M. Ch. Ruloff: Lehrerinnen und Lehrer in der Schweizer Presse

Titel
Lehrerinnen und Lehrer in der Schweizer Presse (1800 bis 1830).


Autor(en)
Christian Ruloff, Michael
Reihe
Schriftenreihe Bibliothek am Guisanplatz 55
Erschienen
Bern 2014: Bibliothek am Guisanplatz
Anzahl Seiten
174 S.
Preis
URL
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Sabina Enzelberger, Institut für Soziologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Michael Christan Ruloff untersucht auf Basis einer umfangreichen Quellenanalyse die Darstellung von Lehrerinnen und Lehrern in der Schweizer Presse zwischen 1800 und 1830. Zielsetzung ist, Schlüsse auf den Wandel der Relevanz von Schule, Lehrerberuf sowie Volksbildung in dieser Epoche im Zuge der Entwicklung der Schweiz zum modernen Bundesstaat zu ziehen. Da es für das beginnende 19. Jahrhundert kaum vertiefte bildungshistorische Analysen zur Institutionalisierung der Schule und sozialen Situation von Lehrpersonen gibt, leistet Ruloff Pionierarbeit.

Als Quellenmaterial fungieren sämtliche Exemplare dreier Schweizer Zeitungen: der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), des Solothurnischen Wochenblattes (SW) und des Berner Hinkenden Boten (HB), eines von „kleinen Leuten“ mit niedriger Bildung viel gelesenen Jahreskalenders (S. 21ff.). Ruloff analysiert alle Stellenankündigungen und -gesuche von Schulen und Pensionen, Unterrichtsangebote von LehrerInnen, Schulbuchanzeigen und Schuldverzeichnisse sowie alle redaktionellen Inhalte, die sich auf den Lehrerberuf, dessen Aufgaben, den Fächerkanon, den Unterricht, die Ausbildung, die Bezahlung und das soziale Ansehen von LehrerInnen beziehen (S. 31, 49f.). Bevor etwas näher auf die Ergebnisse dieser interessanten Studie eingegangen wird, muss jedoch angemerkt werden, dass die Lesefreude durch sehr viele, auch unnötige inhaltliche Redundanzen, aber auch Wiederholungen bezüglich der Wortwahl etwas eingeschränkt wird. Eine prägnantere und dichtere Darlegung wäre wünschenswert.

In Kapitel 1 erfolgt eine sogenannte „theoriegeleitete Auseinandersetzung“ (S. 14) mit der Entwicklung der Volksbildung. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Einbindung in ein Theoriegebäude, sondern um die Bezugnahme auf historische Forschungsergebnisse zum Einfluss der sozioökonomischen und politischen Entwicklung auf die Volksbildung (S. 14). Nach Ruloff spielen die zentralistische Helvetische Republik (1798–1803) und der Liberalismus der 1820er-Jahre eine große Rolle. Der Staat habe eine allgemeine Volksbildung über ein staatliches Volksschulwesen, Schulpflicht, Seminarausbildung und optimierte LehrerInnenbezahlung angestrebt. Hiermit habe er Ziele wie verbesserte Regierbarkeit des Volkes, Verbreitung liberaler Ideen, ein „starkes und identitätsstiftendes Vaterland mit patriotischen Bürgern“ (S. 14), eine schlagkräftige Armee und Wohlstand des Landes durch ein für die industrielle Marktwirtschaft gebildetes Personal verfolgt (S. 15). Parallel entwickelte sich im Volk ein „Bewusstsein über die Bedeutung von Bildung“ hinsichtlich der Verwertungschancen am neuen Arbeitsmarkt (S. 15f., S. 37f.). Die meisten Reformbestrebungen wurden allerdings erst später umgesetzt.

An dieser Stelle wünscht man sich eine ausführlichere, systematischere Auseinandersetzung mit dem historischen Wandel der Funktionen von Schulbildung und Lehrerberuf – wie Qualifikations- und Integrationsfunktion – für Staat, Gesellschaft und Individuum in Abhängigkeit von den jeweiligen politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen. Nur in diesem Zusammenhang lassen sich zeitspezifische Bedeutsamkeit von Schule oder Rahmenbedingungen des Lehrerberufs adäquat analysieren.

In Kapitel 2 verweist Ruloff darauf, dass, anders als lange Zeit in der Forschung vermittelt, Schulumfragen schon für den Übergang zum 19. Jahrhundert eine beginnende Institutionalisierung der Stadt- und Landschulen belegen (S. 35ff.). In den Kapiteln 3 bis 5 stellt Ruloff folgende Ergebnisse seiner Quellenanalyse vor: In den Stellenanzeigen und -gesuchen wird fast nur von männlichen Lehrpersonen gesprochen, Frauen spielen hier also kaum eine Rolle. Taucht in Bezug auf männliche Lehrkräfte der Terminus „Schulmeister“ auf, dann ist dies lediglich in Schuldverzeichnissen der Fall (S. 57, S. 70f., S. 73). Der Begriff „Schulmeister“ ist weitgehend negativ besetzt. GymnasiallehrerInnen werden besser entlohnt als DorfschullehrerInnen, die mit finanziellen Problemen kämpfen (S. 52). Als Qualifikationen sind bei Gymnasial-, Realschul- und SeminarlehrerInnen eine wissenschaftliche und pädagogische Fachlehrerausbildung erwünscht. Anzeichen für eine Institutionalisierung der Elementarschullehrerbildung sieht Ruloff in den zunehmenden Erwartungen bezüglich spezifischer Ausbildungen und Prüfungen und in der zurückgehenden Nachfrage nach Geistlichen als LehrerInnen (S. 54ff.). Der inserierte (breite) Fächerkanon ist vor allem auf Berufsvorbereitung ausgerichtet. In der Mädchenausbildung sind „weibliche Arbeiten“ vorrangig (S. 55f., S. 65ff.). Die Anzeigen, die von kompetenten, gebildeten, geachteten Männern – gemeint sind vor allem Gymnasiallehrer – sprechen, bezeugen ein „positives“ Lehrerbild. Einzig in Schuldverzeichnissen tauchen Lehrer beziehungsweise „Schulmeister“ – neben Handwerkern – „in einem pejorativen Zusammenhang“ auf (S. 71ff.). Die häufigen Inserate zu schulbezogener Weiterbildungsliteratur zeigen LehrerInnen als „kaufkräftiges, belesenes und interessiertes Publikum“ (S. 76f.). Inwieweit man aus Selbstdarstellungen von Schulen und LehrerInnen auf ein positives Image auch in der Gesellschaft schließen kann, wird von Ruloff leider nicht näher erörtert. Auch die Berichterstattung der NZZ habe ein „sehr positives“ Bild vom Lehrerberuf vermittelt. Sie wies ihm im Zusammenhang von guter Volksbildung und Wohlfahrt große Relevanz zu (S. 83ff.) und plädierte für höhere Besoldung (S. 87ff.).

Die wenigen Inserate im Solothurner Wochenblatt spiegeln nach Ruloff „zweifelsohne ein positives“ Bild von LehrerInnen (S. 110), da diese gezielt gesucht werden (S. 100ff.). Die Selbstpräsentationen von Schulen vermitteln den Eindruck eines „aktiven, engagierten, gebildeten und ambitionierten“ Lehrpersonals (S. 110). Allerdings finden sich Lehrkräfte wie in der NZZ auch in Schuldinseraten (S. 74, 111ff.). Die wenigen Aussagen zum Lehrerbild im Berichtsteil – allerdings auf historische Personen bezogen – sind „fast ausnahmslos“ positiv (S. 118f.). Die Vorstellungen zu Bildung und Erziehung sind – anders als in der NZZ – „sehr konservativ“ geprägt, da den Eltern diesbezüglich Vorrang gegenüber der Schule eingeräumt wird. Erziehungsziel ist Unterordnung (S. 118ff.).

LehrerInnen im „Hinkenden Boten“ – „fast immer als Schulmeister“ bezeichnet – gelten meist als geachtete, gebildete Personen, als solche, die Moral vermitteln und auch Erwachsene belehren sollen. Im aufklärerischen Sinne hat schulische Bildung Bedeutung für ein besseres Leben. Dadurch wird der Lehrerberuf positiv bewertet, aber es werden auch Probleme wie Geringschätzung durch die Eltern, ungenügende Entlohnung sowie Ungebildetheit aufgezeigt (S. 126ff.). Ruloff argumentiert hier, dass Letzteres nicht gleichzusetzen ist mit negativer Darstellung der LehrerInnen, vielmehr werde damit die ungenügende Entlohnung kritisiert, die wiederum ungebildete Bewerber für LehrerInnenstellen zur Folge hat (S. 137). So liest man von Dörfern „wo man lieber zum Lob und Preis Gottes eine Orgel mit grossen Kösten in die Kirche schafft, […] aber seinem Schulmeister einen elenden Lohn bezahlt, und also auch seine Kinder elend unterrichten lässt, ebenfalls zum Lob und Preis Gottes“ (S. 138). Man fragt sich allerdings, inwieweit die Aussage Ruloffs, dass die Schulmeister „grösstenteils sehr positiv dargestellt“ (S. 140) werden, in Einklang mit dem Ergebnis steht, dass Schulmeister sich beschweren, weil man sich über sie als „unterbezahlte Trottel“ lustig macht (S. 141).

Ruloff stellt eine Inkonsistenz von liberalen und konservativen Positionen im HB fest. Unter „liberalen“ Vorstellungen subsumiert er die Betrachtung des Schulmeisterberufs als nützlichen Beruf, Bildung als Voraussetzung für die Verringerung von Armut und Kriminalität, die Werbung für den Schulbesuch und bessere Besoldung. Als „konservative“ Position sieht er die Ursachenzuschreibung hinsichtlich Armut an das Individuum (S. 141f.). Dem ist entgegenzusetzen, dass wenn Arme als arbeitsunwillig und unmoralisch verurteilt wurden, Armut nicht mehr als unabänderliches Schicksal gesehen wurde – aus der heutigen Perspektive eine eher fortschrittliche Position. Nun gilt Erziehung zur Arbeit als Instrument gegen Armut. Über Schulbildung soll jedes Gesellschaftsmitglied zur ökonomischen Funktionstüchtigkeit für das moderne Erwerbsleben befähigt werden, indem es eine moderne dynamische Arbeits- und Lebenshaltung beziehungsweise das individuelle Leistungsprinzip verinnerlicht. Ziel war wiederum Mehrung des Wohlstandes des Landes und hierüber Steigerung der Macht des Staates.

In Kapitel 6 resümiert Ruloff, dass seine Zeitschriftenanalyse eine „unterschiedliche Zusammensetzung des Lehrerstandes an lokal sehr unterschiedlichen Schulen“ ergibt (S. 146) und gleichzeitig die bisherigen Forschungsergebnisse – also Bilder schlecht besuchter, chaotischer Landschulen, eines allseits unbeliebten, ungebildeten Lehrers im 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts – in Frage stellt. Zwischen 1800 und 1830 werden LehrerInnen „kontinuierlich aufgewertet“ (S. 146), die sozioökonomische Stellung bessert sich mancherorts durch Realisierung von Mindestlohn, Pensionszahlungen und Lehrerseminaren. Eine staatlich institutionalisierte Ausbildung wird für die angestrebte Volksbildung als immer wichtiger erachtet. Gymnasial-, Realschul-, Privatschul- und StadtschullehrerInnen werden vorwiegend positiv dargestellt (S. 146). Leider fehlt der Analyse in den vorangestellten Kapiteln eine solche systematische, explizite Differenzierung zwischen den LehrerInnen der verschiedenen Schularten, was die Rezeption erschwert.

Insgesamt betrachtet liefert Ruloff mit seinem Buch eine wichtige Ergänzung zur bestehenden sozialgeschichtlichen Erforschung der gesellschaftlichen Stellung und Professionalisierung von LehrerInnen im deutschsprachigen Raum zu einer Zeit, die durch neue Reformbewegungen im Schulbereich gekennzeichnet war.

Redaktion
Veröffentlicht am
27.05.2015
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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