P. Zihlmann-Märki: Eine kulturgeschichtliche Untersuchung des Todes

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Titel
«Gott gebe das wir das Liebe Engelein mit Freüden wieder sehen Mögen».. Eine kulturgeschichtliche Untersuchung des Todes in Basel 1750–1850


Autor(en)
Zihlmann-Märki, Patricia
Erschienen
Zürich 2010: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
445 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Bettina Hunger

Die umfangreiche Studie von Patricia Zihlmann-Märki ist der Geschichte des Todes in Basel gewidmet, einer Stadt, die für ihren Totentanz aus dem 15. Jahrhundert bei der Predigerkirche weit herum bekannt war. Doch nicht um diesen mittelalterlichen Umgang mit dem Tod geht es in der vorliegenden Arbeit. Mit der Epoche zwischen 1750 und 1850 rückt Patricia Zihlmann-Märki vielmehr eine Zeit ins Zentrum, als in Basel eben dieser berühmte Totentanz abgebrochen wurde und andere, bürgerliche Umgangsformen mit dem Tod an die Stelle des mittelalterlichen memento mori traten.

In einem ersten Teil geht Patricia Zihlmann-Märki anhand von Verwaltungsakten den Veränderungen im Basler Bestattungswesen zwischen 1750 und 1850 nach: In diesem Zeitraum wurde der Ort der Grablegung von der Kirche räumlich getrennt und an die Peripherie der Stadt verlegt. Diese Umgestaltung des Begräbnisplatzes war auch mit einer Professionalisierung des Bestattungswesens verbunden. Der traditionell entehrende Status der «Kohlenberger» wurde abgeschafft und die Arbeit des Grabmachens und der Friedhofspflege professionellen Totengräbern und Friedhofsgärtnern übertragen.

Auch entehrende Bestattungsrituale für Selbstmörder wurden von der Stadtverwaltung im Laufe des 19. Jahrhunderts unterbunden. Diese Veränderungen im Bestattungswesen zeugen zum einen von einem wachsenden Einfluss medizinischer Hygieneerwägungen auf den Umgang mit dem Tod. Zum andern aber lässt sich auch eine Veränderung im religiösen Denken weg von magisch-rituellen Praktiken hin zu einer individualiserten, innerlichen Frömmigkeit beobachten.

Der zweite und dritte Teil der Studie sind denn auch den Selbstzeugnissen von Basler Bürgerinnen und Bürgern gewidmet, die in Familienbüchern, Lebensläufen oder Autobiographien der Nachwelt ihre je eigene Deutung von Sterben und Tod überlieferten. Hier rückt Patricia Zihlmann-Märki vor allem die Jenseitsvorstellungen ihrer Autorinnen und Autoren ins Zentrum, doch auch der Frage nach der Funktion dieser Texte für die Schreibenden und ihr soziales Umfeld geht sie in ihrer Untersuchung nach. Während sie im zweiten Teil anhand von insgesamt 66 Selbstzeugnissen von Baslerinnen und Baslern aus dem 18. und 19. Jahrhundert die Jenseitsvorstellungen und das Verhältnis zum Tod einer städtischen Oberschicht in einem protestantischen Umfeld untersucht, ist der dritte Teil der Arbeit dann zwei einzelnen Individuen gewidmet, nämlich Esther Hauser-Faesch und Lucas Forcart-Respinger, die sich beide ausführlich mit dem eigenen Tod und dem Jenseits beschäftigten.

Die Arbeit von Patricia Zihlmann-Märki greift ein interessantes kulturgeschichtliches Thema auf und besticht besonders durch ihren Quellenreichtum. Gekonnt vermag die Autorin die gesellschaftliche Ebene der städtischen Friedhofspolitik mit der individuellen der persönlichen Selbstzeugnisse zu verbinden. In ihrem theoretischen Ansatz fühlt sich Patricia Zihlmann-Märki dem Konzept der «Lebenswelt», wie es von Heiko Haumann entworfen wurde, verpflichtet. An der Schnittstelle zwischen gesellschaftlicher Struktur und handelndem Subjekt gelegen, ist diese kein geschlossenes System, sondern offen für Veränderung. Im Rahmen dieses akteurzentrierten Ansatzes stellt denn auch Patricia Zihlmann-Märki mit den Selbstdarstellungen von Basler Bürgerinnen und Bürgern das historische Subjekt ins Zentrum ihrer Untersuchung und ihre gesellschaftspolitischen Analysen sind dem Anspruch nach auf die Veränderungen der vorgegebenen Strukturen fokussiert. Doch gerade hier scheinen mir auch die wichtigsten konzeptionellen Mängel der Arbeit zu liegen: In der Studie von Patricia Zihlmann-Märki bleibt der Umgang mit dem Tod letztlich dann doch statischer und gleichförmiger, als dies die einleitenden theoretischen Ueberlegungen vermuten liessen. Dies vor allem deshalb, weil sich die Autorin mit dem Untersuchungszeitraum von 1750 bis 1850 zu sehr von einem Epochenbegriff aus der politischen Geschichte leiten liess. Um den grundlegenden Veränderungen im Umgang mit dem Tod des bürgerlichen Zeitalters gerecht zu werden, wäre es wahrscheinlich sinnvoller gewesen, den Untersuchungszeitraum etwas nach hinten zu verschieben und so u.a. auch die Einführung der Kremation Ende des 19. Jahrhunderts miteinzubeziehen. Die Stärken von Patricia Zihlmann-Märkis Studie liegen denn auch weniger im Konzeptionellen als in ihrem Materialreichtum und der subtilen, genauen Einzelinterpretation. Ausführlich lässt sie vor allem in den beiden letzten Teilen die Quellen zu Wort kommen und verbietet sich selbst alle abschliessenden Kommentare. Herausgekommen ist dabei ein interessantes, facettenreiches Sittenbild über die Formen des Umgangs mit dem Tod im Basler Bürgertum des späten 18. Und frühen 19. Jahrhunderts. Im interpretatorischen Bereich hätte ich mir allerdings eine etwas weniger grosse Zurückhaltung der Autorin gewünscht.

Zitierweise:
Bettina Hunger: Rezension zu: Patricia Zihlmann-Märki: «Gott gebe das wir das Liebe Engelein mit Freüden wieder sehen Mögen». Eine kulturgeschichtliche Untersuchung des Todes in Basel 1750–1850. Zürich, Chronos Verlag, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 3, 2011, S. 371-372

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 3, 2011, S. 371-372

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