B. Ludwig: Die Familienpolitik der CVP Schweiz 1971–1987

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Titel
Zwischen Schutz des Lebens und Emanzipation der Frau. Die Familienpolitik der CVP Schweiz 1971–1987


Autor(en)
Ludwig, Barbara
Reihe
(= Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz 52
Erschienen
Freiburg 2009: Academia Press
Anzahl Seiten
173 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Alois Steiner

Die Sechzigerjahre und insbesondere die neue Frauenbewegung nach 1968 verursachten eine Veränderung des Familienverhaltens in der Schweiz. In den 1970er Jahren stellten die Forderungen der Feministinnen nach Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs einen massiven Angriff auf die katholische Ethik dar. Diese Herausforderung brachte Bewegung in die nationale Familienpolitik.

In der Frage des Schwangerschaftsabbruchs geht es um das Grundproblem: Darf ungeborenes Leben vernichtet werden? oder anders ausgedrückt: Ist der Embryo bzw. der Fötus eine menschliche Person? Ab wann hat der Nasciturus ein Grundrecht auf Schutz? Falls ihm ein solcher Schutzanspruch zugestanden wird, stellt sich sofort die Frage, ob ihm durch das Strafrecht Nachdruck verschafft werden soll, wie bisher in der Schweiz gehandhabt. Die CVP stand vor dem Spagat zwischen Teilen der Partei, die an einer familieninstitutionell argumentierenden Politik festhalten wollten, und solchen Kreisen, die einer frauenemanzipatorischen Politik gegenüber offen waren.

Ein Umdenken hatte das Zweite Vatikanum (1962–1965) gebracht. Im Konzilsdokument Gaudium et spes (1965) wurde faktisch der Liebe zwischen Mann und Frau der Primat eingeräumt. In der Methode der Familienplanung herrschte jedoch Uneinigkeit. Gaudium et spes hatte das Problem unter Hinweis auf die Arbeit einer päpstlichen Kommission umgangen. Die Enzyklika Humanae vitae (1968) beendete wenig später «alle Hoffnungen, die Kirche könnte sich aus wohlerwogenem Grunde zu einer differenzierteren Haltung in der Frage der Geburtenplanung durchringen». In der Kirche gab es unterschiedliche Positionen. Paul VI. bezeichnete 1971 den Schwangerschaftsabbruch als «Mord». Die Bischöfe teilten diese Haltung. Die französische Jesuitenzeitschrift Etudes kam zum gegenteiligen Schluss: «Wenn es aus irgendeinem Grunde für die Eltern unmöglich ist, das keimende Leben zu humanisieren, sei der Schwangerschaftsabbruch sozial gerechtfertigt.» Aus der Sicht der Autoren ergab sich folglich kein absolutes Recht des Ungeborenen auf Leben.

1971 lancierte ein Komitee ein eidgenössisches Volksbegehren, das die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Bundesverfassung verankert sehen wollte, mit annähernd 60’000 Unterschriften. Im gleichen Jahr beschloss der Grosse Rat des Kantons Neuenburg eine Standesinitiative, die die entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuches aufheben wollte. Der leitende Ausschuss der CVP lehnte das Volksbegehren ab, hielt es aber für nicht ausgeschlossen, dass das staatliche Strafrecht Rechtsgüterabwägungen zulasse, die grosszügiger seien als die Moral. Er befürwortete eine «erweiterte medizinische Indikation», lehnte jedoch die «rein soziale Indikation» ab. In den eidgenössischen Räten setzte in den Siebzigerjahren ein jahrzehntelanges Ringen zwischen Befürwortern der Fristenlösung und den Anhängern der Indikationenregelung ein. Schliesslich nahmen beide Räte das Bundesgesetz über den Schutz der Schwangerschaft an. Die CVP-Parteileitung lehnte ab. An der Delegiertenversammlung der CVP entschied sich jedoch die Partei knapp für das neue Gesetz. Es scheiterte aber in der Volksabstimmung vom 28. Mai 1978 mit 68,8% der Stimmen.

Inzwischen wurde die Initiative «Recht auf Leben» unter der Leitung von Prof. Werner Kaegi/Uni Zürich und von der CVP Nationalrätin Elisabeth Blunschy erarbeitet und eingereicht. Sie wurde allerdings am 9. Juni 1985 deutlich verworfen. Nicht einmal in den katholisch geprägten Kantonen wir Freiburg, Luzern, Tessin und Zug vermochte sie eine Mehrheit zu erringen. Die Forderung nach Mutterschutz hatte die Schaffung von Schwangerschaftsberatungsstellen zur Folge. Beide eidgenössischen Kammern stimmten 1981 diesem Anliegen zu.

Eine 1978 von der OFRA (Organisation für die Sache der Frau) gestartete Initiative für eine Mutterschaftsversicherung forderte neben der vollständigen Deckung aller Schwangerschafts- und Geburtskosten einen Mutterschaftsurlaub von 16 Wochen sowie einen Elternurlaub für erwerbstätige Eltern von mindestens neun Monaten, wahlweise für Vater oder Mutter oder für beide teilweise. Diese Initiative hatte einen unschönen Beigeschmack, da sie nichts anders als eine «Aufhebung der Unterdrückung der Frauen» anregte. Die Initiantinnen hatten die abstruse Idee, die Gesellschaft habe aus der Mutterschaft «das wichtigste Instrument der Frauendiskriminierung» gemacht. Diese Volksinitiative hatte im Parlament und im Volk keine Chance. Die CVP Nationalrätin Josy Meier reichte am 21. September 1977 eine Motion für einen Mutterschaftsurlaub von 16 Wochen ein, verbunden mit einem Anspruch auf berufliche Wiedereingliederung junger Mütter samt Kündigungsschutz während der Schwangerschaft.

Es wäre wünschenswert, wenn der wichtige Artikel des «Arbeitsteams Etudes» Dossier Abtreibung II, «Der Ruf zum geboren werden», den ein interdisziplinäres Arbeitsteam für die französische Jesuitenzeitschrift verfasst hatte, nicht bloss in einer von der Orientierung einem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemachten Fassung (vgl. Barbara Ludwig, S. 64, Anm. 252), sondern auch in der französischen Originalfassung aufgeführt würde. – Die Ausführungen der Autorin zeigen deutlich, dass es in diesen Jahren Vorlagen zur Familienpolitik schwer hatten. Die Kombination von Ethik und Familienpolitik fand beim Stimmvolk kein Gehör und scheiterte, nicht zuletzt auch in mehrheitlich katholischen Gebieten.

Zitierweise:
Alois Steiner: Rezension zu: Barbara Ludwig, Zwischen Schutz des Lebens und Emanzipation der Frau. Die Familienpolitik der CVP Schweiz 1971–1987, Freiburg (Schweiz)/Fribourg, Academic Press, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 105, 2011, S. 600-602.

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