H.-G. Ziebertz: Gender in Islam und Christentum

Cover
Titel
Gender in Islam und Christentum. Theoretische und empirische Studien


Herausgeber
Ziebertz, Hans-Georg
Reihe
Empirische Theologie/Empirical Theology 20
Erschienen
Berlin 2010: LIT Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sarah Beyeler

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Doch in der religiös und kulturell pluralen Gesellschaft liegt die öffentliche Aufmerksamkeit vornehmlich auf der muslimischen Bevölkerung. Ihre religiös-kulturellen Normen und Werte lösen kontroverse Debatten um die «Integrationsfähigkeit» von Muslimen in die christlich-säkulare deutsche Gesellschaft aus. Nicht selten ist dabei die Ausgestaltung des Geschlechterverhältnisses Gegenstand öffentlicher Debatten. Vor diesem Hintergrund interessieren sich die Autorinnen und Autoren im vorliegenden Sammelband dafür, wie die beiden Religionen Genderfragen thematisieren und wie Jugendliche auf diese Positionen zurückgreifen und mit Diversität und Konflikten in interkulturellen Interaktionen umgehen. Dabei ist insbesondere von Interesse, wie Identität als Gender-Identität vor dem jeweiligen religiösen Hintergrund verhandelt wird. Daraus wollen die Autoren und Autorinnen Perspektiven für die Verbesserung der interkulturellen pädagogischen Arbeit in der Schule aufzeigen.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird dargelegt, wie der Gender-Diskurs im Islam und im Christentum die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern im sozialen Alltag prägt und welche Positionen sich dabei unterscheiden lassen. Weiter zeigen die Autorinnen und Autoren auf, dass in interethnischen Freundschaftskonstellationen von Jugendlichen Geschlechterunterschiede wichtiger sind als die unterschiedliche ethnische und religiöse Herkunft. Schliesslich geht es im vierten Kapitel des Buches um Ansätze, wie sich schulischer Unterricht geschlechtergerecht gestalten lässt.

Der zweite Teil des Buches ist deutlich umfangreicher und widmet sich der Schulpädagogik. Gegenstand sind Konzeption und ersten Ergebnisse des empirisch-religionspädagogischen Würzburger Projekts «Gender in Islam und Christentum». Im Mittelpunkt dieses Projekts steht die qualitative und quantitative Analyse einer Unterrichtseinheit (fünf Lektionen) im Hinblick darauf, wie Jugendliche in ethnisch und religiös gemischten Klassen über ein religiöses Problem kommunizieren. Das allgemeine Ziel des Curriculums ist, die Einstellung der Teilnehmenden gegenüber Fremdgruppen positiv zu beeinflussen. Überlegungen zu den Konzepten der Interkulturalität, sozial konstruierter Identität, interkultureller Hermeneutik, Religion und Gender bilden den theoretischen Rahmen der Untersuchung.

Auf die vier Kapitel zum theoretischen und konzeptionellen Rahmen der Studie sowie zu methodischen und methodologischen Erläuterungen folgen zwei Kapitel mit ersten quantitativ-empirischen Ergebnissen. Sie zeigen, dass Geschlechtsunterschiede im Jugendalter die Beurteilung kultureller Fremdgruppen beeinflussen. Für die interkulturelle Arbeit bedeutet dies, dass neben den ethnischen, religiösen, und kulturellen Unterschieden die Geschlechterdifferenz besondere Beachtung verdient.

Die letzten beiden Buchkapitel beinhalten Informationen zum qualitativ-empirischen Teil der Studie. Befragungen von Jugendlichen zur Virginitätsnorm und zu Geschlechterrollen verdeutlichen den unterschiedlichen Umgang mit Geschlechternormen innerhalb der christlichen und islamischen Referenzgruppe. Die Aussagen der Befragten führen zum Schluss, dass die Mehrheit bei der Verhandlung ihrer Geschlechtlichkeit von biologischen (essentialistischen) Gegebenheiten ausgeht und somit ein konstruktivistischer Ansatz auszuschliessen ist.

Der Sammelband präsentiert aktuelle Daten zur Lebensrealität von muslimischen und christlichen Jugendlichen in Deutschland und zeigt, dass das Gender-Thema zahlreiche religiös-kulturelle Unterschiede umfasst, deren Aus- und Verhandlung sich weniger in rechtlichen, denn wertebezogenen Debatten äussern.

Auffallend ist, dass kein Effekt der Unterrichtseinheit auf Einstellungen zu Fremdgruppen nachgewiesen werden kann. Dies unterstreicht den weiteren Forschungsbedarf und die Notwendigkeit wissenschaftlich gesteuerter Unterrichtsevaluation.

Trotzdem wird die Publikation ihrem Anspruch, Ansätze für eine bessere interkulturelle pädagogische Arbeit in der Schule aufzuzeigen, gerecht. Beispielsweise vermitteln die im zweiten Teil des Buches erwähnten Konzepte Lehrpersonen eine Grundlage, um ihr Bewusstsein für kulturelle Differenzen zu schärfen und diese im Unterricht aufzuarbeiten. Weiter liefern die Autorinnen und Autoren einen Beitrag zur bisher wenig erforschten Bedeutung von Religion und Religiosität für die interkulturelle Pädagogik und zeigen weiteren Untersuchungsbedarf auf.

Schade ist, dass die Zweigeschlechtlichkeit nicht weiter hinterfragt und der Differenzierung zwischen Frauen sowie zwischen Männern kaum Rechnung getragen wird. Damit bleiben tradierte, zweigeschlechtlich strukturierte Denk- und Deutungsmuster wieter bestehen.

Zitierweise:
Sarah Beyeler: Rezension zu: Hans-Georg Ziebertz (Hg.), Gender in Islam und Christentum. Theoretische und empirische Studien, Berlin, LIT Verlag, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 105, 2011, S. 594-595.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen