P. Rogger: Geld, Krieg und Macht

Cover
Titel
Geld, Krieg und Macht. Pensionsherren, Söldner und eidgenössische Politik in den Mailänderkriegen 1494–1516


Autor(en)
Rogger, Philippe
Erschienen
Baden 2015: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
359 S.
Preis
€ 59,00
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Michael Jucker, Universität Luzern

Die aktuelle Debatte in der Schweiz um die Deutungshoheit der Schweizer Geschichte der Vormoderne nahm insbesondere im letzten Jahr eigenartige und absurde Auswüchse an. Politiker der rechtsnationalen Sparte warfen Historikern vor, sie würden Geschichte missdeuten, um die Schweiz in die Europäische Union zu führen. Gerade die Diskussion um das Jubiläum der Schlacht von Marignano von 1515 verstärkte diese Debatten noch. In solchen Zeiten ist es wohltuend, wenn sachlich fundierte, empirisch belegte und ausgereifte Bücher zum Thema erscheinen. Die vorliegende Berner Dissertation gehört zu ihnen. Philippe Rogger untersucht die Verbindungen zwischen Pensionenbezügern, den Söldnern und den militärischen Verstrickungen der Eidgenossenschaft im Zeitraum der norditalienischen Kriege. Die Eidgenossenschaft respektive ihre Führungsschicht und Militärunternehmer waren auf Expansionskurs. Die Gewaltmärkte und Kriegsunternehmungen der umliegenden Mächte benötigten Söldner aus eidgenössischem Gebiet. Gelder in Form von öffentlichen und geheimen Pensionen und weitere verdeckte Zahlungen flossen allenthalben in die Eidgenossenschaft. Die Gegenleistung waren Söldner. Die ältere Geschichte deutete diese Hochphase als Heldenzeit, als Streben nach Macht und eng gekoppelt daran nach der Niederlage in Marignano um 1515 gegen die französischen Truppen als konsequente Umkehr zur Neutralität. Davon sind die neuere historische Forschung und somit auch der Autor weit entfernt, was oben genannte Debatten befeuerte. Rogger macht deutlich, dass die Interessenslagen der verschiedenen eidgenössischen Orte und der Soldunternehmer unterschiedlicher nicht hätten sein können. Selbst einzelne Orte waren mit verschiedenen Machthabern vernetzt, verpflichteten sich gegenüber mehreren Herrschaften. Von einer gemeinsamen Aussenpolitik kann aufgrund der Verstrickungen der Pensionennehmer und Ratsmitglieder auch im frühen 16. Jahrhundert nicht die Rede sein. Gekonnt zeigt Rogger auf, dass die fliessenden Pensionen aktiven politischen Widerstand und Protest auslösten. Dabei ging es, so Rogger, um „politische, herrschaftliche und ökomonomische Ressourcen zwischen Peripherie und Zentrum“ (S. 50). Der Staat wurde verstanden als Ressourcenverwaltung und Zugang zu Ressourcen. In Pensionsverboten der einzelnen Orte wurde versucht – wenn auch meist vergeblich –, diese Ressourcenzugänge zu reglementieren, sie einzuschränken oder gänzlich zu verbieten. Denn wer das subtile Gleichgewicht von Ressourcenallokation und -verteilung durcheinanderbrachte und beispielsweise zu viel in die eigene Tasche wirtschaftete, geriet von unten unter Druck, da schliesslich auch die ländliche Bevölkerung von Patronageressourcen und deren Distributionen profitierte. Forderungen nach mehr Mitsprache, neuen Verteilmodi und Partizipationen wurden laut. Am deutlichsten wird dies am Beispiel des Zürcher Bürgermeisters Hans Waldmann, der Pensionen aus habsburgischen wie französischen Kassen bezog und seine Macht als Emporkömmling gnadenlos und ostentativ auslebte. Dies kostete ihn 1489 dann auch das Leben: Nach Revolten auf der Zürcher Landschaft wurde er hingerichtet. Man könnte diese Unruhen durchaus als Vorspiel für die weiteren Revolten, welche Rogger untersucht, heranziehen: Nämlich die Pensionenunruhen in Bern, Luzern, Solothurn und Zürich, die auf die Schlachten von Novara (1513) und Marignano folgten.

Rogger geht in seiner Dissertation zahlreichen, teils bislang unbearbeiteten Quellen nach, vornehmlich sind dies Gerichtsakten, Ratsprotokolle und Pensionenlisten. Diese behandelt er mit der nötigen Sorgfalt, denn die Aussagen von Zeugen und Angeklagten sind selbst Geschichten von vertuschter Korruption und Verschleierung. Rogger interessiert sich dann auch weniger für die Aussagen vor Gericht als vielmehr für die klientelistischen Beziehungen von Soldunternehmern, Pensionenempfängern und Anführern der Aufstände, die aus den Gerichtsakten rekonstruierbar sind. Konsequenterweise zieht er die viel gerühmte Netzwerkanalyse als Untersuchungsmethode heran. Hervorragend gelingt es ihm dadurch, die Beziehungsnetze aufzuzeigen, auch mittels anschaulicher Graphiken und Soziogramme, die er zu Recht „photographische Momentaufnahmen“ nennt. Darüber hinaus widmet er sich der Rolle der „Broker“: Dies waren umtriebige Vermittlerfiguren, die den Ressourcenaustausch vor Ort organisierten und die Kontakte zwischen Patron (fürstliche Geldgeber) und Klient (eidgenössische Pensionenempfänger) herstellten und Aufrecht erhielten. Ihnen kam jedoch bisweilen selbst die Rolle lokaler Patrons zu. Auch sie kamen während der Unruhen unter Druck und vor Gericht, weshalb heutige Historiker überhaupt erst Kenntnisse von ihnen haben. Umso erfreulicher ist, dass sie hier eingehend untersucht und in den Soziogrammen berücksichtig werden.

Kritisch anzumerken gilt an der schön gestalteten (hervorgehobene Kernaussagen leiten den Leser gekonnt), flüssig geschriebenen Dissertation, dass der Forschungsstand und die Literaturbasis nicht überall vollständig sind (S. 30–43) und Begrifflichkeiten wie Staatlichkeit, Macht, Gewaltmärkte und Soldmärkte nicht wirklich differenziert werden. Nicht alles, was Rogger darlegt, ist neu. Einzelaspekte hat man vermutet oder waren belegt. Doch vieles ist nun stärker auf quantitative Daten abgestützt und einprägsam veranschaulicht. Die nicht mehr hintergehbaren Resultate liegen nun aufgrund einer gekonnten Syntheseleistung (S. 317–343) und einer allgemeinen Differenzierung der politischen Situation nach 1500 vor. Wenn der Autor das Bild einer enorm vernetzten, von ausländischem Geld abhängigen und sich zum Vorteil einer eng mit dem Ausland verzahnten militärischen Führungsgruppe hin entwickelnden Eidgenossenschaft zeichnet, hat er natürlich Recht: Denn nach den Unruhen flossen die Gelder munter weiter. Das alles verwirrt natürlich konservative Politiker und traditionelle Historiker, die dem gemeineidgenössischen Heldentum und einer angeblichen Neutralität der Eidgenossen mehr abgewinnen konnten und offensichtlich immer noch können.

Redaktion
Veröffentlicht am
03.05.2016
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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