N. Knecht: Das Leben der Bergführerlegende Melchior Anderegg

Cover
Titel
Pionier und Gentleman der Alpen. Das Leben der Bergführerlegende Melchior Anderegg (1828 – 1914) und die Blütezeit der Erstbesteigungen in der Schweiz


Autor(en)
Knecht, Natascha
Erschienen
Zürich 2014: Limmat Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Roger Cornioley

«Man könnte schon gehen. Aber ich, Melchior Anderegg, gehe nicht.» Diese Worte pflegte der «King of the Guides» – wie er oft von seinen englischen Gästen genannt wurde – bei zweifelhafter Wetterentwicklung zu sagen; und damit war die Entscheidung über die Durchführung einer Bergtour definitiv gefallen.

Der Alpinist und Publizist Cunningham schrieb in Pioneers of the Alps: «Das Haslital hat eine grössere Zahl erstklassiger Führer hervorgebracht als irgendein anderer Ort im Berner Oberland, ja man möchte fast sagen als irgend ein anderer Ort in den Alpen!» Wer sich bis anhin für das Leben dieser berühmten Bergführerlegende Melchior Anderegg interessiert hat, musste sich die Informationen aus verschiedenen – meist englischsprachigen – Werken aus dem 19. Jahrhundert mühsam zusammensuchen. Das vorliegende Werk bildet eine eigentliche Biografie als Spiegel einer wichtigen touristischen Entwicklung in unserem Land. Über den alpinistischen Aspekt hinaus, und das macht Knechts Buch besonders lesenswert, bietet Andereggs Leben Einblicke in die Mentalitäts- und Tourismusgeschichte der Schweiz im 19. Jahrhundert. Etwas zu kurz kommen die Motivationshintergründe der britischen Alpinisten, die mit der Eroberung unberührter Gipfel ihr neues Freizeitvergnügen entdeckt hatten. Im viktorianischen Zeitalter kannten die Adligen und seine Lordschaft die Arbeit nur vom Hörensagen und waren kaum unvermögend. Die geschäftstüchtigen ersten Schweizer Bergführer wie Melchior Anderegg aus Meiringen, Christian Almer aus Grindelwald und Ulrich Lauener aus Lauterbrunnen erkannten bereits Mitte des 19. Jahrhunderts diese Einkommensquelle. Profund schildert die Autorin den gesellschaftlichen Wandel vom Misstrauen und Argwohn gegen die englischen «Eindringlinge» in den Bergtälern bis hin zur offenen Bettelei und Gauklerei in den bekannten Kurorten.

Minutiös recherchiert und überaus spannend zu lesen sind die Kapitel über die vielen, teilweise tollkühnen Touren des berühmten Meiringer Bergführers. Dem detaillierten und ausführlichen Buch-Anhang darf ein Alpinist mit Ortskenntnissen folgendes Beispiel entnehmen: 26. Juli 1872, Wanderung zur Glecksteinhütte (ob Grindelwald), 27. Juli 1872, Wettersattel, Besteigung des Rosenhorns, Abstieg über den Gauligletscher ins Urbachtal und bis Innertkirchen(!). Auch seine Reisen nach England, auf Einladung des British Alpine Club, werden von Knecht in einer noch nie dagewesenen Detailliertheit geschildert. So wird Melchior Anderegg, mitten in London, von seinen englischen Freunden absichtlich seinem Schicksal überlassen. Diese wollen den sagenhaft-untrüglichen Orientierungssinn des Bergführers testen, ob er in ihre Wohnung zurückfindet. Anderegg ist vor seinen mit der Kutsche fahrenden Freunden zurück in der Wohnung… Ein kleiner Wermutstropfen fällt leider auf den von Trix Krebs gestalteten und überladenen Buchdeckel: weniger Titel wäre mehr Überraschung beim Inhalt. Der ist jedoch, um im alpinistischen Fachjargon zu bleiben, eroberungswürdige Spitze.

Zitierweise:
Roger Cornioley: Rezension zu: Knecht, Natascha: Pionier und Gentleman der Alpen. Das Leben der Bergführerlegende Melchior Anderegg (1828 – 1914) und die Blütezeit der Erstbesteigungen in der Schweiz. Zürich: Limmat Verlag 2014. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 77 Nr. 2, 2015, S. 69 -70.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 77 Nr. 2, 2015, S. 69 -70.

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