Schweizerischer Kunstführer GSK

: Schloss und Schlosskirche Spiez. . Bern 2015 : Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte - GSK, ISBN 978-3-03797-193-2 52 S.

: Die Stadtkirche Büren an der Aar. . Bern 2015 : Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte - GSK, ISBN 978-3-03797-106-3 52 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Philipp Zwyssig

Die beiden neusten Kunstführer der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, die Baudenkmäler im Kanton Bern behandeln, sind von der Konzeption her sehr unterschiedlich gestaltet. Während das Heft über das Schloss und die Schlosskirche von Spiez die Beschreibung der baulichen Veränderungen ins Zentrum stellt, dienen die Ausführungen zur Baugeschichte der Stadtkirche von Büren an der Aare als kontextueller Rahmen für die Interpretation des theologischen Bildprogramms. In beiden Heften sind die kunsthistorischen Betrachtungen sehr deskriptiv, im Falle des Spiezer Bandes zuweilen im Protokollstil gehalten. So erfährt der Leser etwa über das Schloss Spiez, dass «der wie ein Zwischenbau wirkende Mitteltrakt mit seiner seit dem 18. Jh. beruhigten Fensterordnung ursprünglich um die linke Fensterachse kleiner [war]. Eine schmale Kammer trennte den Trakt vom Turm. Sie reichte in der Höhe nur bis zum Fenstersturz des 1. Stocks, wie an der im Putz markierten Fuge abzulesen ist […] » (S. 24). Ein solcher kunsthistorischer Blick auf das Baudenkmal schärft das Bewusstsein für die Veränderungen in der Zeit und mahnt daran, dass die Vorstellung von einem einheitlichen, klar durchkomponierten Architektur- und Baustil eine moderne ist.

Den Preis für die in beiden Kunstführern gebotene kunsthistorische Genauigkeit zahlt der an grösseren (kunstgeschichtlichen und historischen) Zusammenhängen interessierte Leser. Nur selten werden die vielen Fakten zu einer kohärenten Argumentation verknüpft. Zwar ist es interessant zu wissen, von welchem Glasmaler, in welchem Jahr und in wessen Auftrag die Wappenscheiben der Bürener Stadtkirche – als Originale heute im Bernischen Historischen Museum – gefertigt wurden (S. 15 f.), doch ist dem Leser wenig gedient, wenn er nicht über Sinn und Verwendungszweck solcher Wappenscheiben aufgeklärt wird. Indirekte Hinweise darauf werden in den Ausführungen zur Geschichte und Baugeschichte (S. 2 – 8) durchaus gegeben, etwa wenn betont wird, dass das romanische Figurenprogramm in die Zeit der Verleihung des Stadtrechts an Büren (1260) fällt und somit als Ausdruck des selbstbewussten Auftretens der aufstrebenden Stadtkommune zu verstehen ist. Eine Kirche war in dieser Zeit also ein Ort nicht nur religiöser, sondern auch politischer Kommunikation. Die Wappenscheiben dürften folglich der symbolischen Repräsentation ihrer Stifter gedient haben, bei welchen es sich bezeichnenderweise um Schultheissen, Äbte und um die Stände Bern und Freiburg handelte. Das Gleiche liesse sich vom imposanten, für Sigmund von Erlach (1614 – 1699) errichteten Grabdenkmal in der Schlosskirche von Spiez sagen. Es zeigt sein Wappen, umgeben von Insignien seiner Tätigkeit als Heerführer, Berner Schultheiss und Diplomat (S. 49). Da die Schlosskirche bis 1907 als Pfarrkirche diente, liegt es auch hier nahe, Kirchenausstattung und Repräsentationsbedürfnis in einen Zusammenhang zu bringen. Obschon der fachkundig verfasste Abschnitt zur Geschichte des Schlosses und seiner Besitzer (Freiherren von Strättligen, Herren von Bubenberg, Familie von Erlach) Argumente hierfür liefern würde (S. 3 – 11), bleibt es bei deskriptiven Erläuterungen des frühromanischen Kirchengebäudes und dessen Ausstattung (S. 40 – 50).

Allgemein ist festzustellen, dass die Ausführungen zum historischen Kontext sowohl im Spiezer als auch im Bürener Band kaum Objektbezug aufweisen und weitgehend zusammenhangslos den kunsthistorischen Betrachtungen vorangestellt sind. Dabei hat mit Neil MacGregor 1 gerade ein Kunsthistoriker eindrücklich unter Beweis gestellt, wie gewinnbringend es sein kann, Geschichte anhand von Objekten nachzuerzählen. Voraussetzung hierfür ist ein Umdenken in der narrativen Aufbereitung von (kunst-) historischem Fachwissen. Dabei soll es weniger um die Vermittlung von Jahreszahlen und Fakten als vielmehr um Einsichten in zeitbedingte Phänomene und in den Umgang mit Bauten und Objekten gehen. Am besten gelingt dies, wenn Geschichte oder eben Baugeschichte mit Geschichten erzählt wird. Für die Stadtkirche von Büren gäbe es eine solche Geschichte zu erzählen, die aussergewöhnlich und von biblischem Ausmass ist, eine Geschichte, wie sie sich Gottfried Keller nicht besser hätte ausdenken können. Im Jahre 1862 beschlossen nämlich die Bürener, den eher bescheidenen Turm ihrer Kirche hoch in den Himmel zu ziehen, damit man ihn auch vom Solothurner und Bieler Jura aus gut sehen konnte (S. 6 f.). In den 1960 er-Jahren indessen wollte man diesen Eingriff in die historische Bausubstanz rückgängig machen, indem man das spitze Blechdach des 19. Jahrhunderts durch einen Stufengiebelbau, wie man ihn aus alten Ansichten kannte, zu ersetzen gedachte. Allerdings war man nicht bereit, den Turm auf die ursprüngliche Höhe herabzusetzen. Bei den diesbezüglichen Bauarbeiten kam es dann zur Katastrophe. Da 1862 der Glockenstuhl unsachgemäss verankert worden war, stürzte der ganze Turm am 15. August 1963 zu Boden und brachte Teile des kunsthistorisch bedeutsamen Chores zum Einsturz.

Ob sich eine auf Narration ausgerichtete Darstellung aber tatsächlich auch für einen Schweizerischen Kunstführer eignet, bleibt eine offene Frage. Um eine Antwort darauf zu finden, müsste ein Bewusstsein für Zielpublikum und Lesepraktiken entwickelt werden. Richtet sich der Kunstführer überwiegend an ein Fach- oder an ein Laienpublikum? Wird er vor Ort gelesen? Welchen Sinn machen dann die detaillierten, mit Jahreszahlen unterfütterten Angaben zu den baulichen Veränderungen? Wird er als Vorbereitung für die Besichtigung des Baudenkmals gebraucht? Wie detailliert dürfen folglich die Ausführungen zum historischen bzw. kunstgeschichtlichen Kontext sein? Soll der Kunstführer gar der Unterhaltung, als Erinnerung an einen besonderen Ausflug dienen? Diese Fragen scheinen gegenwärtig unbeantwortet. Nichtsdestotrotz zeigt der Kunstführer zur Stadtkirche von Büren einen möglichen und durchaus sinnvollen Weg auf. Im zweiten Teil enthält er auf über zwanzig Seiten eine gut bebilderte Interpretation des Bildprogramms. Hier dient der Kunstführer als «Lesehilfe» für Darstellungen aus der Bibel und zeitgenössischen Fabeln, die der moderne Betrachter kaum mehr versteht. Oder hätten Sie etwa gewusst, dass ein Dudelsack spielender Esel für Lüsternheit, Wollust und Unzucht steht (S. 49)? Oder dass das Eichhörnchen, das einem Hund durch einen Sprung entkommt, den Christen ermahnt, er solle im Umgang mit bösen Mächten sich klug verhalten (S. 46)? Für die Entschlüsselung solcher Allegorien braucht es Fachwissen, das man idealerweise in einem guten Kunstführer vermittelt findet.

Zitierweise:
Philipp Zwyssig: Rezension zu: Schweizer, Jürg; Hüssy, Annelies: Schloss und Schlosskirche Spiez. (= Schweizerischer Kunstführer GSK 961–962). Bern: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK 2015. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 1, 2016, S. 130-132.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 1, 2016, S. 130-132.

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