S. Poser: Glücksmaschinen und Maschinenglück

Cover
Titel
Glücksmaschinen und Maschinenglück. Grundlagen einer Technik- und Kulturgeschichte des technisierten Spiels


Autor(en)
Poser, Stefan
Reihe
Histoire 100
Erschienen
Bielefeld 2016: Transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis
Anzahl Seiten
401 S.
Preis
€ 39,99
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Anika Schleinzer, Historisches Institut, RWTH Aachen

„Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, konstatierte Friedrich Schiller 1795 in seinen Gedanken über die ästhetische Erziehung des Menschen.1 Bis heute wird dieser Satz zitiert, wenn es darum geht, die Bedeutung des Spiels für Mensch und Gesellschaft heraus zu stellen. Aber was genau passiert mit dem Menschen, wenn er sich ins Spiel hinein begibt? Welche typischen Wesenheiten bringt das Spiel hervor? Und auf welche Art und Weise regt es den Menschen dazu an, sich auszuleben? Stefan Poser hat sich in seinem Werk „Glücksmaschinen und Maschinenglück“ diesen Fragen angenommen und eindrücklich gezeigt, dass insbesondere das „technisierte Spiel“ mehr ist als eine kurzfristige, harmlose Beschäftigung.

Jedes Spiel prägt den Menschen. Kommt es aber zur spielerischen Auseinandersetzung mit Artefakten und handeln die Spielenden bewusst ergebnis- bzw. zweckbezogen – beziehen also „Technik“ im weitesten Sinne in ihr Spiel mit ein –, dann werden die Auswirkungen dieser Tätigkeit auch jenseits der unmittelbaren, zwischenmenschlichen Ebene erklärungsbedürftig. Die Ansprüche der Spielenden an ihr Material wirken zurück auf die Technikentwicklung und werfen in diesem Kontext die Frage auf, welche Innovationen und Technologietransfers durch Impulse aus dem Spiel angeregt wurden. Umgekehrt erfordert und fördert technisches Handeln spezifische Kompetenzen, die es zu untersuchen gilt. In beiden Fällen stehen die Akteure in einer wechselhaften Beziehung zur materiellen Kultur ihrer Zeit, ist ihr technisiertes Spiel abhängig von sozialen und ökonomischen Bedingungen. Diese Ebenen, die in den Eigen- und Gegenwelten des technisierten Spiels sichtbar werden, will Poser in seiner Arbeit analysieren. Am Beispiel ausgewählter Fallstudien aus den drei großen Feldern „Sport“, „Jahrmarktsvergnügen“ und „Spiel mit Technischem Spielzeug“ sollen die „Grundlagen einer Technik- und Kulturgeschichte des technisierten Spiels“ im 19. und 20. Jahrhundert herausgearbeitet werden. Jeder dieser Bereiche wird eingeleitet durch eine Zusammenfassung der allgemein prägenden technikgeschichtlichen Entwicklungen sowie einer Erläuterung der spezifischen Formen des Spiels, die innerhalb dieser Rahmenbedingungen möglich waren. Die ausführlichen Einzelstudien – Rudern in Sportbooten, Schwimmen im öffentlichen Bad, die rasante Fahrt in „Thrill rides“, die selbst gesteuerte Bewegung im Autoskooter und schließlich der Bau und die Bedienung von Spielzeugeisenbahnen – bilden das Herzstück der Arbeit. An ihnen zeigt Poser die konkrete Umsetzung technischer Innovationen zu Spielzwecken, beleuchtet die Funktionen des Spiels und das spielerische Technikerleben der Nutzer.

Die Auswahl stark divergierende Einzelfallstudien wird mit der Anwendung sehr weit gefasster, gebräuchlicher Definitionsvarianten von „Technik“ und „Spiel“ gerechtfertigt. Im Anschluß an eine „Kulturgeschichte der Technik“2, in deren Tradition sich Poser verortet, übernimmt er einen von MacKenzie und Wajcman etablierten Technikbegriff, der „materielle und immaterielle Gegenstände, menschliche Aktivitäten sowie systematisches Wissen, gepaart mit praktischen Fähigkeiten“ (S. 38) umfasst.3 „Spiel“ kann, auf der anderen Seite des Begriffsfeldes, grundsätzlich jede Handlung sein, die in positiver Grundstimmung ausgeführt wird. Im Verständnis von Elliot M. Avedon und Brian Sutton-Smith, deren Ansatz Poser aufgreift und erweitert, gehören dazu nicht nur zweckfreie, um ihrer selbst willen vollzogene, vergnügliche Tätigkeiten, sondern auch solche, in denen eigene Regeln zu Grunde gelegt werden und ein vorher festgelegtes Ergebnis erzielt werden soll.4 In der Begriffskombination eröffnet sich nun ein maximal großes Forschungsfeld, das strukturanalytisch nur schwer zu bearbeiten ist. Poser versucht über die Bestimmung fallübergreifender Spielfunktionen seine paradigmatischen „Theoretical Samplings“ miteinander in Verbindung zu bringen. Als methodisches Instrumentarium dient ihm hierfür Roger Caillois' Einteilung des Spiels in vier Kategorien.5 Der Wettkampf „agon“, das Glücksspiel „alea“, der Rausch „ilinx“ und das Rollenspiel „mimicry“, so die These, zeigten sich in unterschiedlicher Gewichtung in jedem technikinduzierten Spielgeschehen. Gemeinsam sei allen untersuchten Spielphänomenen, und darin unterscheide sich das technisierte Spiel von Techniknutzung in Alltag und Arbeit, die Einflußnahme auf die Gefühlswelt des Menschen: „In unterschiedlicher Weise und Intensität sollen mittels Technik (im Spiel) Emotionen geweckt werden.“ (S. 12)

Innerhalb dieses Gefühlsquartetts soll der Beschreibung des Rausches „ilinx“ und des ihm verwandten „Flow-Erlebnis“ (Csikszentmihalyi) als einer Art Leitemotion besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. Die Fallstudie zu den „Thrill rides“ im Kapitel „Jahrmärkte und Vergnügungsparks“, die die Generierung von Rauscherlebnissen in den Blick nimmt, ist dieser Zielsetzung entsprechend besonders anspruchsvoll ausgearbeitet. Von den ersten „Rutschbergen“ in Paris und St. Petersburg, die je nach Wunsch und Mut auch stehend bewältigt werden durften, bis hin zu modernen, hochgesicherten Looping- und Achterbahnen, die den bewegungsunfähig gemachten Nutzer an die Grenzen körperlicher Belastbarkeit brachten, verfolgt Poser zunächst die technische Entwicklung der Attraktionen. Für sich genommen ist schon diese ausführliche Darstellung – und Gleiches gilt für die technikgeschichtlichen Einführungen in die anderen Sachgebiete – von historiographischem Wert, trägt sie doch neueste, auf breiter Quellenbasis recherchierte Erkenntnisse zur Produktionsgeschichte der behandelten Artefakte und Sachsysteme zusammen. Mit einer Vielzahl anregender Interpretationsansätze widmen sich die Abschnitte „Spiel“ und „Perspektiven der Akteure“ im Anschluss der Ausprägung der verschiedenen Caillois'schen Spielkategorien und thematisieren die Erfahrungswelten der Nutzer. Obwohl beide Herangehensweisen in sich schlüssig sind, bleibt die Frage, warum die Ebene des Spiels von seiner emotionsauslösenden technischen Basis getrennt abgehandelt wurde. Auf diese Weise werden, um beim Beispiel der „Thrill rides“ zu bleiben, in der Darstellung der technischen Entwicklung nur die groben Tendenzen sichtbar: Die Geschwindigkeit wurde gesteigert, „ilinx“ verstärkt. Die konkreten Auswirkungen neuer Antriebs-, Brems- oder Sicherungssysteme auf die Art des Rauschgefühls und das durch spezifische Technikeinwirkung veränderte Erleben der Nutzer im Zeitverlauf bleiben hingegen unterbelichtet.

Der einleitend angekündigte Fokus auf „ilinx“ und „flow“ wird in der Analyse der anderen Fallbeispiele nicht durchgehalten. Beim sportlichen Rudern und Schwimmen sowie in der Betrachtung des „Maschinentanzes“ (S. 245) in der Skooterhalle wird der Rausch nur als eine mögliche Emotionsvariante besprochen, im Kapitel zum Technischen Spielzeug gar nicht thematisiert. De facto hat Poser sich für eine Ausarbeitung in die Breite entschieden und versucht, drei der vier Caillois'sche Kategorien an jedem Fallbeispiel „durchzuexerzieren“ (S. 45), während „alea“, das Glücksspiel, ausgeblendet wird. Für die Übersichtlichkeit einer Arbeit, die sich ohnehin schon an einen sehr „weit und heterogen“ (S. 12) gefassten Themenkreis wagt, wäre die eigentlich angedachte durchgängige Analyse einer einzigen Spielkategorie eventuell vorteilhafter gewesen. So drohen Leserinnen und Leser ob der Variationsbreite der eingesetzten Ordnungselemente und Untersuchungsgegenstände zuweilen den Überblick zu verlieren: Fünf thematisch verschiedene Fallbeispiele werden behandelt, ergänzt noch um die in den zusammenfassenden Abschlußkapiteln „Schlüsseltechnologien als Spielsujet“ und „Zeitgebundenheit“ behandelten Beispiele „Atomkraft“, „Computer“, „Dampfmaschine“ und „Automaten“. Hinzu kommt, dass die drei Felder des Technischen Spiels teilweise in Grenzregionen anderer Bereiche (Sport, Architektur) hineinreichen und damit – trotz eingangs umfassend dargelegter Begrifflichkeiten – erklärungsbedürftig sind.

In der Gesamtschau der Fallbeispiele überwiegen die Differenzen: Die konkreten Techniken des Spiels unterschieden sich bezüglich der Produktionsbedingungen – in einigen Fällen wurde veraltete Technik weiterentwickelt, in anderen moderne Technik übernommen, mal Technologien aus anderen Bereichen adaptiert, dann wieder Innovationen aus dem Spiel heraus entwickelt und weitergegeben. Sie unterschieden sich auch hinsichtlich der Auswirkungen auf die Nutzer – denn nicht nur Befindlichkeiten wurden geweckt, das Spiel mit Technik beeinflusste auch Körper und Charakter. Poser nimmt nicht nur, wie der Titel andeutet „Glücksmaschinen“, also technische Artefakte in den Blick, sondern auch technische Sachsysteme wie den Modelleisenbahnbau. Einige der Technikspiele erlaubten aktives technisches Handeln, andere forderten den Nutzer heraus, sich der Technik „auszusetzen“. Mal wurde gemeinsam gespielt, mal alleine und über verschieden lange Zeiträume. Zu guter Letzt unterschieden sich die Spiele auch in Bezug auf die Stimmung der Spielenden, wurden mal eher ernsthaft und wettkampforientiert oder mal spontan-lustvoll ausgeübt, und qualifizieren sich damit zur erneuten Differenzierung als „ludus“ bzw. „paidia“.6

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es Stefan Poser in seinem eindrucksvollen Werk gelungen ist, das technisierte Spiel als reizvolles, junges Forschungsfeld vorzuführen. Besonders originell in methodischer Hinsicht ist der Versuch, zwei als konträr empfundene Handlungsräume und Artefaktwelten – das Spiel und die Technik – miteinander in Verbindung zu bringen. Im Spiel wird die Technik aus ihrer zweckrationalen Gebundenheit herausgelöst, die strikte Nutzenfunktion, die ihr mit Günther Ropohls weithin akzeptiertem Technikbegriff als typisches Wesensmerkmal eingeschrieben wurde7, in neuen Zusammenhängen untersucht. Umgekehrt wird das Spiel durch den Einbezug von Technik nicht mehr nur als Ausdruck grundloser Impulsivität verstanden, sondern als Möglichkeit „menschliche Empfindungen (zu) vermitteln, zur Spannung von Wettkämpfen bei(zu)tragen, einen angenehm-kontrollierten Schauer oder gar Lustempfindungen (zu) wecken.“ (S. 9) Die einzelnen Fallstudien in „Glücksmaschinen“ stehen jede für sich als beeindruckende, im positiven Sinne überraschende Beispiele für die Themenvielfalt einer neuen Kulturgeschichte der Technik. Ihre Verbindungen und gemeinsamen Grundlagen herauszufinden, gestaltet sich jedoch schwierig: So stimmt es natürlich, wie in den ersten drei Abschnitten des Fazits dargelegt wird, dass Spiel mit und mittels Technik „zeitgebunden“ (S. 316) ist und es in seiner langen Geschichte „immer wieder zu Umbrüchen kam“ (S. 327), die sich vor allem als Folge der Industrialisierung und des Übergangs zur Konsum- und Freizeitgesellschaft ergaben. Aber Veränderungen im Zeitverlauf, gerade entlang der genannten Zäsuren, sind Merkmal jeder (technik)historischen Entwicklung und nicht nur typisch für technisierte Spiele. Die angeführten Beispiele sprechen eher dafür, dass jede Spieltechnik eine eigene Geschichte hat und individuell behandelt werden muss. Es bleibt Stefan Posers großer Verdienst, mit seiner thematisch und methodisch breit aufgestellten Arbeit maßgebliche Entwicklungen im Bereich des technisierten Spiels sichtbar und für die Forschung anschlußfähig aufgearbeitet zu haben. „Glücksmaschinen und Maschinenglück“ ist damit ein bislang einzigartiges Einstiegswerk in die Thematik, an dem niemand, der an der Kulturgeschichte der Technik interessiert ist, vorbeilesen sollte.

Anmerkungen
1 Friedrich von Schiller, Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen, 15. Brief, in: ders. (Hrsg.), Die Horen, 2. Stück, Tübingen 1795, S. 88.
2 Vgl. hierzu grundlegend: Martina Heßler, Kulturgeschichte der Technik, Frankfurt am Main 2012.
3 Donald MacKenzie/ Judy Wajcman, Introduction Essay, in: dies. (Hrsg.), The Social Shaping of Technology. How the Refrigerator Got its Hum, Milton Keynes 1985, S. 2–25, besonders S. 3.
4 Elliot M. Avedon/ Brian Sutton-Smith, Introduction, in: dies. (Hrsg.), The Study of Games, New York 1971, S. 1–8, besonders S. 7.
5 Roger Caillois, Les jeux et les hommes. Le masque et le vertige, Paris 1958.
6 In den die „Ergebnisse“ eines jeden Fallbeispiels zusammenfassenden Abschnitten versucht Poser in den verschiedenen Formen von Technikspielen auch Elemente von „ludus“ und „paidia“ auszumachen. Auch diese Kategorien sind Caillois' Spieltheorie entnommen. Sie ermöglichen eine Einordnung der vier Spieltypen zwischen den Polen paidia – dem spontanen Spiel – und ludus – dem strengen, regelhaften Spiel. Vgl. S. 46f. und Caillois, Les jeux.
7 Günter Ropohl, Allgemeine Technologie. Eine Systemtheorie der Technik, Karlsruhe 2009, S. 31.