A.-M. Dubler: Die Thuner Handfeste von 1264

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Titel
Die Thuner Handfeste von 1264. Wie das älteste Thuner Stadtrecht entstand, was es enthält und wie es sich fortentwickelte


Herausgeber
Anne-Marie, Dubler
Erschienen
Thun 2014: Burgergemeinde Thun
Anzahl Seiten
41 S.
Preis
ISBN
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Roland Gerber

Im Jahr 2014 jährte sich das Aussterben des im gesamten heutigen schweizerischen Mittelland begüterten Hochadelsgeschlechts der Grafen von Kiburg-Dillingen zum 750sten Mal. Aus diesem Anlass publizierte Peter Niederhäuser einen Sammelband mit Forschungen über dieses Dynastengeschlecht,1 dessen Bedeutung zwar immer wieder hervorgehoben wird, dessen Geschichte wegen der überschaubaren Zahl zeitgenössischer Quellen aber nur lückenhaft rekonstruiert werden kann. Eines der Dokumente, das in direktem Zusammenhang mit dem Aussterben der Kiburger entstand, ist die sogenannte Thuner Handfeste, datiert auf den 12. März 1264. Die Burgergemeinde von Thun nahm das Jubiläum zum Anlass, den Urkundentext nach dem erstmaligen Druck durch Jakob Rubin 1779 und der kommentierten Edition in der Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen (SSRQ) 2004 erneut zu publizieren. Die Herausgeberin Anne-Marie Dubler beschränkt sich bei der vorliegenden Edition denn auch nicht auf die wörtliche Wiedergabe des lateinischen Originaltextes mit moderner deutscher Übersetzung, sondern sie bettet die Entstehung des ältesten Thuner Stadtrechts in den historischen Kontext während des Übergangs der Stadtherrschaft von den Grafen von Kiburg- Dillingen an die Grafen von Neu-Kiburg (making). Daneben erläutert sie die Überlieferungsgeschichte der Handfeste (keeping) sowie Rezeption und Anpassungen des Urkundentextes infolge herrschaftlicher Veränderungen bis 1803 (using).

Bemerkenswert an der Thuner Handfeste ist jedoch weniger deren Rechtsinhalt, den Dubler auf das zähringische Stadtrecht von Freiburg im Breisgau von 1120 zurückführt, sondern der Umstand, dass die Urkunde von einer Frau besiegelt wurde. Es gehört zu den Charakteristika mittelalterlicher Adelsherrschaft, dass es nach dem Tod eines Herrschaftsinhabers, vor allem wenn keine erwachsenen männlichen Nachkommen vorhanden waren, zu Streitigkeiten unter den Erben kam. Direkt betroffen und meist auch Leidtragende solcher Konflikte waren die Witwen und deren unmündige Kinder. Dieses Schicksal ereilte auch Elisabeth von Chalon, eine Nachfahrin Kaiser Barbarossas, und deren Tochter Anna nach dem Tod Graf Hartmanns V. von Kiburg am 3. September 1263. Die Gräfin übte zwar – wenn auch nur für einige Monate – anstelle ihres unerwartet verstorbenen Ehemanns die Stadtherrschaft über Burgdorf und Thun aus. Nach dem Tod des letzten Kiburger Grafen Hartmann IV., des Onkels Hartmanns V., am 27. November 1364, riss dessen mächtiger Neffe Graf Rudolf IV. von Habsburg (der spätere König Rudolf I.) die gesamte kiburgische Hinterlassenschaft an sich. Dazu verheiratete er 1273 die Erbtochter Anna, nachdem sie volljährig geworden war, mit seinem Vetter Graf Eberhard I. von Habsburg-Laufenburg. Die beiden wurden damit zu den Begründern der Linie Neu-Kiburg. Elisabeth von Chalon hingegen zog sich auf ihren Witwensitz in Burgdorf zurück, wo sie sich bis zu ihrem Tod am 9. Juli 1275 mehrheitlich aufhielt.

Für Bürgerschaft und Rat der Stadt Thun bedeuteten die Auseinandersetzungen um das kiburgische Erbe eine Bedrohung ihrer im 13. Jahrhundert errungenen Freiheiten und Rechte. Sie nutzten deshalb die kurze Phase der selbständigen Stadtherrschaft Elisabeths von Chalon, um ihre aktuelle Rechtsstellung in einer repräsentativen Urkunde festhalten zu lassen. Alle nachfolgenden Stadtherren (insbesondere auch Bern nach dem Kauf von Thun 1384) mussten sich mit der Handfeste von 1264 auseinandersetzen, wenn sie das Stadtrecht nachträglich anpassen oder verändern wollten. Der «Makel», dass dieses von einer Frau verliehen wurde, die nur für kurze Zeit regierte, hatte jedoch zur Folge, dass Graf Eberhard I. die Handfeste im Unterschied zu jener von Burgdorf 1273 nicht bestätigte. Dies geschah erst im Jahr 1316 durch die Söhne Annas, jedoch ohne explizite Nennung Elisabeths von Chalon. Anne-Marie Dubler vermutet, dass die Erben die Grafenwitwe bewusst aus dem Entstehungszusammenhang des 1264 erstmals verschriftlichten Thuner Stadtrechts ausklammerten, um eine rein männliche Tradition von Graf Hartmann V. über Eberhard I. und dessen Nachfolger aus dem Haus Neu-Kiburg zu schaffen.

Insgesamt ist Anne-Marie Dubler eine überzeugende Einbettung von Entstehung, Überlieferung und Verwendung der Thuner Handfeste von ihrer Entstehung 1264 bis zu den politischen Umwälzungen während der Helvetik 1803 gelungen.

1 NiederhaÅNuser, Peter (Hrsg.): Die Grafen von Kyburg. Eine Adelsgeschichte mit Brüchen. Zürich 2015.

Zitierweise:
Roland Gerber: Rezension zu: Dubler, Anne-Marie (Hrsg.): Die Thuner Handfeste von 1264. Wie das älteste Thuner Stadtrecht entstand, was es enthält und wie es sich fortentwickelte. Thun: Burgergemeinde Thun 2014. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 1, 2016, S. 110-111.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 1, 2016, S. 110-111.

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