G. Spuhler: Carl Albert Looslis

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Titel
Anstaltsfeind und Judenfreund. Carl Albert Looslis Einsatz für die Würde des Menschen


Herausgeber
Spuhler, Gregor
Reihe
Veröffentlichungen des Archivs für Zeitgeschichte ETH Zürich 8
Erschienen
Zürich 2013: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
138 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sabina Bossert

Der Sammelband enthält Beiträge der Ende 2009 im Literaturhaus Zürich durchgeführten Tagung «Schweizerische Konzentrationslager» und «Die schlimmen Juden» – Carl Albert Loosli und sein Einsatz für die Würde des Menschen. Carl Albert Loosli (1877–1959), geboren als uneheliches Kind, der Mutter entfremdet, wuchs bei einer Pflegemutter auf, die jedoch früh verstarb. In Folge verbrachte Loosli mehrere Jahre in verschiedenen Waisenhäusern und Jugendanstalten, was den ersten Schwerpunkt seines späteren politischen Engagements erklärt: den Kampf gegen das Anstaltswesen und die Administrativjustiz in der Schweiz. Der zweite Schwerpunkt war sein Eintreten für die Juden und gegen den Antisemitismus. Die Verbindung zwischen diesen politischen Feldern sieht Gregor Spuhler, Herausgeber des Sammelbandes, im «Einsatz für die Würde des Menschen» (S. 10). Durch die Beschäftigung mit beiden Schwerpunkten will das Buch Motive, Strategien und Wirkung von Looslis gesellschaftspolitischem Engagement aufzeigen und dadurch eine Grundlage für die weitere Beschäftigung mit Loosli bieten.

Wiederholt wird auf die siebenbändige Werkausgabe (Rotpunktverlag) sowie die noch nicht abgeschlossene Biographie in vier Bänden (Chronos) hingewiesen, die die zukünftige Auseinandersetzung mit Loosli erleichtern und auf die auch Erwin Marti in seinem Artikel hinweist. Marti beschreibt die oft auf Halbwissen beruhende, mit Vorurteilen behaftete Beschäftigung mit Loosli, dessen entscheidende Qualität «in der Erkenntnis seiner Vielseitigkeit, seines Engagements in diversen Bereichen gesellschaftlichen Lebens» (S. 23) liegt. In der Folge geht Marti auf biographische Eckdaten im Leben Looslis ein und beschreibt seinen Kampf gegen die «Administrativjustiz» im Sinne des unterdrückten Volkes als aussichts- und glücklosen. Nicht nur dagegen setzte Loosli sich ein, sondern auch gegen die «rechtskonservativen Zuarbeiter des Faschismus und des Nationalsozialismus » (S. 29), deren Politik in eine Diktatur münde.

Sonja Furger stellt die Parteinahme Looslis für Fritz Gerber während der «wachsende[n] öffentliche[n] Kritik an dessen Anstaltsregime» (S. 33) dar, die zumindest in Teilen im Widerspruch zu seinen früheren Veröffentlichungen stand. In ihrem Artikel geht sie auf die Chronologie des Konflikts und die Beweggründe für Looslis Unterstützung einer Institution ein, in der «Internierte als ‘Staatssklaven’ Zwangsarbeit leisten mussten und Ohrfeigen und Kahlschnitt […] zur gängigen Strafpraxis zählten» (S. 33). Zwar plädierte Gerber in seinem «Reformwerk » (S. 37) für einen humanen Umgang mit Anstaltsinsassen, in der Realität herrschten aber «Drohungen, Gewalt und Diffamierungen» (S. 37/38), die als «systembedingt» (S. 38) beschrieben wurden – Zustände, die Gerber zu vertuschen versuchte. Looslis Parteinahme hierfür lässt sich als Eintreten für eine eigentlich «gute Sache» (S. 46) erklären: «Um die reformerischen Positionen nicht noch mehr zu schwächen, musste der gute Ruf der Anstalt Uitikon als Modellanstalt unter allen Umständen gewahrt werden» (S. 46).

Auch im Text von Loretta Seglias geht es um Looslis Haltung zum Verdingwesen in der Schweiz. Nach einer Kurzbiographie und ausführlichen Erläuterungen zum schweizerischen Verdingwesen verhandelt sie Looslis Kritik daran. Zwei konkrete Missbrauchsfälle waren der Anlass für sein öffentliches Engagement, das sich nicht nur gegen die Fremdplazierung richtete, sondern gegen den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Allgemeinen. Mit deutlichen Worten wendete er sich gegen die Verstaatlichung von Kindern und setzte dieser das Konzept der Vermenschlichung des Systems gegenüber – verbunden mit einer «gesamtschweizerisch geregelte[n] Kontrolle der Pflegekinder» (S. 57). Trotz nicht immer stringenter Argumentation war Looslis Einsatz erfolgreich, und seine Denkanstösse sind teilweise bis heute aktuell.

Auf die komplexe Thematik der «Administrativjustiz» und Looslis Artikel Schweizerische Konzentrationslager und «Administrativjustiz» geht auch Tanja Rietmann ein. Sie gibt nicht nur einen historischen Abriss der administrativen Versorgung in der Schweiz, sondern klärt auch, wieso Loosli «eine solch drastische Begrifflichkeit wie ‘schweizerische Konzentrationslager’» (S. 65; wobei zu beachten ist, dass diese während der 1930er Jahre noch nicht mit den nationalsozialistischen Vernichtungslagern gleichgesetzt wurden) verwendet und welche öffentlichen Reaktionen darauf zu beobachten waren. Rietmann sieht Looslis Verdienst darin, die Öffentlichkeit über Missstände informiert und Reformen eingefordert zu haben. Allerdings – so resümiert sie – kam sein Einsatz zu früh, da damals der fruchtbare Boden für seine Kritik fehlte.

Daniel Gerson beschäftigt sich mit C. A. Looslis Kampf gegen den Antisemitismus. Loosli steht bei ihm mit seiner Schrift Die schlimmen Juden! im Mittelpunkt. Gerson skizziert das schweizerisch-jüdische Verhältnis, wie Loosli es kennengelernt hat, und würdigt seine Rolle im christlich-jüdischen Dialog. Motiviert durch den Berner Prediger und Kantor Josef Messinger verfasste er Die schlimmen Juden!, in der er ein «Zusammengehen von Antisemitismus und antidemokratischen Bewegungen » (S. 86) feststellte. Auch wenn seine Schrift (auch von jüdischer Seite) durchaus umstritten war, bereitete sie doch den Weg zu einem Dialog, der schliesslich in die Christlich-Jüdische Arbeitsgemeinschaft mündete. Loosli, so Gerson abschliessend, «gehörte zu den wenigen europäischen Denkern, die vor dem Völkermord an den Juden und den Millionen Toten im Zweiten Weltkrieg diese Zusammenhänge erkannt und öffentlich vor den katastrophalen Folgen gewarnt haben» (S. 93).

Der Berner Prozess gegen die Protokolle der Weisen von Zion steht im Zentrum des Textes von Michael Hagemeister. Loosli war an dem Prozess als einer von drei Gutachtern beteiligt. Nach grundlegenden Informationen über die Protokolle, die eine jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung implizieren, und einem Abriss zum Berner Prozess, geht Hagemeister auf Looslis Gutachten ein. Die Rolle Looslis beschreibt er als tragisch und gespalten zwischen der offiziellen Aufgabe «Entstehung und Inhalt der Protokolle mit wissenschaftlichen Mitteln sorgfältig zu erforschen» und seiner eigenen Absicht, «die Protokolle zu diskreditieren und die breite Öffentlichkeit auf antisemitische Propaganda aufmerksam zu machen» (S. 111).

Der abschliessende Text von Martin Uebelhart behandelt Loosli als Erziehungs- und Bildungstheoretiker im Sinne einer «demokratischen Erziehung» (S. 117) und geht nach einer Hinführung zum Konzept der Demokratischen Erziehung über John Dewey bis zur Frankfurter Schule auf Looslis Kritik an der antiautoritären Erziehung ein. Das Ziel der Erziehung nach Loosli muss sein, den Menschen «lebenstauglicher» (S. 127) zu machen, die Schule soll «politisch, konfessionell und kulturell neutral» (S. 130) sein und Offenheit vermitteln. Looslis Vermächtnis liegt für Uebelhart in den zwei Schlüsselbegriffen «mündige Mitmenschlichkeit sowie Zivilcourage» (S. 133).

Der Sammelband schafft es, Motive und Strategien von Looslis gesellschaftspolitischem Engagement zu beleuchten und die Aktualität von Looslis Schriften anschaulich aufzuzeigen. Beide Betätigungsfelder, Loosli als «Anstaltsfeind und Judenfreund», werden skizziert, wenn auch Looslis Haltung zu den Juden im Vergleich eher zu kurz gekommen ist. Trotzdem bietet das Buch einen wichtigen Beitrag und eine wertvolle Grundlage für eine weitere historische Beschäftigung mit
Carl Albert Loosli.

Zitierweise:
Sabina Bossert: Rezension zu: Gregor Spuhler (Hg.), Anstaltsfeind und Judenfreund. Carl Albert Looslis Einsatz für die Würde des Menschen, Zürich: Chronos Verlag, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 2, 2014, S. 339-341.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 2, 2014, S. 339-341.

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