R. Holenstein: Erfinder der modernen Schweiz

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Titel
Ochsenbein – Erfinder der modernen Schweiz.


Autor(en)
Holenstein, Rolf
Erschienen
Basel 2009: Echtzeit Verlag
Anzahl Seiten
656 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Helmut Dworschak

Ulrich Ochsenbein (1811–1890) prägte die erste Schweizer Bundesverfassung mit und war von 1848 bis 1854 Mitglied des Bundesrates. Die chronologisch verfahrende, engagierte Biographie von Rolf Holenstein schildert in elf Kapiteln lebendig und anschaulich Aufstieg und Fall dieses Staatsmannes. Dabei gelingt ihm zugleich eine fesselnde Schilderung der Entstehung des modernen Bundesstaates.

An Quellen zieht der Verfasser neben Ochsenbeins Autobiografie eine Fülle amtlicher Dokumente und Sitzungsprotokolle sowie Briefe und Tagebücher von Zeitgenossen heran. Zudem kann er auf über 350 bisher unbekannte Briefe von und an Ochsenbein zurückgreifen. Dies erlaubt ihm, ein differenzierteres Bild seines Gegenstandes zu zeichnen als Ochsenbeins erster Biograph Hans Spreng – dem er schwerwiegende Manipulationen nachweist – im Jahr 1918 und die Biographie von Jakob Stämpfli, des Kontrahenten und Nachfolgers von Ochsenbein im Bundesrat, aus dem Jahr 1921. Deren «Zerrbild» bestimmt laut Verfasser das Urteil über Ochsenbein bis heute, obwohl dessen Rolle von der Verfassungsgeschichte bereits erkannt wurde. Die Darstellung berücksichtigt auch die Rolle der Zeitungen im Kampf um die politische Macht und kann stellenweise als ein Stück Mediengeschichte gelesen werden.

Ochsenbeins historische Bedeutung liegt vor allem in der Verankerung föderalistischer Strukturen und der Neutralitätspolitik in der Bundesverfassung von 1848. Detailliert geschildert wird die Arbeit der von Ochsenbein präsidierten Verfassungsrevisionskommission, etwa sein direkter Einfluss auf die Artikel 4 bis 6, die den rechtsstaatlichen Standard der Kantonsverfassungen von Bundes wegen festschreiben: «Rechtsgleichheit, individuelle Freiheitsrechte, republikanische Staatsform mit repräsentativer oder direkter Demokratie, obligatorisches Verfassungsreferendum und Verfassungsinitiative beim Volk.» Ein anderes Beispiel ist die Zuständigkeit des Bundes für «öffentliche Werke», die im allgemeinen Interesse liegen, wie der Bau von Strassen und Eisenbahnen.

Nicht unwichtig ist die Art und Weise, wie Ochsenbein sein Ziel, die Schaffung eines Bundesstaates, erreichte; seit 1815 war die Schweiz bekanntlich ein Staatenbund mit sehr eingeschränkten Volksrechten. Der Verfasser zeigt, dass der studierte Jurist und Feldherr über ein beachtliches strategisches Geschick verfügte und die Konfrontation der konservativen Kantone mit den fortschrittlichen im Sonderbundskrieg zu nutzen wusste. Ferner trat er 1847 in seiner Eigenschaft als Bundespräsident selbstbewusst gegen die konservativen europäischen Mächte auf, welche die Schweiz als gefährliches «Revolutionslabor» betrachteten.

Vor allem galt es, die Idee des Bundesstaates gegen die liberal-radikale bernische Elite um Jakob Stämpfli durchzusetzen, die von einem zentralistischen Staat nach französischem Vorbild und Bündnissen mit grösseren Mächten träumte. Zum Verhängnis wurde dem talentierten Staatsmann und Visionär schliesslich das Fehlen einer eigentlichen Hausmacht. Die Fraktion um Jakob Stämpfli gewann 1854 die Oberhand, Ochsenbein wurde – als erster Bundesrat – abgewählt. Plötzlich ohne Einkommen, nahm der achtfache Vater das Angebot an, als Brigadegeneral nach Frankreich zu gehen. Den durch zwei Verleumdungsprozesse 1878 und 1883 verdüsterten Lebensabend verbrachte er als Landwirt und Schriftsteller auf seinem Gut «Bellevue» bei Nidau.

Das Buch ist eine an Gesichtspunkten und Personenporträts reiche Biographie, die durch ihre narrative Darstellungsweise fesselt und zugleich durch ein akribisches, im Anmerkungsapparat dokumentiertes Quellenstudium überzeugt. Das manipulative Vorgehen des ersten Ochsenbein-Biographen ist ebenso in einem Exkurs zusammengefasst wie der erst zaghafte Wandel von Ochsenbeins Bild in der Geschichte. Ein Verzeichnis der Quellen und Darstellungen sowie ein Namenregister beschliessen den Band.

Zitierweise:
Helmut Dworschak: Rezension zu: Rolf Holenstein: Ochsenbein. Erfinder der modernen Schweiz. Basel, Echtzeit Verlag, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 1, 2011, S. 131-132

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 1, 2011, S. 131-132

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