B. Herrmann: Umweltgeschichte

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Titel
Umweltgeschichte. Eine Einführung in Grundbegriffe


Autor(en)
Herrmann, Bernd
Erschienen
Heidelberg 2013: Julius Springer
Anzahl Seiten
343 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Florian G. Mildenberger

Spätestens mit dem Erscheinen der «Weltgeschichte der Ökologie» Joachim Radkaus und der Eröffnung eines Rachel Carson Centers an der Ludwig Maximilians Universität München ist die Erforschung «grüner Gedanken» in der deutschsprachigen akademischen Welt angekommen und respektabel geworden. Doch was genau soll die nur vage umrissene und vielfach interdisziplinär verortete Umweltgeschichte eigentlich sein? Mit dieser Frage eröffnet der emeritierte Professor für Anthropologie in Göttingen Bernd Herrmann sein vorliegendes Einführungswerk. Umweltgeschichte ist für Herrmann ein Teil der Humanökologie – Historiker dürfen demnach Zaungäste sein, die willkommen sind, aber nicht die Hauptakteure mimen. Ohne die ökologischen Debatten seit den 1960er Jahren sei Umweltgeschichte nicht denkbar, doch verlange die Beschäftigung mit ihr auch die Kenntnis der damaligen und aktuellen naturwissenschaftlichen Forschungsmethoden und nicht nur die Präsentation kultur- oder sozialhistorischer Entwicklungen. Damit wirft Herrmann indirekt die Frage auf, welche relevanten Leistungen in diesen Bereichen durch die Wissenschaftsgeschichte bislang erbracht wurden – und beantwortet dies dadurch, dass er kein Kapitel hierüber in sein Buch aufgenommen hat. Es gibt eben noch (fast) nichts auf diesem Gebiet, um so grösser wären die Chancen, sofern sich Historiker Herrmanns Überlegungen anschliessen wollten. Dies ist aber eher unwahrscheinlich, gleichwohl ist die Lektüre des Buches Historikern sehr zu empfehlen, weil sie so ersehen könnten, welche Möglichkeiten, Chancen und Risiken eine Geschichtsschreibung bietet, die sich offenbar ganz gut ohne die Jünger Clios formiert (hat).

Herrmann nennt als zentralen Ansatzpunkt für Umweltgeschichte die Hinterfragung, historische Untersuchung und heutige Betrachtung von Biodiversität. Dieser Begriff wurde bereits Ende der 1980er Jahre in die Debatte eingeführt und gilt heute als wichtigster Oberbegriff, um Änderungen in der Umwelt und ihre Konsequenzen zu benennen. Herrmann verbindet diese moderne Konzeption mit der Frage, was «Umwelt» früher bedeutete. Er rezipiert und interpretiert Autoren wie Jakob v. Uexküll (1864–1944) oder August Thienemann (1882–1960), bezieht die Philosophen Auguste Comte (1798–1857) und George Berkeley (1685–1753) ein. Die trennenden Grenzen und verbindenden Linien zwischen «Natur» einerseits und «Umwelt» andererseits werden klar herausgestellt. Sodann stellt der Autor anhand bestimmter Tiere die Frage, wie und warum sich ihre Häufigkeit vermindert (Sperling, Kaninchen). Der Leser erfährt, wie Entwicklungen in der menschlichen Lebensweise die Entfaltungsmöglichkeiten von Tieren und die Veränderung der gemeinsamen Umwelt beeinflusst. Biodiversität, so die Botschaft, entsteht immer wieder neu. Auch Pflanzen gehören hier dazu und auf sie sind wiederum Menschen angewiesen, da sich diese häufig weniger gut anpassen können bzw. wollen als andere Akteure der Biodiversität. Die Nachkommen der Wikinger auf Grönland hätten den Lebensbedingungen der Inuits nacheifern können, um zu überleben. Sie taten es nicht, sei es aus Stolz, Ablehnung oder Dummheit. Sie starben aus. Um solche Zusammenhänge zu erkennen, bedarf es weniger des Handwerkszeugs des Historikers, als der Kenntnisse von Biologen und Anthropologen, eventuell der Archäologen. Doch kennen diese Wissenschaftler meist die eigene Fachgeschichte kaum, von weiteren historischen Ereignissen ganz zu schweigen, und so kommen die Historiker ins Spiel. Sie werden so eher zu Subalternen als zu interdisziplinär Gleichrangigen in der Forschungslandschaft – vielleicht mit ein Grund, warum Ökologiegeschichte (und Wissenschaftsgeschichte allgemein?) von den selbstbewussten geisteswissenschaftlichen Historikern so lange ausgegrenzt wurde?

Herrmann stellt im Laufe des Buches klar dar, welche Grundbegriffe für die Umweltgeschichte von Bedeutung sind und was sie beinhalten, ob Räume, die Umweltmedien (Luft, Wasser, Boden, Feuer, Biota) oder auch klimatische Ereignisse. Stets wird deutlich, dass zu deren Verständnis umfassende interdisziplinäre Kenntnisse und Kooperationsbereitschaften erforderlich sind. Nur in gemeinsamen Anstrengungen können historische Entwicklungen und Relevanzen für die eigene Gegenwart und Zukunft erfasst werden. Doch zwischen den Zeilen lässt der Autor den Leser wissen, dass für Umweltgeschichte Historiker eine geradezu marginale Disziplin darstellen. Ihre Methoden und Erkenntnisse lassen sich von Naturwissenschaftlern viel einfacher aneignen als umgekehrt. Vielfach werden die Geisteswissenschaftler einfach übersehen. Und was ist mit den selbst ernannten Scharnierdisziplinen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften wie Medizin- oder Technikgeschichte? Ihre Protagonisten werden von Herrmann in Teilen wahrgenommen, sei es bei der Erforschung der demographischen Auswirkung von Seuchen oder bezüglich des Umgangs mit Umweltgefahren. Aber eine eigenständige Rolle wird ihnen nicht zugebilligt.

Allerdings machen Kenntnisse von Grundbegriffen und ihre Deutung noch keine Umweltgeschichte aus. Hierzu bedarf es der praktischen Anwendung auf historische Ereignisse und Entwicklungen, die in ihrem Gesamtzusammenhang einzuordnen Historikern eher gelingt als Naturwissenschaftlern. Am Beispiel der Melioration des Oderbruchs im 18. Jahrhundert bzw. der Kartoffelfäule nimmt Herrmann den Leser mit auf eine Reise zu Fehleinschätzungen, Irrtümern und ständigen Weiterentwicklungen, die ohne vorherige Massnahmen nicht notwendig gewesen wären. Es wird deutlich, wie eng technikgeschichtliche Betrachtung, naturwissenschaftliche Umweltanalyse und sozial- bzw. kulturhistorische Forschung (theoretisch) ineinandergreifen können. Das Ganze ist dann mehr als die Summe seiner Teile.

Literaturhinweise am Ende jedes Kapitels und zusätzliche Leseempfehlungen runden das Buch ab, das Register verdient diesen Namen tatsächlich, und das Layout ist ansprechend gestaltet. Der Preis (€ 29,95) geht in Ordnung. Bernd Herrmann ist ein nützliches und klarstrukturiertes Einführungsbuch gelungen, dessen Lektüre gerade für Geistes- und Kulturwissenschaftler eine bittere, jedoch absolut notwendige Kost darstellt und eine gute Diskussionsgrundlage für die nächsten Jahre bietet. Sicher, man kann Ökologie und Ökologen auch ohne Kooperation mit Naturwissenschaftlern erforschen. Nur ob das den eigenen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, werden sich Historiker nun mehr denn je fragen lassen müssen. Umgekehrt gilt das für die Naturwissenschaftler allerdings ebenso

Zitierweise:
Florian G. Mildenberger: Rezension zu: Bernd Herrmann: Umweltgeschichte. Eine Einführung in Grundbegriffe. Heidelberg, Julius Springer, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 2, 2013, S.331-333.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 2, 2013, S.331-333.

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