G. Gerber-Visser u.a. (Hrsg.): Statistique de la Neuveville

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Titel
Statistique de la Neuveville au lac de Bienne. Canton de Berne par Jacob Georges Tschiffeli (1773 – 1843) maître-bourgeois


Herausgeber
Gerber-Visser, Gerrendina; Moser, Andreas
Erschienen
Porrentruy 2012: Société jurasienne d'émulation
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christoph Zürcher

Der Band verdankt seine Entstehung zunächst dem 700-Jahre-Jubiläum von Neuenstadt. Er ist aber auch sozusagen eine Frucht des an der Universität Bern bis 2014 gelaufenen Forschungsprojektes Nützliche Wissenschaft, Naturaneignung und Politik. Die Oekonomische Gesellschaft Bern im europäischen Kontext, zu dem die Hauptherausgeberin Gerrendina Gerber-Visser einen gewichtigen Beitrag geleistet hat mit ihrer 2012 erschienen Dissertation Die Ressourcen des Landes – Der ökonomisch-patriotische Blick in den Topographischen Beschreibungen der Oekonomischen Gesellschaft Bern (1759 – 1855).

Die Statistique de la Neuveville gehört zu den 48 regionalen historisch-topographischen Monografien, welche im Auftrag der Oekonomischen Gesellschaft Bern zwischen 1759 und 1855 erstellt wurden. Moderne wissenschaftliche Publikationen gibt es nur zwei. 1984 erschien die Beschreibung des Amtes Laupen (1779) von Rudolf Holzer, mustergültig und den Massstab setzend herausgegeben von Hans A. Michel. Und nun liegt als zweite wissenschaftlich edierte Monografie vor der hier besprochene Band. Die Statistique de la Neuveville und die Histoire et statistique de l’ancien Evéché de Bâle von Charles Ferdinand Morel (1813, moderne Edition 1959) sind die einzigen französisch verfassten und gedruckten grossen Arbeiten im Corpus der «Topographien » der Oekonomischen Gesellschaft. Da lag es nahe, dass die Société Jurassienne d’Emulation als Herausgeberin zeichnete, das Entstehen des Werks mit einem Beirat begleitete und es in ihre Reihe Rouge et Noir aufnahm. Dass die herausgeberische Arbeit durch zwei Fachkräfte aus dem alten Kantonsteil erfolgte und dass die Finanzierung nicht nur durch die Einwohnergemeinde La Neuveville, die Loterie Romande und den Kanton Bern, sondern auch durch Burger- und Einwohnergemeinde Bern und die Stiftung Ursula Wirz sichergestellt wurde, das wäre wohl vor 30 Jahren noch nicht möglich gewesen: ein Signal dafür, dass der Jurakonflikt seine einstige Virulenz verloren hat.

Der Band beginnt mit einem Vorwort von André Bandelier (Universität Neuenburg), das die politischen Wirren, in die Neuenstadt zwischen 1790 und 1915 geraten war, präzis zusammenfasst: von der Autonomie im Fürstbistum Basel über die Zuge hörigkeit zu Frankreich mit einem Zwischenspiel österreichischer Besetzung bis zum Übergang an Bern mit der Unterstellung unter die Landvogtei Erlach.

Die Einleitung befasst sich zunächst mit dem Autor: Jacob Georges Chiffelle wurde in Neuenstadt geboren, studierte Theologie und leitete ein Jugendinternat, bis er 1811 vom Präfekten des Département Haut-Rhin zum Maire von Neuenstadt ernannt wurde. Er behielt dieses Amt auch nach dem Abzug der Franzosen. Als vom Generalgouverneur des ehemaligen Fürstbistums Basel eingesetzter Statthalter von La Neuveville war er Mitunterzeichner der Vereinigungsurkunde des Jura mit dem Kanton Bern. 1822 bis 1832 war er Bürgermeister. 1825 reichte er die Statistique der Oekonomischen Gesellschaft ein, die ihm dafür einen Preis verlieh. Als Richter am bernischen Appellationsgericht, Grossrat und Ehrenburger der Stadt Bern germanisierte er seinen Namen in «Tschiffeli».

Es folgt ein kurzer Abriss der Geschichte der Oekonomischen Gesellschaft Bern und der von ihr angeregten topographischen und statistischen Beschreibungen bernischer Landvogteien / Ämter und Kirchspiele. Eine Beschreibung des Manuskripts und der herausgeberischen Eingriffe schliesst die Einleitung ab.

Die Statistique gliedert sich in sechs «cahiers» im Quartformat mit je eigener Paginierung. Das erste Heft beschreibt die Topographie (Bodenbeschaffenheit, Klima, See, Strassennetz), das zweite die Bevölkerung (Sitten, Sprache, Handel und Handwerk, Behörden und Verwaltung), das dritte und das vierte handeln von der Geschichte Neuenstadts, das fünfte und das sechste von der Landwirtschaft, die in Neuenstadt gleichzusetzen ist mit dem dominierenden Weinbau. Der Autor hält sich im Grossen und Ganzen an das Programm oder Frageschema, das die Oekonomische Gesellschaft 1824 für die Abfassung dieser Topographien vorgegeben hatte (anvisiert wurde ja eine flächendeckende Beschreibung des Kantons Bern, sodass sichergestellt werden musste, dass alle Arbeiten gleich aufgebaut waren). Tschiffeli behandelt allerdings das Schema frei und setzt die ihm gut scheinenden Schwerpunkte, zum Beispiel eben den Weinbau. Er zieht die ihm zur Verfügung stehenden Quellen und die Literatur über Neuenstadt umsichtig heran und erweist sich als scharfer Beobachter mit einem abgeklärten Urteil. Ein Beispiel möge genügen. Zum Gesundheitszustand der Bevölkerung meint er lakonisch: «Peu de personnes ont le moyen d’être malades imaginaires. Par le même motif d’une louable économie on ne va aux bains que pour cause de maladie réelle.» (S. 72) Die Statistique gehört zu den detailreichsten, am besten recherchierten und sorgfältigsten Topographien der Oekonomischen Gesellschaft, ist flüssig geschrieben, unterhaltsam und mit viel Gewinn zu lesen.

Eine ganz besondere Qualität dieser gediegenen Edition ist die Bebilderung, auf welche die Herausgeber grosse Sorgfalt verwendet haben. Es ist ihnen gelungen, mit über 40 zeitgenössischen Abbildungen (zur Stadt, zu einzelnen Bauten, zum Weinbau, zum Münzwesen usw.), die aus Archiven und Museen zusammengetragen wurden, den Inhalt der Statistique aufs Schönste zu visualisieren. In den Text eingeschoben sind ebenfalls Tabellen zum Münzwesen und zu Mass und Gewicht sowie eine Liste der Fürstbischöfe.

Die Anmerkungen sind verdienstlicherweise nicht am Schluss des Bandes in einem Anmerkungsteil zusammengefasst, sondern stehen dort, wo etwas zu erklären ist, was die Lektüre angenehmer und das Hin-und-her-Blättern überflüssig macht. Auf längere Exkurse zur Geschichte Neuenstadts wird richtigerweise verzichtet.

Das Quellen- und Literaturverzeichnis ist sehr umfangreich. Was besonders hervorzuheben ist: Die Herausgeber haben sich die Mühe gemacht, die von Tschiffeli in der Statistique verwendeten Quellen- und Literaturangaben beizubringen und nachzuprüfen.

Zitierweise:
Christoph Zürcher: Gerber-Visser, Gerrendina; Moser, Andreas (éd.): Statistique de la Neuveville au lac de Bienne, Canton de Berne par Jacob Georges Tschiffeli (1773 – 1843) maître-bourgeois. Préface de André Bandelier. Porrentruy: Société Jurassienne d’Emulation 2012. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 77 Nr. 2, 2015, S. 59-61.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 77 Nr. 2, 2015, S. 59-61.

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