C. S. Stehrenberger: Francos Tänzerinnen auf Auslandstournee

Cover
Titel
Francos Tänzerinnen auf Auslandstournee. Folklore, Nation und Geschlecht im 'Colonial Encounter'


Autor(en)
Stehrenberger, Cécile Stephanie
Reihe
Histoire 39
Erschienen
Bielefeld 2013: Transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis
Anzahl Seiten
340 S.
Preis
€ 32,80
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Moritz Glaser, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Transnationale Perspektiven auf die spanische Zeitgeschichte, vor allem solche mit sozial- oder kulturwissenschaftlichem Zugriff, sind rar. Cécile Stephanie Stehrenberger leistet mit ihrer Monographie einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke. Indem sie Verflechtungsprozesse zwischen Spanien und einer seiner Kolonien (Äquatorialguinea), aber auch anderen Nationen wie den USA oder etwa Großbritannien untersucht, gelingt ihr eine Studie an der Schnittstelle zwischen Geschlechter-, Kolonial- und Nationalgeschichte, die sich durch einen dezidiert kulturwissenschaftlichen Blick auszeichnet.

Die Autorin widmet sich in ihrer 2012 an der Universität Zürich angenommenen Dissertation dem Phänomen der Außenrepräsentation des franquistischen Staates durch Tänzerinnengruppen der Sección Femenina der spanischen Einheitspartei Falange bzw. des Movimiento Nacional. Zwischen 1942 und 1975 bereisten solche Gruppen die Welt, um die Ideale des Franco-Regimes Kolonisierten, Exilspaniern und Angehörigen andere Nationen näher zu bringen. Überzeugend arbeitet Stehrenberger heraus, dass die Auftritte der Tänzerinnen zum einen Sympathien für die Franco-Diktatur im Ausland gewinnen und zum anderen Werte und Normen eines essentialisierten Spanischseins vermitteln sollten, um insbesondere in kolonialen Kontexten das Zugehörigkeitsgefühl zu Spanien zu stärken. Somit waren die Tänzerinnen Teil einer nach innen und außen gerichteten Machtstrategie, die die Autorin unter Rückgriff auf Michel Foucaults Theorie der Gouvernementalität als „ein Führen und Lenken von Individuen und Kollektiven, das eine Interaktion verschiedener Machttechnologien und Formen der Subjektivierung wie Disziplin, Normalisierung und biopolitischer Regulierung implizierte“ (S. 10) bezeichnet. Im kolonialen Kontext bedeutete dies, die Kolonisierten zu hispanisieren, also der spanischen Kultur näher zu bringen, ohne sie dadurch gleich zu Spanier und Spanierinnen zu machen.

Um die Umsetzung dieser Intentionen sowie deren Kontexte analysieren zu können, stützt sich Stehrenberger auf ein heterogenes Quellenkorpus, das sie in staatlichen sowie privaten Archiven zusammengetragen hat. Auf Grundlage dieses Materials trifft sie zunächst Aussagen über Akteure und Schauplätze (Kapitel 2), über den bereits erwähnten politischen Auftrag (Kapitel 3), über die Tänzerinnen selbst (Kapitel 4) sowie schließlich über Erfolg bzw. Misserfolg der Auftritte (Kapitel 5). Dem schließen sich zwei Kapitel zu „Vor- und Parallelgeschichten“ sowie „Nachgeschichten“ an (Kapitel 6 und 7). Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf den Kapiteln drei bis fünf, während Kapitel sechs und sieben kurz gehalten sind und in eher losem Zusammenhang zu den vorigen Kapiteln stehen. Das dritte Kapitel, das den hochgradig politischen Auftrag der vermeintlich harmlosen Tänzerinnen behandelt, stellt das längste Kapitel der Monographie dar.

Im Verlauf der Analyse greift die Autorin – je nachdem, welche Anknüpfungspunkte die Quellen boten – auf unterschiedliche theoretische Ansätze zurück. Zur Geltung kommen ihre profunden Kenntnisse sowohl der postkolonialen Theorien als auch der Theorien der Geschlechterforschung, wobei keine einzelne Theorie privilegiert wird oder als roter Faden fungiert.

Die Studie stützt sich neben den bereits erwähnten Schriften Foucaults vor allem auf Schriften Gilles Deleuzes’ und Homi Bhabhas. Beispielsweise interpretiert sie die Tänzerinnengruppen, die in Äquatorialguinea auftraten, als „Kriegsmaschine“ (S. 165) im Sinne Gilles Deleuzes und Félix Guattaris.1 Diese sollte auf die Kolonisierten einschüchternd wirken und zeigen, dass das Spanische Imperium jederzeit bereit war, etwaige Aufstände in der Kolonie gewaltsam zu unterdrücken. Stehrenberger bezieht sich bei dieser Interpretation vor allem auf den Kontext, in dem die Tänzerinnengruppen in Äquatorialguinea auftraten. Aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen wurden diese immer von Soldaten begleitet. Der Auftritt der Tänzerinnen war also stets an das gleichzeitige Auftreten der Soldaten gekoppelt. Zudem hätten, so Stehrenberger, die Trachten der Tänzerinnen auf die Indigenen bedrohlich gewirkt, da sie Ähnlichkeiten mit Uniformen aufwiesen. Diese Aussagen trifft Stehrenberger auf der Grundlage eines zeitgenössischen Dokumentarfilms über die Tänzerinnengruppen sowie einzelner Zeitungsartikel. Inwiefern diese Quellen die einschüchternde Wirkung der Auftritte tatsächlich belegen, bleibt fraglich. Auch leuchtet der Mehrwert einer solchen Interpretation nicht ohne weiteres ein. Denn die Benennung „Kriegsmaschine“ – mit Verweis auf Deleuze und Guattari – sagt zunächst nicht mehr über den Untersuchungsgegenstand aus, als wenn man die Auftritte der Tänzerinnen schlicht als einschüchternd klassifizierte, da sie von militärischer Präsenz umgegeben waren. Die Definition „Kriegsmaschine“ wirft zudem Plausibilitätsfragen auf. Laut Stehrenberger verstehen Deleuze und Guattari „die Kriegsmaschine als eine sich außerhalb des Staates befindliche, geradezu gegen den Staat gerichtete Entität, die jedoch vom Staat territorialisiert und inkorporiert werden kann und sich von der Guerilla zur Armee transformieren lässt“ (S. 232). Nun kann man die Sección Femenina – in Bezug auf faschistisches Gedankengut – mit gutem Recht als eine der radikalsten Gruppierungen innerhalb des franquistischen Regimes bezeichnen. Doch wurde die Falange als Ganze und damit auch die Sección Femenina nicht durch den Staat gezähmt, gegen den sie opponierte, also die Zweite Republik, sondern von Franco in seinen neuen Staat eingebunden. Dass die Sección Femenina sich nicht ohne weiteres an der Defaschistisierung des Regimes beteiligte, ist bekannt. Daraus zu schließen, sie „bekriegte“ (S. 232) den Staat Francos, leuchtet indes nicht ein. Vielmehr hatten die systemstabilisierenden Aktivitäten Priorität auf der Agenda der Sección Femenina, zu denen auch die Tanzauftritte im Ausland gehörten.

Ein Überstrapazieren des Quellenmaterials mit theoretischen Bezügen findet sich auch an anderen Stellen. So gehen Deutungen und Interpretationen immer wieder über das hinaus, was durch die Quellen belegbar erscheint. Genau dies räumt die Autorin schon in der Einleitung ein, wenn sie betont, dass sie „in der Beantwortung einiger [ihrer] Forschungsfragen Aussagen machen muss, die noch spekulativer sind als dies Geschichtsschreibung immer ist“ (S. 32). Dies zeigt sich letztlich auch bei der Beantwortung der übergreifenden Frage nach Erfolg bzw. Misserfolg der politischen Mission der Tänzerinnen. Denn Aussagen über die konkreten Wirkungen der Auftritte auf die Zuschauergruppen sind wegen der nur spärlich vorhandenen Quellen nur beschränkt möglich. Anhand von Filmen, Fotografien, Zeitungsartikeln und interner Berichte der Sección Femenina beschreibt Stehrenberger die zahlreichen Probleme, die sich bei den Auftritten der Tänzerinnen ergaben und kommt zu dem Schluss, dass – vor dem Hintergrund ihrer eigenen Intentionen – eher von einem Scheitern als einem Erfolg zu sprechen ist. Doch inwiefern etwa die Aussage eines einzelnen Siedlers in Äquatorialguinea Generalisierungen in Bezug auf die Wirkungen der Auftritte zulässt, bleibt fraglich.

Es bleibt Stehrenbergers Verdienst, die Widersprüchlichkeit der franquistischen Geschlechterpolitik am Beispiel der Tänzerinnen aufzuzeigen. Gerade am Beispiel des cross-dancing, also dem Tanzen in einer anderen Geschlechterrolle, wird dies deutlich (die meisten Tanzgruppen bestanden ausschließlich aus Frauen, die auch männliche Rollen übernahmen). Dies stand, so Stehrenberger, der Rückkehr zu traditionellen Geschlechterrollen, die die franquistische Politik nach dem Sieg über die Republik anstrebte, diametral entgegen. Ebenso gelungen sind die Abschnitte zur Authentizität der Auftritte und zur Erfindung von Traditionen, einem Prozess, der bei der Suche nach vermeintlich rein spanischen Folkloretänzen, die sich zur Aufführung im Ausland eigneten, einsetzte.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass Cécile Stephanie Stehrenberger eine theoretisch gründlich reflektierte Studie vorgelegt hat – vor allem auch in Bezug auf die Standortgebundenheit des Forschenden. Sie leistet einen wichtigen Beitrag dazu, die Geschichte Spaniens unter Franco nicht einseitig als Geschichte einer Isolation zu schreiben, sondern die vielfältigen Interaktionen, die Spanien in dieser Zeit mit der Welt verbanden, zu thematisieren. Zum Vorschein kommen die Versuche des Franco-Regimes, der eigenen Bevölkerung in Spanien, den Kolonisierten in Guinea und auch potenziellen Touristen etwa in den USA vorzutanzen, was Spanien und Spanischsein zu bedeuten habe. Zu welchen Widersprüchen dies führte, macht Stehrenberger deutlich.

Weitere transnationale und verflechtungsgeschichtliche Perspektiven auf die Geschichte Spaniens sind wünschenswert. Zu beleuchten wären etwa auch die Auswirkungen des Tourismus in Spanien. So tanzten die Tänzerinnen der Sección Femenina nicht nur im Ausland, sondern versuchten jedes Jahr beim sogenannten „Tag des Touristen“, eben diesen das vermeintlich authentische Spanien vorzutanzen.

Anmerkung:
1 Gilles Deleuze / Félix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin 1980 (original Paris 1972).

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Veröffentlicht am
01.04.2014
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