A. Pawliczek: Jüdische Dozenten an der Berliner Universität

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Titel
Akademischer Alltag zwischen Ausgrenzung und Erfolg. Jüdische Dozenten an der Berliner Universität 1871– 1933


Autor(en)
Pawliczek, Aleksandra
Erschienen
Stuttgart 2011: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
529 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Matthias Berg, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

In ihrer Untersuchung widmet sich Aleksandra Pawliczek den jüdischen Dozenten an der Berliner Universität zwischen Reichseinigung 1871 und Beginn der nationalsozialistischen Verfolgung 1933. Sie leistet mit ihrer Arbeit, dies sei vorangeschickt, einen wertvollen Beitrag sowohl zur Erforschung jüdischen Lebens in Deutschland wie auch zur Universitätsgeschichte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Der Buchtitel benennt die Problemstellung der Studie erfreulich präzise, Pawliczek fragt nach den Bedingungen für die Karrieren jüdischer Dozenten im Berliner Universitätsbetrieb, nimmt mithin den «akademischen Alltag» in den Blick und ordnet die Verläufe dieser Karrieren zwischen den Polen «Ausgrenzung und Erfolg» ein. Noch auf den ersten Seiten ihrer Arbeit, die aus einer an der Humboldt-Universität zu Berlin absolvierten Promotion hervorgegangen ist, benennt Pawliczek eines der wesentlichen Probleme ihrer Untersuchung. Die Konstruktion eines «jüdischen Hochschuldozenten » aus einer Vielzahl biographischer Konstellationen, aus disparaten Herkünften, Lebensläufen und Selbstbeschreibungen. Doch zu Recht verweist sie auf die Realität im universitären – und nicht nur in diesem – Bereich: «Wer Jude war, bestimmten die Nichtjuden.» (11) Ob jüdischen Glaubens, jüdischer Herkunft oder qua Fremdzuschreibung für jüdisch erklärt – die Folgen für akademische Karrieren waren (fast) gleich, die stete Reflektion dieses Problems jedoch darf nicht zu einer retrospektiven Verwischung der so begründeten Diskriminierung führen. In ihrer Einleitung erläutert Pawliczek die methodischen Grundlagen ihrer Arbeit klar und nachvollziehbar, ihre allgemeinere Einführung zu «Juden in der deutschen Gesellschaft des Kaiserreichs und der Weimarer Republik » allerdings fällt etwas zu knapp aus.

Der erste Abschnitt der Untersuchung umreisst den rechtlichen und statistischen Rahmen des Wirkens jüdischer Dozenten an der Berliner Universität, ausgehend von der allgemeinen Emanzipation im Kaiserreich und ihrer Auswirkung auf die Universitätsstatuten bis zu den Hochschulreformdebatten der 1920er Jahre. Wissenschaftspolitische Bestrebungen einer universitären Demokratisierung erfuhren zumeist wenig Gegenliebe von den Universitäten und verblieben rudimentär. Dass die Reformpläne jüdische Dozenten, aufgrund ihrer oftmaligen Stellung als Privatdozenten beziehungsweise andere Nichtordinarien, vielfach betrafen, wurde nach Pawliczek in den Debatten erstaunlich wenig thematisiert. Anhand des weithin untersuchten «Fall Spahn», der Berufung des Historikers Martin Spahn nach Strassburg, verdeutlicht Pawliczek, das ein «befürchteter » Katholizismus konfessionell orientierte Berufungsdebatten um 1900 mindestens ebenso wie eine etwaiges jüdisches Glaubensbekenntnis prägen konnte und illustriert zudem die nicht zuletzt jüdische Dozenten in den Blick nehmende Debatte um eine gewünschte respektive verwünschte «voraussetzungslose Forschung». Im folgenden, zentralen Kapitel ihrer Studie wendet sich Pawliczek der Entwicklung des Lehrkörpers der Berliner Friedrich-Willhelms-Universität im Untersuchungszeitraum zu. Ausführlich referiert sie Berufungsrechte und -verfahren sowie die allgemeine Entwicklung des Lehrkörpers, um schliesslich die Karriereverläufe jüdischer Dozenten in den einzelnen Fakultäten und Fächern nachzuzeichnen. Dank einer die Darstellung disziplinierenden Struktur entgeht dieser, auf einer eindrucksvollen empirischen Basis fussende Abschnitt der drohenden Gefahr, ob der Informationsfülle zum Steinbruch auszufransen. Im Wechselspiel zwischen statistischer Einordnung und einzelnem Beispiel, als kontrastierende «Kontrollgruppe» sich des Anteils katholischer Lehrender bedienend, gelingt Pawliczek die Nachzeichnung der oftmals von Zurücksetzung und Diskriminierung geprägten, gleichwohl vielfältigen akademischen Lebensläufe jüdischer Dozenten an der Berliner Universität. Mit der 1933 unmittelbar einsetzenden Verfolgung durch das NS-Regime endete dieses Kapitel deutscher Universitätsgeschichte

Doch belässt es Pawliczek nicht bei der Darstellung der blossen Ergebnisse, der statistisch messbaren Anteile von Erfolg und Ausgrenzung, sondern widmet sich in einem dritten Abschnitt ihrer Untersuchung den expliziten wie impliziten Kriterien und Begründungen für Berufungen. Der Wechsel zur qualitativen Analyse bedingt ein Zurücktreten der den statistisch geprägten Abschnitt formenden Struktur, nun stehen «Fallbeispiele » und Lebensläufe weitaus mehr im Mittelpunkt der Betrachtung. Der gewählten Kapitelüberschrift einer «Berufungsrhetorik» von Fakultäten und Ministerium entsprechend, kann Pawliczek durchaus überzeugend in einer Vielzahl von Fällen dokumentieren, wie rasch die behauptete Präferenz wissenschaftlicher Meriten mit antisemitischen, aber auch antikatholischen Vorurteilen konfligierte. Der vorwiegend quantitativ analysierende Hauptabschnitt der Arbeit wird durch die nun qualitativ argumentierende Darstellung in gewinnbringender Weise ergänzt, eine gewisse Straffung hätte diesem Abschnitt jedoch fraglos gut getan. Ein statistischer Anhang sowie ein Personenregister komplettieren die Darstellung. In ihrem kurzen, betont nüchternen Resümee bezeichnet die Autorin die jüdischen Dozenten an der Berliner Universität als «fast integriert». Doch auch wenn sich der universitäre Alltag kaum von dem der nichtjüdischen Lehrenden unterschied, kann an ihrer Diskriminierung als Juden bei Berufungen auf Lehrstühle ebenso kein Zweifel bestehen. Inwieweit der Berliner Universität als der Alma Mater der protestantisch geprägten Reichshauptstadt ein exemplarischer Rang zukommen kann, müssen Untersuchungen für andere deutsche Universitäten erweisen, die sich nicht zuletzt an der in dieser Studie vorgenommen Verknüpfung quantitativer und qualitativer Untersuchungsmethoden orientieren sollten. Mit ihrer anregenden, gut lesbaren Arbeit hat Alexandra Pawliczek die Messlatte hierfür hoch gelegt.

Zitierweise:
Matthias Berg: Rezension zu: Aleksandra Pawliczek, Akademischer Alltag zwischen Ausgrenzung und Erfolg. Jüdische Dozenten an der Berliner Universität 1871– 1933, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 730-732.

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