Propaganda ist (wie Band 2.2. der Werkausgabe) gediegen ediert (einen Druckfehler bei Kracauers Titelvorschlag fand ich: 323). Und doch wirkt dieser SuhrkampBand auf mich ähnlich sekundärpublizistisch wie das gegenwärtige deutschsprachige Regietheater – wird doch allein der Bandheraugeber Bernd Stiegler, nicht aber der Autor und Produzent Siegfried Kracauer als Person vorgestellt

Zitierweise:
Richard Albrecht: Rezension zu: Siegfried Kracauer, Totalitäre Propaganda, hg. und Nachwort Bernd Stiegler unter Mitarbeit von Maren Neumann und Joachim Heck (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2083), Frankfurt a. M., Suhrkamp, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 579-580.

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