U.Altermatt: Die Universität Freiburg

Cover
Titel
Die Universität Freiburg auf der Suche nach Identität. Essays zur Kultur- und Sozialgeschichte der Universität Freiburg im 19. und 20. Jahrhundert


Autor(en)
Altermatt, Urs
Reihe
Religion - Politik - Gesellschaft in der Schweiz 50
Erschienen
Freiburg 2009: Academic Press
Anzahl Seiten
508 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Josef Inauen, Universität Freiburg i.Ue.

Rund 20 Jahre nach dem Erscheinen des dreibändigen Jubiläumswerkes zum 100-jährigen Bestehen der Universität Freiburg/Fribourg legt Urs Altermatt ein reichhaltiges Buch zu ihrer Geschichte vor. Mit dem Kapitel «Die ‹Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte› als Forum der katholischen Geschichtsschreibung in der Schweiz» beschreibt er Entstehung und Entwicklung dieser Zeitschrift.

Hier den Autor noch vorstellen zu wollen, hiesse nun wirklich «Eulen nach Athen tragen»; nein, das ist definitiv nicht nötig. Es ist aber mehr als erfreulich, dass er sich kurz vor Ende seiner über dreissigjährigen sehr erfolgreichen Lehrtätigkeit (seine Freiburger Dozentenzeit umfasst einen Gastlehrauftrag 1973, die Lehrstuhlstellvertretung 1978–1979 und schliesslich die ordentliche Professur seit 1980) dazu entschloss, die Früchte langjähriger Forschungsarbeit und seine Erfahrung als Rektor der Universität von 2003 bis 2007 aufzubereiten. Wie intensiv sich Urs Altermatt schon mit dem Gegenstand beschäftigt hat, zeigen die eindrücklichen Listen seiner Publikationen zur Universitäts- und Studentengeschichte und derjenigen in Zusammenhang mit dem Rektorat im Anhang.

Als Leitthematik wählte der Autor, wie er im Vorwort sagt, «die wechselnden Beziehungen der Universität zum Katholizismus und zur katholischen Kirche». Das erste, bis in die Gegenwart reichende Kapitel «Wie katholisch ist die Universität Freiburg wirklich? – Eine historische Annäherung 1889–2007» fasst die über 100-jährige Universitätsgeschichte zusammen und gibt den Rahmen für die nachfolgenden Beiträge. Der Verfasser zeigt auf, dass die Universität Freiburg keine «katholische Universität» nach kanonischem Recht war, auch keine «freie katholische Universität» nach französischem Vorbild, sondern nach der Absicht von Staatsrat Python eine «katholische Staatsuniversität», die aber immerhin von Papst Leo XIII. 1889 mit einem Breve eine «Art Akkreditierungsurkunde» und 1896 eine goldene Rektoratskette als Geschenk erhielt und die dann 1920–1950 zur «Universität der Schweizer Katholiken» wurde. Die Anzahl Schweizer Studierender stieg nun kontinuierlich; die Universität Freiburg wurde das intellektuelle Zentrum des Schweizer Katholizismus. Dabei wird auch die interessante Geschichte der Universitätskollekte in den katholischen Kirchen, welche 1934 erstmals durchgeführt wurde, kurz skizziert. 1954 deckte sie fast einen Drittel der Gesamtausgaben und erreichte 1967 mit über 1,25 Millionen Franken ihren Höchststand. Ihr Anteil am Gesamtbudget veränderte sich ab 1966, als alle Schweizer Universitäten Bundessubventionen erhielten, dramatisch. Nach der Entkonfessionalisierung und Säkularisierung, von der Urs Altermatt treffend sagt, dass diese «nicht Religionszerfall, sondern Transformation der Religiosität» bedeute (54), wurde Freiburg/Fribourg eine Universität mit «katholischer Tradition». Dass die Frage der Katholizität der Universität noch bis in die neueste Zeit nicht unbestritten ist, zeigen etwa die Irritationen 2005/2006 rund um die Einweihung oder Segnung des Meditationsraumes im neuen Universitätskomplex Pérolles. Neueste Umfragen zeigen, dass die katholische Tradition bei den Studierenden für die Wahl des Studienortes Freiburg eine bedeutend kleinere Rolle spielt als die Zweisprachigkeit und die überblickbare Grösse.

Im umfangreichen zweiten Kapitel stellt der Verfasser die spannende Gründungsgeschichte dar, die überragende Rolle von Staatsrat Python, den Gegensatz zu Bischof Gaspar Mermillod, die «Professorenreise» von Caspar Decurtins, den schwierigen Beginn mit prekären Räumlichkeiten und mit mehr Professoren als Studenten, die in ganz Europa beachtete Kollektivdemission von acht deutschen Professoren Ende 1897, die Skepsis der freisinnigen und protestantischen Schweiz und die zu Beginn geringe Sympathie in den sogenannten katholischen Stammlanden, obwohl die Gründung eine «hochschulpolitische Antwort auf das katholische Bildungsdefizit in der Schweiz» war. Beachtenswert und auf den ersten Blick überraschend ist, dass die Universität 1889 nicht mit einer Theologischen Fakultät, sondern mit der Philosophischen und Juristischen gegründet wurde; die Theologische, deren Leitung dem internationalen Dominikanerorden übertragen wurde, folgte 1890. Nachgezeichnet wird aber auch die Phase der Konsolidierung bis 1914 mit der Neuausrichtung in den internationalen Beziehungen und dem Neubau der Bibliothek. Als Markenzeichen der jungen Hochschule macht der Autor aus: «katholisch, zweisprachig und international». Die Zweisprachigkeit bedeutete zunächst eigentlich «sprachlichen Parallelismus » mit doppelter Besetzung wichtiger Lehrstühle. Dass dabei auch gelegentlich Spannungen auftraten, wird nicht verschwiegen. Eindrücklich sind die statistischen Zahlen zur Internationalität der Professoren- und Studentenschaft von 1894 bis 1914 mit mehr als 50% Ausländeranteil, bei den Professoren bedeutend höher.

Danach zeigt Urs Altermatt im dritten Kapitel an einzelnen Beispielen «Kontinuität und Wandel» des universitären Profils auf, nämlich an der aufschlussreichen Studierendenstatistik, der imposanten Baugeschichte und an den besonderen Beziehungen zu Polen während des Zweiten Weltkrieges mit dem Hochschullager der polnischen Internierten. Der damalige polnische Präsident Kwaśniewski würdigte 2004 bei seinem Besuch die besondere Rolle der Universität Freiburg für Polen. Die Statistik zeigt nicht nur das starke Wachstum, die Aufteilung nach Fakultäten (die Tabelle im Anhang zu den pro Studiengang von 2000 bis 2004 verliehenen Diplomen spricht für sich), den überdurchschnittlichen Frauenanteil und die besonderen Beziehungen zum Fürstentum Liechtenstein auf, sondern auch die neueren und neuesten Tendenzen mit mehr Bernern, weniger Innerschweizern und Wallisern, mit partieller Freiburgisierung und rapider Entkonfessionalisierung.

Ende der 1960er-Jahre ging der Einfluss der katholischen Kirche kontinuierlich zurück. Die Säkularisierung der Gesellschaft griff auch auf die katholischen Bevölkerungsschichten über, was sich nicht zuletzt in einem deutlichen Rückgang der Studierenden der Theologischen Fakultät niederschlug. Mit den Bundessubventionen ab 1966 nahm – wie schon gesagt – die Bedeutung der Kirchenkollekte ab, mit ihr aber auch der Einfluss der katholischen Kirche. Die Universität wurde finanziell unabhängiger; sie musste sich jedoch neu positionieren: Die katholische Identität rückte in den Hintergrund. Die Rektorate betonten mehr die multikulturelle Brückenfunktion der Hochschule sowie die Zweisprachigkeit als herausragende Merkmale. Mit dieser beschäftigt sich Urs Altermatt zusammen mit Christina Späti im eigenen, ebenfalls hier zu besprechenden Band. Die Universität der Schweizer Katholiken wurde mehr und mehr zur Universität mit katholischer Tradition.

Das vierte Kapitel ist dem Blick von unten und den Veränderungen in der Zusammensetzung der Studentenschaft gewidmet. Höchst aufschlussreich ist das Kapitel zum «Studentenleben um die Jahrhundertwende von 1900», das u.a. auch die Anfänge des Frauenstudiums aufzeigt. Die Perspektive der Studierenden und die Rolle als Kaderschmiede der Katholisch-Konservativen bzw. Christlichdemokraten kommen am Beispiel des früher de facto katholischen Schweizerischen Studentenvereins, dessen Zentralpräsident der Autor in den stürmischen Jahren 1967–1968 war, zur Darstellung. Die ausführliche Schilderung von Aufstieg und Niedergang der Studenten-Internationale «Pax Romana» von 1921 bis 1981 belegt die Bedeutung und den Bedeutungsverlust der Universität Freiburg im Orbis catholicus.

Den Abschluss des Bandes bilden Beiträge zur Geschichtsschreibung und -lehre an der Universität Freiburg. Dabei wird der traditionsreiche – deutschsprachige – Lehrstuhl für Schweizer Geschichte und die nur drei Inhaber vor Urs Altermatt selbst vorgestellt: Albert Büchi (von 1989 bis 1930), Oskar Vasella (von 1931 bis 1966) und Gottfried Bösch (von 1967 bis 1980). Klar, dass der Verfasser die Geschichte seines dreissigjährigen Wirkens nicht selber schreiben mochte; dass mit ihm aber eine eigentliche Freiburger Schule entstanden ist, belegt nicht nur die zu seinem 60. Geburtstag erschienene Festschrift «Nation und Nationalismus in Europa», sondern auch die Liste der Autoren und Titel in der von ihm 1987 gegründeten Reihe «Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz» (Verlag Academic Press Fribourg) und in der 2001 gegründeten Reihe «Studien zur Zeitgeschichte » (Verlag Huber) im Anhang.

Für uns hier von zentralem Interesse ist das letzte Kapitel, welches der Geschichte dieser Zeitschrift, der zweisprachigen «Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte»/«Revue d’Histoire Ecclésisastique Suisse» bzw. seit 2004 der «Schweizerischen Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte»/«Revue suisse d’histoire religieuse et culturelle» gewidmet ist. Urs Altermatt beschreibt die Vorgeschichte der Zeitschrift und ihren Platz im Rahmen des wissenschaftlichen und konfessionspolitischen Umfeldes. Ihre thematischen Schwerpunkte werden ebenso dargestellt wie der Anteil von Geistlichen und Laien und die eklatante Marginalisierung der katholischen Historiker während der Dominanz der national- liberalen Geschichtsschreibung. Mit der bereits genannten Namensänderung wurde ein langer Transformations- und Modernisierungsprozess im Selbstverständnis katholischer Geschichtsschreibung abgeschlossen. Im Anhang sind alle Redaktoren und Redaktionskommissionen aufgeführt, ebenso die Präsidenten des Trägervereins, der «Vereinigung für Schweizerische Kirchengeschichte»/«Association d’histoire ecclésiastique suisse». Das 2007 geschaffene Internationale Editorial Board unterstreicht die bedeutende internationale Stellung, welche diese Zeitschrift einnehmen will und einnimmt.

Der Autor hält sein Versprechen aus dem Vorwort voll und ganz (9 f.): «Wie in einem Kaleidoskop stossen die Leserin und der Leser aus verschiedenen Blickwinkeln auf die Thematik der katholischen Tradition der Universität Freiburg. In Variationen zeige ich die langsame Transformation von der ‹katholischen Universität› über die ‹Universität der Schweizer Katholiken› zu einer Hochschule ‹mit katholischer Tradition› auf.» Mit der wissenschaftlichen Ehrlichkeit des Zeithistorikers, der die Problematik des Übergangs von persönlich Erlebtem zu zeitgeschichtlicher Erkenntnis bestens kennt, weist Urs Altermatt jedoch darauf hin, dass diese Wandlungen noch nicht zum Abschluss gekommen sind, «so dass sich künftige Historiker mit den Jahrzehnten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1962–1965 erneut befassen werden.» Seine Ausführungen zu den Jahren um 2000 könnten, sagt der Verfasser, «als Zeugnis eines Zeitgenossen und ‹teilnehmenden Beobachters› gelesen werden».

Zusammenfassend sei gesagt, dass Urs Altermatt einen wichtigen Beitrag zur Universitätsgeschichte der Schweiz, wenn nicht Europas leistet. Was macht die Stärke des Buches aus? Es ist für weitere Fragestellungen und Themen offen und regt sie an: schweizerische, ja internationale Vergleiche sowie ähnliche Studien für andere Universitäten. Alle Titel und Untertitel sind sprechend, sie führen den Leser und geben ihm ein dichtes Gerüst mit den wichtigsten Einsichten und Thesen. Das Buch ist leicht zu lesen, der Stil angenehm und locker; die essayistische Grundstruktur des Werkes vermittelt Frische und Unmittelbarkeit. Viele Abbildungen bereichern das Buch und unterstützen die Aussagen, ebenso zahlreiche Grafiken und Tabellen. Die Anmerkungen und Literaturangaben sind ausgesprochen reichhaltig; sie verorten das Werk präzise in der universitätsgeschichtlichen Forschungslandschaft. Hervorzuheben ist die Widmung an alle AssistentInnen und MitarbeiterInnen des «Seminars für Zeitgeschichte», mit denen er in der dreissigjährigen Lehrtätigkeit als Geschichtsprofessor an der Universität Freiburg «zusammenarbeiten durfte».

Fazit: Wer sich an der Universität Fribourg/Freiburg wohl fühlt/fühlte, liest das Buch mit Genuss und sieht sich bestätigt; ein aussenstehender Leser kann verstehen, warum das so ist.

Zitierweise:
Josef Inauen: Rezension zu: Urs Altermatt, Die Universität Freiburg auf der Suche nach Identität. Essays zur Kulturund Sozialgeschichte der Universität Freiburg im 19. und 20. Jahrhundert (=Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz, Bd. 50), Freiburg, Academic Press Fribourg, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 506-509

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