M. Fata: Das Ungarnbild der deutschen Historiographie

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Titel
Das Ungarnbild der deutschen Historiographie.


Herausgeber
Fata, Márta
Reihe
Schriftenreihe des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde 13
Erschienen
Stuttgart 2004: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
David Tréfas

Das 1987 in Verbindung mit der Universität Tübingen gegründete Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde veranstaltete im Jahr 2000 eine Tagung zum Ungarnbild in der deutschen Historiographie. Nun ist ein umfangreicher Tagungsband erschienen, der 18 Aufsätze von 16 Autorinnen und Autoren vereint und der Frage nachgeht, ob dieses Ungarnbild von Emotionen, Stereotypen oder Mythen befrachtet oder im Gegenteil wertfrei ist. Von den Autorinnen und Autoren arbeiten mindestens zehn an deutschen Instituten, mehr als die Hälfte ist dazu offensichtlich ungarischer Abstammung, was den Befund im Beitrag von Georg Brunner bestätigt, wonach die schwer zu überwindende Sprachbarriere dazu führe, dass überwiegend gebürtige Ungarn sich mit ihrem Herkunftsland befassten.

Einen ersten Überblick über den Umgang der deutschen Historiographie mit Ungarn vermittelt die Herausgeberin Márta Fata. Sie stellt eine eigentümliche Vermischung von Selbst- und Fremdwahrnehmung der Ungarn fest und unterstreicht damit die Wichtigkeit der Meinung deutscher Historiker. Während die Ungarn sich mittels der Lektüre westeuropäischer Chroniken im Laufe des 13. Jahrhunderts von ihrer Verwandtschaft mit den Hunnen überzeugen liessen, übernahmen sie im Schatten der Türkenkriege auch den Paradigmenwechsel in der deutschen Geschichtsschreibung, als man die gefürchtete Kriegstüchtigkeit der Ungarn zur Tugend aufwertete und die bis dahin unzivilisierten Barbaren zu edlen Beschützern des Christentums hochstilisierte. Dieser Mythos hält sich teilweise bis zum heutigen Tage, wie aus dem Vorwort des Rektors der Universität Tübingen deutlich hervorgeht. Funktioniert die Übertragung von Mythen über die Kulturgrenzen hinweg einigermassen reibungslos, so beklagt der Mediävist János M. Bak, dass jüngere deutsche Forschungen zu ungarischen Herrscherpersönlichkeiten des Mittelalters in Ungarn kaum zur Kenntnis genommen wurden.

István Futaky und Márta Fata beschreiben in ihren Aufsätzen die Herkunft des Interesses der deutschen Geschichtsschreibung an Ungarn im 18. und 19. Jahrhundert, während Attila Pók die Wirkung Leopold Rankes auf die ungarische Geschichtsschreibung untersucht: Diese sei eher eine Widerspiegelung des sich verändernden Ranke-Images denn eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dessen Werken. In einer weiteren Studie stellt László Orosz an Hand des Briefwechsels zwischen Fritz Valjavec und Elemér Máljusz die Frage, welche Verbindungen die volkstumsgeschichtliche Richtung der deutschen Südostforschung in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkrieges zur ungarischen Forschung hatte. Zwar befürworteten beide Seiten eine Aufwertung der Geschichtswissenschaft als effizientes Kampfmittel für territoriale Revisionsbestrebungen, die Ungarn hielten aber durchwegs Distanz zum begeisterten NSDAP-Mitglied Valjavec. Der schwierigen Aufarbeitung der Beziehungen zwischen Ungarn und Deutschen während und nach dem Zweiten Weltkrieg widmet sich Krisztina Kaltenecker in der Untersuchung des Ungarnbildes in der grossen Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten, welche 1951 vom Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte in Auftrag gegeben worden war. Da damit die wissenschaftliche Untermauerung für das Anrecht der heimatvertriebenen auf die alte Heimat in einem allfälligen Friedensvertrag vorbereitet wurde, unterstellte der Bericht den Ungarn keine Bösartigkeit, dafür wurde der nationalsozialistische Einfluss auf die Volksdeutschen nicht gebührend hervorgehoben. Damit zeigt sich auch die Problematik der Instrumentalisierung der Geschichtswissenschaft durch die Politik, wie sie seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in beiden Ländern immer wieder betrieben wurde.

Hart ins Gericht mit seinen deutschen und ungarischen Kollegen geht Gerhard Seewann in seiner Sammelrezension von 223 Titeln zur ungarischen Geschichte. In Ungarn seien seit 1989 die nationalstaatlichen Scheuklappen wieder in eine Wachstumsphase eingetreten, und die deutschen Ungarnforscher würden diese Befunde häufig viel zu unreflektiert übernehmen.

Ähnlich schwer wiegt das Urteil von Holger Fischer, der basierend auf der Untersuchung von 14 neueren Gesamtdarstellungen zur ungarischen Geschichte feststellt, dass sich die ungarischen Autoren und Exilautoren durch eine Überhöhung der Bedeutung des eigenen Volkes auszeichneten, während die deutschen Autoren zu allzu nüchterner Emotionslosigkeit neigten.

Alles in allem stimmen die versammelten Aufsätze hoffnungsvoll, insbesondere was die deutschen Beiträge betrifft. Leider ist von prominenten ungarischen Historikern nur gerade Attila Pók vertreten, und auch er nimmt nicht pointiert Stellung zur Lage der ungarischen Geschichtswissenschaft. Die deutschen Vertreter zeichnen im Allgemeinen ein eher rückstaÅNndiges Bild von den ungarischen Kollegen, wobei die neu heranwachsende Historikergeneration in Ungarn noch nicht im Blickfeld erscheint. Trotz des fehlenden Ausblicks beinhaltet der Band mit umfangreichen Literaturlisten und Sammelrezensionen ein überaus wertvolles Hilfsmittel zur Beschäftigung mit der ungarischen Geschichte, insbesondere da auf die Gefahrenzonen deutlich hingewiesen wird. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Band auch in Ungarn zur Kenntnis genommen wird und jene Wechselwirkung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung in Ungarn stattfinden kann, welche die Herausgeberin in ihrer Einleitung für frühere Epochen beschreibt.

Zitierweise:
David Tréfás: Rezension zu: Márta Fata (Hg.): Das Ungarnbild der deutschen Historiographie. Schriftenreihe des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, Band 13. Stuttgart, 2004. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 3, 2005, S. 374-375.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 3, 2005, S. 374-375.

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